BDI auf der Hannover Messe

Der BDI rechnet für das laufende Jahr nur noch mit einem leichten Wachstum von Exporten und Industrieproduktion. „Versorgungsnetzwerke und Lieferketten sind zum Zerreißen gespannt. Noch immer beschäftigen uns das Coronavirus und seine Folgen – akut durch die fehlgeschlagene Null-Covid-Politik Chinas, perspektivisch in der Sorge vor einer neuen Virusvariante im Herbst“, sagte BDI-Präsident Siegfried Russwurm am Montag zum Auftakt der Hannover-Messe. „Das macht dieses Jahr extrem herausfordernd und schwächt das Wirtschaftswachstum erheblich.“

Der BDI hält im laufenden Jahr einen Anstieg der Produktion im verarbeitenden Gewerbe von knapp zwei Prozent im Vergleich zum Vorjahr für möglich. Die Zunahme falle geringer aus, als die Industrie sich das vor der russischen Invasion vorgestellt habe. Dies gelte auch bei den Ausfuhren, sagte Russwurm: „Für die deutschen Exporte erwarten wir für 2022 in realer Rechnung einen Anstieg um rund 2,5 Prozent.“ Im Januar war der BDI noch von etwa vier Prozent ausgegangen.

Wegen der immensen Risiken gebe der BDI die Prognose in dieser unsicheren Zeit mit Konditionierungen ab. Eine zentrale Voraussetzung für das Erreichen der Prognose ist demnach, dass die Lieferkettenprobleme in der zweiten Jahreshälfte merklich abnehmen. Zudem müsse russisches Gas weiterhin Westeuropa erreichen, dürfe also hierzulande niemand ein Embargo beschließen. „Eine Unterbrechung russischer Gasexporte würde das Wachstum in Europa abwürgen und unsere Wirtschaft in die Rezession schicken“, sagte Russwurm.

Unternehmen wie Regierungen müssten klimapolitische Anstrengungen bei der Sicherung und Diversifizierung der Energieversorgung von Anfang an im Blick haben, unterstrich der BDI-Präsident: „Kurzfristig geht es vor allem um die Versorgung mit Flüssig-Erdgas, das wir als Brückentechnologie dringend brauchen.“ Der schnellstmögliche Ausbau der erneuerbaren Energien und der Umstieg auf Wasserstoff sollten vorangetrieben werden – durch schnellere Planungs- und Genehmigungsverfahren in einem modernen Staat, der bereit sei, zu entscheiden und umzusetzen, und auch hier auf Digitalisierung setze: „Wir brauchen viel mehr Tempo für Anlagen und Netze, denn Versorgungssicherheit ist das A und O für den Erhalt unserer wirtschaftlichen Stärke.“

Die Industrie befasst sich laut Russwurm intensiv damit, wie sich Rohstoffbezüge absichern und wesentlich stärker diversifizieren lassen. Aus einer neuen Analyse des BDI geht hervor, dass von den 30 Rohstoffen und Rohstoffgruppen, welche die EU als kritisch einstuft, momentan zehn hauptsächlich aus China geliefert werden. Die seltenen Erden, die Unternehmen etwa für Elektrifizierung und in der Windkraft benötigen, würden zu 69 Prozent in China gefördert. Die Aufbereitung zum einsatzfähigen Rohstoff erfolge sogar zu 86 Prozent in China. „Ohne Rohstoffe keine Industrie 4.0, keine Energiewende, keine E-Mobilität“, sagte Russwurm.

„Unser Blick auf das Risiko einseitiger Abhängigkeiten ist inzwischen deutlich geschärft. Diese müssen wir überwinden und sollten dort, wo es möglich ist, auch Deutschland und Europa als Explorations- und Verarbeitungsstandorte nicht ausschließen“, forderte der BDI-Präsident. Dies könne ökologische und soziale Vorteile bieten, denn mit einer nachhaltigen Gewinnung und Weiterverarbeitung von Rohstoffen wüchsen integrierte Wertschöpfungsketten und hochwertige Arbeitsplätze. „Der BDI setzt weiter auf Globalisierung und weltweite Wertschöpfungsketten – China eingeschlossen.“ Aber es sei vernünftig, nicht alle Eier in einen Korb zu legen. „Nachhaltige Rohstoff-Versorgung und diversifizierte Bezugsquellen sind als prioritäres Thema für Forschung und Entwicklung am Innovationsstandort Deutschland klar erkannt.“

Als Technologie der Zukunft steht dem BDI zufolge vor allem Wasserstoff im Fokus der Hannover-Messe. „Für die Wasserstoff-Offensive braucht Europa jetzt dringend mehr eigene Elektrolysekapazitäten und grenzüberschreitende Infrastrukturen, denn wir werden auch als klimaneutrales Industrieland einen großen Teil unseres Energiebedarfs importieren müssen“, verlangte Russwurm. Deshalb sei es wichtig und richtig, dass Politik und Unternehmen gemeinsam globale Energiepartnerschaften etablierten.

„Das menschliche Leid durch den russischen Krieg in der Ukraine und die fortwährenden Brüche fundamentalen Völkerrechts durch Russland markieren die jähe Unterbrechung des gemeinsamen zivilisatorischen Fortschritts in Europa im 21. Jahrhundert“, stellte der BDI-Präsident fest. Nur ein wirtschaftlich starkes Deutschland, ein wirtschaftlich starkes Europa könnten Autokratien die Stirn bieten und notfalls politisch beschlossene Sanktionen auch durchhalten. „Den Preis von Sanktionen müssen wir tragen können, um unsere Standards und Werte der freien, demokratischen Welt zu verteidigen“, sagte Russwurm: „Es ist der Preis dafür, dass sich die Stärke des Rechts durchsetzt und nicht das Recht des vermeintlich Stärkeren.“