© Deutsche Bank

Ulrich Grillo: Wir in der Wirtschaft verstehen uns als Teil der offenen Gesellschaft

Offene Gesellschaften müssen heute eine Vielzahl von Fragen beantworten: Wie lässt sich verhindern, dass angesichts der Bedrohung durch den internationalen Terrorismus Angst und Verunsicherung entstehen, aus denen Hass und Ablehnung werden? Wie können populistische Strömungen entkräftet werden, die erfahrene Parteien herausfordern und parlamentarischen Einfluss gewinnen? Wie ist zu vermeiden, dass diese Strömungen das Fundament unterhöhlen, auf dem unsere offenen und freiheitlichen Gesellschaften aufgebaut sind?

Hier in Europa, aber auch in den USA, werden die Stimmen immer lauter, die fordern, dass wir uns vom Konzept der offenen Gesellschaft abwenden – und uns stattdessen rückwärts orientieren. Die vor uns liegenden zwölf Monate mit Wahlen in den USA, in Frankreich und in Deutschland werden Monate der Entscheidung. Die Bürger müssen sich fragen: Welche Gesellschaft wollen wir? Wollen wir an unserem Konzept der offenen Gesellschaft festhalten, oder nehmen wir eine Welt der geschlossenen Gesellschaften hin?

Dabei ist die offene Gesellschaft keine Selbstverständlichkeit. Sie stellt sich nicht von selbst ein. Sie muss immer wieder neu erkämpft und verteidigt werden. Sie ist ein Thema, das uns alle angeht und für das wir alle Verantwortung tragen – in der Politik ebenso wie in der Wirtschaft. Deswegen sind die transatlantischen Freihandelsabkommen TTIP und CETA für uns wichtig: Offene Gesellschaften brauchen den offenen Austausch von Menschen, von Ideen, von Meinungen, aber auch von Gütern.

Offenheit, das bedeutet immer auch mentale Offenheit gegenüber den technologischen Entwicklungen, die unsere Zeit prägen – zum Beispiel gegenüber digitalen Innovationen. Offenheit eröffnet uns hier enorme Chancen.

Unsere Unternehmen können den erforderlichen Wandel jedoch nicht allein bewältigen. Sie brauchen politische Unterstützung und Offenheit für Innovation in der gesamten Gesellschaft. Auch hier gilt: Zuversicht ist besser als Pessimismus. Das heißt nicht, dass wir Risiken und Gefahren nicht diskutieren sollten. Natürlich sollten wir das, denn die Diskussion kennzeichnet gerade eine offene Gesellschaft. Entscheidend ist, dass Fortschritt und Innovation das Ziel bleiben. Unsere Gesellschaft muss Innovation wollen. Und sie muss kontinuierlich in Forschung und Entwicklung investieren, weil sie sonst schnell zurückfällt.

Für die Politik in Deutschland heißt das zunächst: Sie muss alles dafür tun, dass ein innovationsfreundliches und innovationsfreudiges Umfeld entsteht – und alles unterlassen, was dem zuwiderläuft. Wir dürfen nicht vom Land der Ideen zum Land der Bedenken werden. Dazu muss die Politik die Expertise aus der Industrie für ihre Entscheidungen einholen und unsere Erfahrungen einbeziehen. Dies ist aus sachlichen Gründen und auch politisch geboten.

Wir in der Wirtschaft verstehen uns als Teil der offenen Gesellschaft. Deshalb wollen wir den Dialog, wollen den Austausch und rufen der Politik zu: Verzichten Sie nicht auf unser Know-how. Auch wir haben gute Ideen!

Gemeinschaftliche Antworten brauchen wir auch hinsichtlich der drängenden Krisen und Kriege in der unmittelbaren Nachbarschaft der EU. Wenn Europa weiterhin nicht zu einem gemeinsamen Weg findet, wird uns das schaden. Der Einwanderungsdruck ohne eine wirkungsvolle Bekämpfung der Ursachen von Fluchtbewegungen wird weiter anhalten.

Gerade bei diesem Thema wird klar: Wir brauchen jetzt wirklich das bessere Europa, von dem in diesen Tagen oft die Rede ist. Wir müssen das „Wir“ in Europa wieder mehr betonen und leben. Und dieses „Wir“ gilt es, auch innerhalb unseres Landes zu stärken. Ich appelliere daher an alle Beteiligten, sich für eine Erneuerung der Partnerschaft zwischen Politik, Wirtschaft und Gesellschaft einzusetzen. Wir brauchen – heute mehr denn je – eine neue Koalition für die offene Gesellschaft.

Wie also muss sie aufgestellt sein, die Wirtschaft in einer offenen Gesellschaft? Sie muss innovativ sein, ideenreich, inspirierend und integrierend. Eine solche Wirtschaft, eine solche Industrie, hat Deutschland. Darauf bin ich stolz, darauf können wir alle stolz sein. Lassen Sie uns gemeinsam dafür sorgen, dass das auch in Zukunft so bleibt.