Indo-Pazifik für Europa von zunehmender strategischer Bedeutung © Pexels/vraj shah

Die Indo-Pazifik-Strategie der EU – europäischer Ansatz für eine globale Schlüsselregion

Mit ihrer neuen Indo-Pazifik-Strategie unterstreicht die Europäische Union (EU) ihre Ambition, als gestaltender Kooperationspartner in der globalen Schlüsselregion aufzutreten. Zur Verteidigung eigener Interessen und Werte setzt die EU vor allem auf einen breiten Ausbau der Partnerschaften vor Ort. Die deutsche Industrie begrüßt den Ansatz.

Die Indo-Pazifik Strategie der EU hatte keinen leichten Start. Am 16. September 2021 stellte die Kommission die „EU Strategy for cooperation in the Indo-Pacific“ vor. Ausgerechnet am selben Tag kündigten die USA, Australien und das Vereinigte Königreich das Sicherheitsbündnis AUKUS an, das international für viel Aufsehen sorgte. China fühlt sich durch AUKUS geostrategisch eingedämmt und Frankreich hintergangen, da AUKUS das abrupte Aus für Frankreichs „Jahrhundertdeal“ über den Verkauf von U-Booten an Australien bedeutete. Die lang erwartete Strategie der Europäer für den Indo-Pazifik trat deshalb schnell in den Hintergrund. Gerade aus Sicht der deutschen Industrie lohnt es sich allemal, das erste europäische Gesamtkonzept für den wichtigsten globalen Wachstumsraum und die geopolitische Schlüsselregion des 21. Jahrhunderts aufmerksam zu analysieren.  

Motivation für eine umfangreiche Agenda

Das Strategiepapier macht zu Beginn deutlich, warum es für Europa wichtig ist, noch mehr politische Ressourcen für eine ferne und heterogene Region aufzuwenden, die sich von der Ostküste Afrikas bis zu den pazifischen Inselstaaten erstreckt. Der Indo-Pazifik ist laut der Strategie mit 60 Prozent der Weltbevölkerung und 75 Prozent des globalen BIP-Wachstums (2019) „für Europa von zunehmender strategischer Bedeutung“ und ein „Schlüsselakteur bei der Gestaltung der internationalen Ordnung und bei der Bewältigung globaler Herausforderungen.“  Schon heute ist die EU der größte Investor, der wichtigste Geber von Entwicklungshilfe und einer der wichtigsten Handelspartner der Region. Als wesentlicher (geo-)politischer Akteur wird die EU dagegen nicht wahrgenommen. Das soll sich in Zukunft ändern.   

Die EU-Kommission erfindet das Rad nicht neu. Der Handel sowie die grüne und digitale Transformation stehen im Fokus, aber auch Themen wie Gesundheit, Konnektivität, Forschung und Entwicklung, Meeres- und Fischereipolitik sowie Sicherheitspolitik werden abgedeckt. In all diesen Bereichen setzt die Strategie auf eine Vertiefung bestehender Partnerschaften. Das Wort „Kooperation“ im Titel der Strategie ist dabei kein schmückendes Beiwerk. Kooperation mit allen Partnern in der Region ist die zentrale Botschaft der EU. Daraus wird aber erst ein stimmiges Strategiekonzept, wenn man die unterschiedlichen Abstufungen in Bezug auf Ambition und Umfang der anvisierten Kooperationen mit den jeweiligen Partnern betrachtet – je größer die Schnittmengen gemeinsamer Interessen und Werte, desto umfangreicher und tiefgehender die Kooperationsagenda. Deutlich wird dieser Ansatz insbesondere in Bezug auf China.

Kooperation statt Konfrontation

Der europäische Ansatz ist „inklusiv“. Gemeint ist damit vor allem, dass die EU keine Eindämmungsstrategie gegenüber China in der Region verfolgt. Die EU möchte die engen Wirtschaftsbeziehungen zu China weiterführen und insbesondere bei „gemeinsamen Herausforderungen“ wie dem Klimawandel oder der Biodiversität eng mit Peking kooperieren. Die klare Absage der EU an eine konfrontative Eindämmung Chinas und die Betonung eines kooperativen Ansatzes wird jedoch in gewissem Maße relativiert.

Erstens, betont die EU in der Strategie ihr „vielschichtiges“ („multifaceted“) Engagement gegenüber China und nimmt damit Bezug auf den „EU-China Strategic Outlook“ von 2019, in dem die EU China erstmals nicht nur als „Partner und Wettbewerber“, sondern auch als „systemischen Rivalen“ bezeichnete. Ganz in diesem Sinne heißt es in der Indo-Pazifik Strategie, die EU wolle gegenüber China „bei grundlegenden Meinungsverschiedenheiten, wie z. B. im Bereich der Menschenrechte, klare Kante zeigen“ („push back“). Dies ist bemerkenswert, da keine der nationalen Indo-Pazifik-Strategien europäischer Staaten Spannungen in den Beziehungen zwischen der EU und China so ausdrücklich hervorgehoben hat.

Zweitens sendet Europa im Feld der Sicherheitspolitik deutlichere Signale der Besorgnis an Peking als dies bislang der Fall war. Die Strategie erkennt implizit Chinas Versuche an, den regionalen Status quo zu verändern, und erwähnt „Spannungen um umstrittene Territorien und Seegebiete“ sowie eine „erhebliche militärische Aufrüstung, auch durch China“. Sie argumentiert weiter, dass Krisen im Süd- und im Ostchinesischen Meer und in der Taiwan-Straße „direkte Auswirkungen auf die Sicherheit und den Wohlstand Europas“ haben können.

Schließlich ziehen sich Begriffe wie „gleichgesinnte Partner“ und „gemeinsame Werte“ wie ein roter Faden durch die Strategie. Dies deutet auf eine privilegierte Vertiefung von Kooperationen mit demokratischen Marktwirtschaften wie Japan, Südkorea, Australien oder Neuseeland hin. Auch Indien und Singapur werden an einigen Stellen in den Kreis der Gleichgesinnten eingeschlossen. Mit diesen Partnern will die EU insbesondere die zentralen Themen der digitalen und der grünen Transformation auf Basis gemeinsamer Werte und Standards gestalten. Dazu sollen etwa „Digital-Partnerschaften“ und „grüne Allianzen“ geschlossen werden. Auch die Zusammenarbeit in den Bereichen Forschung und Innovation soll mit „Partnern, die gemeinsame Werte teilen“ besonders eng gestaltet werden. Informelle Gespräche zur Einbindung in das EU Horizon-Programm wurden mit Australien, Japan, Südkorea, Neuseeland und Singapur aufgenommen.

Ambitionierte Freihandelsagenda 

Die EU strebt in der Region eine ganze Reihe von Freihandels- Investitions- und wirtschaftlichen Partnerschaftsabkommen an. Weit oben auf der Liste steht ein rascher Abschluss der FTA-Verhandlungen mit Australien, Indonesien und Neuseeland sowie die Wiederaufnahme der Verhandlungen mit Indien.  Die EU möchte zudem prüfen, unter welchen Bedingungen auch mit Malaysia, den Philippinen und Thailand wieder Verhandlungen aufgenommen werden könnten und ob sich ein regionales Abkommen mit ASEAN verhandeln ließe. Die ambitionierte Freihandelsagenda ist begrüßenswert, täuscht jedoch über zwei wesentliche Probleme hinweg. Erstens sind weder die USA noch die EU auf absehbare Zeit in die Gestaltung der regionalen Handelsarchitektur insbesondere RCEP (Regional Comprehensive Economic Partnership) und CPTPP (Comprehensive and Progressive Agreement for Trans-Pacific Partnership), eingebunden. Die Handelsregeln der wichtigsten Wachstumsregion dürften deshalb zunehmend von China geprägt werden. Zweitens bleibt der Graben zwischen dem europäischen Wunsch nach hohen Nachhaltigkeitsstandards, die eine Ratifizierung in der EU politisch erleichtern, und der Bereitschaft von Entwicklungs- und Schwellenländern über Zugeständnisse in diesem Bereich weiterhin sehr groß.    

Aus Sicht des BDIhat die EU mit Ihrer Indo-Pazifik-Strategie die richtigen Schwerpunkte gesetzt. Der Fokus auf regelbasierten Handel, Nachhaltigkeit und Innovation sowie der ausbalancierte Ansatz gegenüber China decken sich auch mit den Forderungen aus einem Papier des Asien-Pazifik-Ausschuss der Deutschen Wirtschaft (APA) zur wirtschaftlichen Zusammenarbeit der EU mit Asien-Pazifik vom Mai 2021. Ob die EU die in der Strategie formulierten Ziele erreichen wird, hängt vor allem auch davon ab, wie erfolgreich zentrale europäische Vorhaben wie der Green Deal oder die Industriestrategie umgesetzt werden. Nur ein erfolgreiches, innovatives und wettbewerbsfähiges Europa ist für die Länder der Zukunftsregion Indo-Pazifik als Kooperationspartner attraktiv.