Steuerverluste in Entwicklungsländern

„Hohe Steuerausfälle in Entwicklungsländern sind auch auf ein oft unvollkommenes Steuersystem, eine ineffiziente Steuerverwaltung und eine damit verbundene unzureichende Durchsetzung von Steueransprüchen zurückzuführen. Darüber hinaus besteht aufgrund einer potenziell hohen Schattenwirtschaft und damit einhergehenden Umsatz- und Einkommensteuerausfällen eine überproportionale Abhängigkeit vom Steueraufkommen der Unternehmen“, erklärte Wolfgang Haas im Rahmen der Anhörung zur Frage von Steuervermeidung in Entwicklungsländern im Finanzausschuss des Deutschen Bundestags.

Eine Studie des IWF kommt zu dem Ergebnis, dass Base Erosion and Profit Shifting (BEPS) in Entwicklungsländern einen prozentual höheren Einnahmeverlust hervorruft, als in OECD-Staaten. Um diese Feststellung zu diskutieren und mögliche Ursachen und Lösungsansätze aufzuzeigen, lud der Finanzausschuss des Deutschen Bundestags am 20. Juni zu einer öffentlichen Anhörung zum Thema „Auswirkungen von Steuervermeidung und Steuerhinterziehung auf die Entwicklungsländer“ ein. Geladen waren neben Vertretern der OECD, Tax Justice und den deutschen Entwicklungshilfeorganisationen auch der BDI und seine Mitglieder.

Doppelbesteuerungsabkommen

Einleitend wurde die Frage gestellt, ob die Besteuerungsrechte von Entwicklungsländern bei grenzüberschreitenden Transaktionen ausreichend ausgestattet sind. Im Verhältnis zu Deutschland sind dafür die jeweiligen Doppelbesteuerungsabkommen maßgebend. Sie entscheiden darüber, welcher Staat das alleinige Besteuerungsrecht für Erträge zugesprochen bekommt bzw. Quellensteuer erheben darf. Traditionell orientieren sich Entwicklungsländer weniger an dem von der OECD veröffentlichten Muster-DBA, sondern am entsprechenden Muster der Vereinten Nationen. Dieses sieht ein verstärktes Quellenbesteuerungsrecht der Entwicklungsländer vor. Höhere Quellensteuersätze auf Dividenden, Zinsen und Lizenzen berücksichtigen die Einseitigkeit der Investitionsströme. Entgegen der Tendenz zwischen entwickelten Industriestaaten die Quellensteuersätze abzusenken, idealerweise gänzlich darauf zu verzichten, schließt Deutschland mit Entwicklungsländern regelmäßig Abkommen, die höhere Quellensteuersätze vorsehen. Weiterhin definiert das UN-Musterabkommen durch eine weite Betriebsstättendefinition eine reine Dienstleistungsbetriebsstätte, die länger als sechs Monate besteht, als Betriebsstätte im Sinne eines Doppelbesteuerungsabkommens. Dies begründet ein alleiniges Besteuerungsrecht des Quellenstaates und gibt Entwicklungsländern die Möglichkeit, Dienstleistungsbetriebsstätten zu besteuern. Auch diese Definition verhandelt Deutschland in Doppelbesteuerungsabkommen mit Entwicklungsstaaten.

Freistellungsmethode

Abschließend wird regelmäßig wird mit Entwicklungsländern die sog. Freistellungsmethode vereinbart. Auch wenn Kritiker von Tax Justice hier einen schädlichen Steuerwettbewerb zwischen den Ländern durch die vereinbarte Freistellungsmethode erkennen wollen, führt sie dennoch dazu, dass die Länder steuerliche Anreize geben können, ohne dass es in Deutschland zu einem Hinaufschleusen auf das inländische Besteuerungsniveau kommt. Denn in vielen Ländern ist aufgrund klimatischer Bedingungen oder dem fehlenden Fachkräfteangebot die Errichtung einer Produktionsstätte ökonomisch nur mit einem temporären Steuerbonus (z. B. Sonderwirtschaftszone) darstellbar.

Besteuerungsbasis in Entwicklungsländern

Als zweiter Themenschwerpunkt wurde die Frage der Besteuerungsbasis in Entwicklungsländern diskutiert. Hier ist festzustellen, dass einige Entwicklungsländer in deutlich geringerem Umfang Verkehr- und Verbrauchsteuern erheben. Durch den Verzicht dieser fiskalischen Einnahmen steigt wiederum die Abhängigkeit vom Ertragsteueraufkommen. So begründet sich die höhere Auswirkung von Gewinnverlagerung in Entwicklungsländern im Vergleich zu OECD-Staaten. Hohe Steuerausfälle in Entwicklungsländern sind aber ebenfalls auf ein oft unvollkommenes Steuersystem, eine ineffiziente Steuerverwaltung und eine damit verbundene unzureichende Durchsetzung von Steueransprüchen zurückzuführen. Darüber hinaus besteht aufgrund einer potenziell hohen Schattenwirtschaft die Gefahr von damit einhergehenden Umsatz- und Einkommensteuerausfällen. In Entwicklungsländern könnte demnach durch Maßnahmen im Bereich der Schwarzgeld- und Korruptionsbekämpfung, der Steuerhinterziehung wirksam begegnet werden.

Betriebsstätten

Das OECD/BEPS-Projekt hat sich das Ziel gesetzt, internationale Steuervermeidungs- und Steuerhinterziehungsstrategien zu bekämpfen. Unter den am BEPS-Projekt beteiligten 62 Staaten waren nur wenige Entwicklungsländer vertreten. Dennoch hat das BEPS-Projekt Auswirkungen auf die Steuerpolitik von Entwicklungsländern. Ein zentrales Vorhaben des BEPS-Projektes ist es, zukünftig das künstliche Vermeiden einer Betriebsstätte zu verhindern. So werden zukünftig Vertriebs- bzw. Kommissionärstrukturen (Vertreterbetriebsstätten) schneller den Status einer Betriebsstätte erlangen. Davon können Entwicklungsländer profitieren, denn eine niedrigere Betriebsstättenschwelle ermöglicht diesen Ländern tendenziell eine Erweiterung ihres Besteuerungsrechts. Diese vermehrte Besteuerung im Quellenstaat wird jedoch zu Steuermindereinnahmen am Sitz des Stammhauses; in der Regel in Industrienationen wie Deutschland, führen.

Die Veröffentlichung von Steuerdaten ist ohne zusätzlichen Nutzen

Zur Herstellung einer größeren Transparenz über die weltweite Einkommensverteilung multinationaler Unternehmen im Bereich der Ertragsteuern entwickelten die OECD-Staaten im BEPS-Prozess ein Konzept einer länderspezifischen Berichterstattung, das sog. Country-by-Country-Reporting (CbCR). Multinationale Konzerne sollen verpflichtet werden, ihre Geschäftstätigkeiten, Gewinne und gezahlten Steuern in den einzelnen Ländern darzulegen. Die CbC-Berichte sollen anschließend ausschließlich zwischen den Steuerbehörden der jeweiligen Länder ausgetauscht werden. Bisher haben lediglich 39 Staaten weltweit die multilaterale Verwaltungsvereinbarung (MCAA) zum automatischen Austausch unterzeichnet – davon 22 EU-Mitgliedstaaten, jedoch keine Entwicklungsländer. Die Entwicklungsländer scheinen mit der Verarbeitung und Erhebung der Daten des MCAA überfordert. Dies zeigt wiederum, dass die Länder im Bereich der Steuerverwaltung unterstützt werden müssen.

Der Vorschlag der EU-Kommission, Ertragsteuerinformationen der europäischen Unternehmen allgemein offenzulegen (ein sog. öffentliches Country-by-Country-Reporting), ist aus Sicht der Industrieunternehmen sehr kritisch zu bewerten. Vertreter von Tax Justice betonen in der Anhörung das allgemeine Interesse der Öffentlichkeit und bezeichnen die Steuerdaten als „public good“. Jedoch muss sich die öffentliche Bekanntgabe von Steuerdaten am deutschen Steuergeheimnis messen lassen. Ohnehin können diese Daten die Informationsfunktion der Öffentlichkeit nicht erfüllen, da es sich, wie in der Anhörung Tax Research beschreibt, beim CbCR ursprünglich um ein Accounting-Modell handelt. Insbesondere sind aber durch die Abweichungen zwischen Handels- und Steuerbilanz sowie den Einfluss von möglichen Verlustvorträgen oder Steuerfreistellungen Fehlinterpretationen durch die Öffentlichkeit zu befürchten. Die Idee des BEPS-Prozesses, dass die Staaten Steuerinformationen durch ein CbCR erhalten, wird auch durch ein nicht öffentliches CbCR erreicht. Ein zusätzlicher Nutzen einer Veröffentlichung dieser Daten besteht somit nicht.

Die Anhörung im Finanzausschuss zeigt auf, wie vielfältig die Diskussion zum Einfluss von Steuerverkürzung auf Entwicklungsländern ist. Bisher unerwähnt ist, dass das deutsche Steuerrecht bereits die Mehrheit der BEPS-Aktionspunkte abdeckt und der Ausgangspunkt für das OECD-Projekt BEPS nicht deutsche Unternehmen waren.