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Michael Clauß, Ständiger Vertreter Deutschlands bei der EU © Ständige Vertretung Deutschlands bei der EU

Deutschlands EU-Botschafter: „Wir müssen uns als Exportnation neu aufstellen“

Michael Clauß ist seit 2018 Ständiger Vertreter Deutschlands bei der EU in Brüssel. In seinem Interview mit dem BDI gibt er einen Einblick in seine Arbeit, erklärt, was die Ständige Vertretung in Brüssel von anderen Auslandsvertretungen unterscheidet und vor welchen Herausforderungen er die deutsche Industrie sieht.

Was motiviert Sie für Ihre Arbeit?

Die Ständige Vertretung bei der EU ist eine besondere deutsche Auslandsvertretung. Weniger klassische Diplomatie, dafür aber unmittelbare Wirkung auf den deutschen Politikbetrieb, Wirtschaft und Gesellschaft. Die Chance, an europapolitischen Weichenstellungen und Gesetzgebungsprozessen ganz zentral mitzuwirken, gibt es auf keinem anderen Posten im Auswärtigen Amt. Mein Team und ich haben täglich die Gelegenheit – und damit auch die Verpflichtung – komplexe Verhandlungen zum Erfolg zu führen. Sei es zu Wirtschafts- und Finanzthemen, Handel oder Verbraucherschutz, um hier nur einige Bereiche zu nennen. Ebenso motiviert mich die Kollegialität, die ich im Kreis der 27 Ständigen Vertreterinnen und Vertreter erlebe. Das hilft natürlich, wenn es wieder eine der berühmten langen Nächte im Ratsgebäude durchzustehen gilt.

Wie tragen Sie mit Ihrer Tätigkeit zur Stärkung Europas bei?

Mit meinen Kolleginnen und Kollegen aus den anderen EU-Mitgliedstaaten sitze ich im „Ausschuss der Ständigen Vertreter“, kurz AStV. Hier bereiten wir alle Ministerräte und EU-Gipfeltreffen vor. Wir diskutieren intensiv und schmieden erfolgreich Kompromisse: Ein jüngstes Beispiel sind die Sanktionspakete gegen Russland als Reaktion auf den brutalen Angriffskrieg gegen die Ukraine. Auch während der Covid19-Krise war unser Ausschuss als einziger noch physisch im Rat tätig, quasi als „Maschinenraum“ während des Lockdowns. Wenn wir den Blick etwas weiter richten und über die Stärkung Europas in der Welt reden, ist die europäische Souveränität ein wichtiges Zukunftsthema – von heimischer Halbleiterproduktion über die Erschließung neuer Rohstoffmärkte bis hin zur „Global Gateway“-Strategie, mit der künftig 300 Milliarden Euro für nachhaltige Investitionen mobilisiert werden sollen.  

Was halten Sie für das europapolitische Top-Thema, dem sich die deutsche Industrie in den nächsten sechs Monaten stellen muss?

Wie leben in einer Zeit des Umbruchs mit großen Herausforderungen. Die Auswirkungen des Kriegs in der Ukraine sind enorm und betreffen uns alle. Politisch, wirtschaftlich und gesellschaftlich. Entscheidungen, die auf europäischer Ebene getroffen werden – von Sanktionen über Energiesparmaßnahmen – bedeuten auch, dass die deutsche Industrie sich anpassen muss. Ohnehin hatte der europäische „Green Deal“ mit dem Ziel der EU-Klimaneutralität bis 2050 schon weitreichende Umstrukturierungen und die Transformation der CO2-intensiven Industrien angestoßen. Klar ist: Wir müssen uns neu aufstellen, als Exportnation mitten in der Energiewende. Ich bin optimistisch, dass wir mit deutschem Know-How und Erfindergeist sowie kluger politischer Unterstützung diese Herausforderungen werden meistern können.