Brexit hätte gravierende Folgen für Unternehmensfinanzierung und Finanzmärkte

Die Mehrheit der britischen Bürger hat für einen Ausstieg von Großbritannien aus der EU gestimmt. Die Auswirkungen eines Brexit auf Banken und Finanzdienstleistungen könnten erheblich sein. Deutsche Unternehmen müssen sich auf gravierende Veränderungen einstellen. Entscheidend ist, wie UK und EU künftig miteinander wirtschaftlich kooperieren.

Das Ergebnis des UK-Referendums im Juni 2016 könnte zu erheblichen wirtschaftlichen und politischen Turbulenzen in Großbritannien und dem Rest der EU führen. Für die Abschätzung möglicher Folgen des Brexits für Unternehmensfinanzierung und Finanzmärkte ist zentral, wie die beiden Rechtsgebiete z.B. auch hinsichtlich der gegenseitigen Anerkennung von Zulassungsvorschriften, Beaufsichtigungsstandards etc. künftig miteinander kooperieren und wie sich der EU-Finanzsektor (Banken, Versicherungen, Fonds) strukturell den veränderten Gegebenheiten anpasst. Nachfolgend einige Aspekte, welche Auswirkungen ein Brexit für den Bereich der unternehmensbezogenen Finanzdienstleistungen mit sich bringen könnte: 

  • Wechselkurse: Das britische Pfund hat seit dem Referendum rd. 15 Prozent gegenüber dem Euro abgewertet, zum US-Dollar war der Kursrutsch der britischen Währung noch markanter. Gleichzeitig nimmt die Wechselkursvolatilität zu. Dies mögen kurzfristige Überreaktionen der Märkte sein, aber auch mittelfristig ist ein deutlicher Druck auf die britische Währung wahrscheinlich. Viele deutsche Unternehmen haben im Vorfeld des Referendums mögliche Währungsschwankungen antizipiert und entsprechende Risikovorsorge getroffen. Auch in Zukunft ist mit einem hohen und kostspieligen Absicherungsbedarf zu rechnen.
  • Verbriefungsmärkte: Britische Verbriefungen sind Eckpfeiler des europäischen Verbriefungsmarktes (insbesondere Immobilien, Kreditkarten etc.). ABS-Anleihen britischer Emittenten werden als Sicherheit von der EZB künftig wohl nicht mehr anerkannt. Dies hat Auswirkungen auf die Refinanzierungsmöglichkeiten der Banken, was den Spielraum für die Unternehmensfinanzierung weiter verengt. Emittenten und Investoren an den Verbriefungsmärkten werden ihre Aktivitäten zurückfahren, die Entwicklung des Primärmarktes könnte sich abschwächen. Auch muss mit Auswirkungen auf kontinentaleuropäische Verbriefungen wegen zunehmender Unsicherheit/ Volatilität sowie schwieriger werdender Zusammenarbeit mit britischen Banken bei Verbriefungstransaktionen (europäisches versus UK-Datenschutzrecht) gerechnet werden.
  • EU-Pass: Die Dienstleistungs- und Niederlassungsfreiheit ist ein wichtiger Eckpfeiler des EU-Finanzbinnenmarktes. Sie ist von zentraler Bedeutung für britische, aber auch US-amerikanische und asiatische Banken, Versicherungen und Fonds, Finanzgeschäfte in EU-Staaten auszuüben. Zahlreiche Auslandsbanken operieren derzeit aus UK hierzulande mit „europäischem Pass“, der ihnen bisher den Vertrieb von Finanzprodukten in der EU erlaubt. Mit dem Brexit hätten Anbieter von Bank-, Versicherungs- und Wertpapierdienstleistungen, die derzeit ihren Sitz in UK haben, nur noch begrenzten Marktzugang zu den übrigen EU-Staaten. Für eine uneingeschränkte Tätigkeit in der EU müssten sie in den verbliebenen EU-Staaten lizensierte Institute gründen, von denen aus dann über den EU-Pass die Grundfreiheiten der Niederlassungs- und Dienstleistungsfreiheit in der EU gesichert wäre. Solche Umstrukturierungen sind mit hohen Kosten verbunden und bedürfen häufig der Genehmigung. Einschränkungen gibt es auch auf Ebene der Finanzprodukte bzw. -dienstleistungen. Kapitalmarktfähige deutsche Unternehmen, die Wertpapieremissionen in UK durchführen, könnten u.U. mit veränderten Publizitäts- und Zulassungsvorschriften konfrontiert werden. Dies hängt auch davon ab, ob EU- und UK-Standards in diesen Fragen künftig harmonieren oder sich auseinanderbewegen. Auch vor diesem Hintergrund dürften manche deutsche Unternehmen, insbesondere des Mittelstands, ihre Geschäftsbeziehungen zu ihren Finanzpartnern neu ordnen. Friktionen sind nicht auszuschließen.
  • Banken- und Finanzmarktregulierung: Die veränderte „Machtbalance“ in der EU könnte einer weiteren Verschärfung der Regulierung Vorschub leisten. Davon wäre auch die deutsche Realwirtschaft betroffen. Laufende Gesetzgebungsverfahren (Kapitalmarktunion, Verbriefungen) könnten sich schwieriger gestalten. UK könnte eine weniger strikte Regulierung anstreben, um Standortnachteile auszugleichen. Für dortige Finanzdienstleister und ihre Kunden mag das vorteilhaft sein, aus Finanzstabilitätssicht wäre dies nicht wünschenswert.
  • Vertragskontinuität: UK wird nicht gänzlich vom europäischen Banken- und Kapitalmarktrecht abrücken, zumal zahlreiche europäische Regulierungsmaßgaben bereits umgesetzt sind und hohe Kosten verursacht hatten. Dennoch könnte sich der Brexit auch auf die Vertragsgestaltung vor allem im Kredit- und Versicherungsbereich auswirken. Die Übergangszeit dürfte von Vertragsrisiken und zunehmender Rechtsunsicherheit geprägt sein. Immer mehr Unternehmen sichern daher schon jetzt z.B. Kreditlaufzeiten über entsprechende Öffnungsklauseln ab. Deutsche Unternehmen sind auch im Cash Pooling mit britischen Verbundgesellschaften unmittelbar tangiert. Konzerninterne Finanzierungsverträge werden überprüft.
  • Börsenfusion zwischen Deutsche Börse und LSE: Die deutschen Emittenten bewerten den geplanten Börsenzusammenschluss grundsätzlich als positiven Beitrag, um im weltweiten Wettbewerb vorn zu bleiben und ein umfassendes Dienstleistungsangebot für die Realwirtschaft dauerhaft zu sichern. Der Börsendeal wird mit dem Brexit deutlich komplizierter (Geschäftsaufteilung, Standortfragen stellen sich gegebenenfalls neu). Die veränderte Lage könnte auch bei der aufsichtsrechtlichen Prüfung der Fusion eine Rolle spielen.
  • Startups: Zur Finanzierung junger, innovativer und wachstumsstarker Unternehmen sind effiziente (Finanz)Marktstrukturen erforderlich, an denen es in Deutschland mangelt. Der Brexit könnte für deutsche Startup-Standorte eine Chance sein. Dies ist jedoch kein Selbstläufer. Der deutsche Standort für Wagniskapital müsste durch attraktivere  steuerliche, rechtliche und regulatorische Rahmenbedingungen für Gründungen flankiert werden.
  • Derivate: Signifikante Auswirkungen dürften im Bereich des OTC-Clearings zu erwarten sein. Aktuell werden rd. 90 Prozent der in Euro gehandelten OTC-Derivate, vor allem Zinsderivate und Währungsswaps, in London gehandelt. Manches spricht dafür, dass das auf Euro lautende OTC-Clearinggeschäft tendenziell von London nach Frankfurt verlagert wird. Im Falle eines Brexit dürften britische Zentrale Kontrahenten als „Drittland CCPs“ behandelt werden. Gemäß EMIR darf eine außerhalb der EU ansässige CCP Clearing-Dienstleistungen nur erbringen, wenn sie von der ESMA anerkannt wurde. Wichtiger noch: Bei einem Brexit würden nach geltenden MiFID- und EMIR-Regelungen (Drittstaatenregelung) in London gehandelte Derivate durchweg als OTC-Derivate klassifiziert. Dies hätte weitreichende Folgen: Die Clearingschwelle wird schneller erreicht oder gar überschritten, was entsprechende Clearingpflichten bzw. Risikominderungstechniken auslöst. Dies wiederum übersetzt sich bei den Unternehmen in höheren Aufwand, Verschuldung und schlechteres Rating, bei den Banken in einer Belegung von Eigenkapital, das dann möglicherweise nicht mehr wie bisher für Kredite zur Verfügung steht. Die aktuelle (vor kurzem angepasste) Drittstaatenregelung sieht vor, dass Derivate, die über US-Börsen gehandelt werden, nicht mehr als OTC-Derivate unter EMIR behandelt werden müssen. Es ist fraglich, ob die Europäische Kommission eine Äquivalenzentscheidung zum Vereinigten Königreich kurz nach einem Ausscheiden treffen könnte.
  • Kredittätigkeit: Der Brexit dämpft voraussichtlich die Konjunkturaussichten in Europa/ Deutschland und die weitere Wachstumsdynamik (sinkende Investitionen/Exporte). Dies könnte der weiterhin flauen Kreditnachfrage hierzulande einen weiteren Dämpfer verpassen und so die Situation auch der hiesigen Banken, die unter massivem Margenverfall leiden, weiter belasten.
  • Geschäftsbeziehungen zu britischen Banken: Die Abhängigkeit der deutschen Unternehmen von britischen Banken hat sich in den vergangenen Jahren merklich verringert. Es gibt nur noch wenige wirklich gesunde Banken in UK, die Finanzkrise hat hier sichtbare Spuren hinterlassen. Notwendig werdende strukturelle Anpassungsmaßnahmen auch als Folge des Brexit-Votums werden den Wettbewerbsdruck im britischen Bankensystem weiter verschärfen. Ob die dortigen Institute fundamental gut gerüstet sind, um eine mehrjährige wirtschaftliche Durststrecke zu überstehen, muss sich zeigen. Dies hat auch Relevanz für die vielen deutschen Unternehmen, die sich in UK bislang lokal finanzieren.
  • Equityfinanzierung: Unternehmen, die neben der Notierung an einem deutschen Börsenplatz an der Londoner Börse gelistet sind, müssen u.U. mit einer Erhöhung der Compliancekosten rechnen. Barrieren für die Nutzung des Equitymarktes resultieren nicht nur aus Regulierungen des Primärmarktes, sondern auch aus diversen Complianceanforderungen, die im Zuge des Brexit noch zunehmen könnten. Kapitalmarktaktive Unternehmen müssen gegebenenfalls im Bereich Reporting mit Doppelmeldungen rechnen. Dies bedeutet zusätzliche Bürokratie, Rechtsunsicherheit und Compliancerisiken für die betroffenen Unternehmen. Zentral wird daher sein, das Projekt der Kapitalmarktunion in die EU-Agenda „Bessere Rechtsetzung“ einzubetten. Im Bereich Prospektgesetzgebung sind insbesondere Erleichterungen für die Börsennotierung und der Abbau belastender Bürokratie in der Sekundärmarktregulierung vorzusehen.
  • Anleihemärkte: Kapitalabzug aus UK bzw. Zurückhaltung von Investoren haben im Nachgang zum Brexit-Votum zu einem markanten Anstieg der britischen Langfristzinsen geführt. Insbesondere die Anleihen britischer Banken, aber auch von Unternehmen stehen unter Druck. Mit Gewerbeimmobilien unterlegte Anleihen sind besonders hohen Risiken ausgesetzt. Mit einem anhaltend schwachen Pfund ginge auch die Gefahr eines verstärkten Inflationsdrucks einher, was die Renditen weiter treiben könnte. Allerdings dürften steigende Wachstumsrisiken den Preisauftrieb in Schach halten.
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  • Kapitalflucht in sichere Häfen: Die tendenzielle Umlenkung von Kapital nach Deutschland erhält bzw. erhöht auch auf längere Sicht den weiteren Druck auf Zinsen und Bankenmargen, was die notorisch schlechte Ertragslage der hiesigen Banken weiter schwächt und sich nachteilig auf die Unternehmensfinanzierung auswirken könnte. Überregulierung und Niedrigzinsen hinterlassen sichtbare Spuren. Nur ausreichend profitable Banken sind verlässliche Partner für die Realwirtschaft.
  • Zahlungsverkehr: Zahlungen mit Vertragspartnern aus UK dürften künftig als Auslandszahlungsverkehr mit speziellen Informationspflichten und höherem Verbraucherschutz betrachtet werden. Mit SEPA wurde ein effizienter Weg beschritten, die Zahlungsverkehrspraxis der Unternehmen in der EU zu vereinheitlichen. Mit dem Brexit könnten auf diesem Feld kostenträchtige Fragmentierungen wiederaufleben.
  • Stabilität von Euro/ Währungsunion: Sollte der Brexit Nachahmer bei anderen EU-Mitgliedsländern finden, könnte auch dies den Zinsdruck im Euroraum, insbesondere in Deutschland, weiter verstärken. Zudem würde Währungsspekulation neuen Absicherungsbedarf für Unternehmen gegenüber kritischen Währungen von Noch-WWU-Mitgliedern begründen. Neue Risiken für die Stabilität der Währungsunion wären nicht auszuschließen.

Ob und inwieweit die geschilderten Folgen des Brexit im Einzelnen eintreten, hängt insbesondere von der Gestaltung der künftigen Wirtschaftsbeziehungen zwischen dem Vereinigten Königreich und der EU ab. Ungeachtet dessen sind erste Auswirkungen schon jetzt sichtbar. Mehr Klarheit ist diesbezüglich zu erwarten, wenn UK im Frühjahr 2017 den EU-Austritt startet. Der BDI und die Unternehmensberatungsgesellschaft Deloitte haben in einer Studie untersucht, wie die deutschen Unternehmen den Brexit einschätzen und welche Folgen sie erwarten. Die Sorge vor möglichen Folgen ist jedenfalls sehr ausgeprägt. Die Unternehmen sollten für mögliche Veränderungen gewappnet sein.