Energieimpulse aus dem fernen Osten

Im Rahmen eines Kooperationsprojektes mit der Deutschen Akademie der Technikwissenschaften (acatech) hat der BDI im März 2018 eine hochrangige Delegationsreise mit Vertretern der Wirtschaft und Wissenschaft in den asiatischen Raum durchgeführt. Holger Lösch, stellvertretender Hauptgeschäftsführer des BDI, erzählt in einem Interview von seinen Erkenntnissen, vergleicht die Entwicklungen in Asien mit denen in Deutschland und sagt, warum wir am „Image“ der Erneuerbaren im Ausland stärker arbeiten müssen.

Holger Lösch leitet das Kooperationsprojekt mit acatech seit 2016. In dem Projekt werden Strategien der Energieforschung ausgewählter G-20 Länder untersucht und mit Deutschland verglichen. Warum ist so ein internationales Monitoring wichtig? Die Energieforschung ist strategische Energiepolitik, denn die erfolgreichen Forschungsergebnisse von heute werden zu führenden Marktprodukten von morgen. Die internationale Wettbewerbsfähigkeit der Forschung ist deshalb entscheidend für ein Hochtechnologieland wie Deutschland. 

Die Reise nach China, Südkorea und Japan legte nach dem Besuch in den USA im April 2017 bereits den zweiten Baustein in dem durch das Bundesministerium für Bildung und Forschung geförderten Projekt.

Herr Lösch, was war für Sie die wichtigste Erkenntnis der vergangenen Asienreise?

Die eigentliche Klimapolitik stellt keinen wesentlichen Teil der Energiepolitik in diesen Ländern dar, und so werden in der Energieforschung zum Teil andere Ziele verfolgt als in Deutschland. Im Fokus stehen nationale Ziele wie Energiesicherheit und Energieunabhängigkeit, sprich Unabhängigkeit von Energieimporten. So forscht zum Beispiel China an Technologien, die das ausländische Öl durch die einheimische Kohle ersetzen sollen. Japan wiederum setzt einen starken Fokus auf Wasserstoff,  aber auch die globalen Marktchancen der eigenen Industrieunternehmen stellen eine wichtige Priorität in den drei Ländern dar. Die südkoreanischen Batteriehersteller beobachten ganz genau den chinesischen und den europäischen Markt für Elektrofahrzeuge. Sie richten ihre Batterieforschung nach Entwicklungen in diesen Märkten aus.  

Spielen die globalen Klimaziele wirklich so eine nachgeordnete Rolle und das für alle drei Länder?

Alle drei Länder verfolgen nationale Strategien, die im Endeffekt CO2 reduzieren und damit auf Klimaschutz einzahlen. Aber sie formulieren kein ähnlich klares moralisches Primat des Klimaschutzes wie wir es in Deutschland erleben. Die südkoreanische Forschung orientiert sich zum Beispiel sehr stark am Markt. Wenn der Markt Impulse für die Entwicklung von sauberen Technologien gibt, werden die südkoreanischen Hersteller entsprechende Produkte auf den Markt bringen.

Und was mit dem globalen Vorreiter bei den erneuerbaren Energien China? Der Ausbau der Erneuerbaren in China übersteigt den in Deutschland um Einiges.

China nutzt alle verfügbaren Energietechnologien. Erneuerbare spielen eine wachsende Rolle bei der Abdeckung des steigenden Energiebedarfs. Die installierte Leistung von Wind und Solar beträgt in China 294 Gigawatt (GW), das Land verzeichnet die höchsten Zubauraten weltweit. Aber wir sprechen eben auch über den größten Energieverbraucher weltweit mit einer Bevölkerungszahl von knapp 1,4 Milliarden Menschen. Außerdem spiegelt sich der starke Zubau an Wind und Photovoltaik (PV) aufgrund des fehlenden Netzausbaus in der Stromerzeugung Chinas aktuell nicht wieder. In manchen nördlichen Provinzen liegen die Abschaltungsraten der erneuerbaren Energieanlagen bei 40 Prozent. 2016 ging rund 50 Terawattstunden (TWh) erneuerbaren Strom durch Zwangsabschaltungen verloren.

Hat China also ein ähnliches Problem mit dem Netzausbau wie Deutschland?

Ja, allerdings in einer viel größeren Dimension. Während die großen Verbrauchszentren sich im Osten des Landes befinden, stehen die meisten Windräder und Solarzellen aufgrund der günstigeren Witterungsbedingungen im Norden und Westen. Der erneuerbare Strom muss also mit möglichst kleinen Verlusten über riesige Distanzen transportiert werden. Die notwendigen Leitungen fehlen derzeit. Deshalb arbeitet der chinesische Netzbetreiber State Grid Corporation of China (SGCC) an der Entwicklung von Ultrahochspannungsleitungen, die die Verbrauchsorte mit den Erzeugungszentren verbinden sollen.

Eine Alternative zu dem massiven Netzausbau könnte Offshore-Wind bieten, da viele Industriestandorte an der Küste Chinas liegen. Bislang waren die Offshore-Aktivitäten allerdings bescheiden: Das 5 GW Ziel für 2015 wurde nicht erreicht und auf 2020 verschoben.

Es gibt also ein Konzept der „chinesischen Energiewende“?

Ja, allerdings mit einem starken industrie- und geopolitischen Charakter. Der Ausbau von Erneuerbaren soll bis 2020 weiter steigen. Ob der Netzausbau Schritt hält und der Offshore-Ausbau vorankommt ist aktuell noch offen. Wenn nicht, dann ist der enorme Zubau an Wind und Solar nichts anderes als eine weitere Wachstumsspritze für die chinesische Wirtschaft. Die Ultrahochspannungsleitungen von SGCC sollen außerdem einer „Weltumspannungsstrategie“ dienen und zu einer wichtigen Säule der Seidenstraßeninitiative von China werden. Wie strategisch die staatlichen Konzerne Chinas in Europa sowie in Ländern Zentral- und Südostasiens agieren, können wir bereits seit mehreren Jahren beobachten.

Werden in den drei Ländern Diskussionen über einen Ausstieg aus den fossilen Energieträgern geführt ähnlich wie in Deutschland und in anderen EU-Ländern?

Es werden keine ideologischen Debatten geführt, aber die Frage der Zukunft fossiler Energieträger steht auch in Asien auf der Tagesordnung. Generell gilt für alle drei Länder – fossile Energieträger bleiben ein wichtiger Bestandteil des Energiesystems, zumindest in absehbarer Zukunft. Ein ziemlich ambitioniertes Ziel hat allerdings China: Dort wird ein Anteil von 70 Prozent von nicht-fossilen Energieträger am Stromverbrauch bis 2050 angestrebt. Die nicht-fossile Energieträger, oder auch „New Energy“ genannt, beinhalten aber auch die Kernenergie und die Wasserkraft.

In Japan und Südkorea ist die traditionelle Energieerzeugung entscheidend für die Energiesicherheit, auch wenn die erneuerbaren Energien eine zunehmend wichtigere Rolle spielen. Im Gegensatz zu Deutschland können diese Länder keinen Stromaustausch mit ihren Nachbarn betreiben. So spielt die aktuelle Energieisolation Südkoreas sogar in den Diskussionen über eine Wiedervereinigung Koreas eine wesentliche Rolle  – der Anschluss an den Norden würde die Vernetzung Südkoreas ermöglichen und dadurch die Energiesicherheit steigern.

Und was ist mit der Wasserstoffstrategie Japans? Hat diese das Potenzial, das Energiesystem von Japan CO2-neutral zu gestalten?

In der Theorie schon. Es kommt allerdings stark darauf an, wie der Wasserstoff produziert wird – aus Kohle und Gas oder mittels Elektrolyse aus dem erneuerbaren Strom. Zurzeit arbeiten die führenden Technologieunternehmen Japans wie Chiyoda und Kawasaki an Konzepten für globale Wasserstofflieferketten. So soll zum Beispiel Wasserstoff aus billiger und breit verfügbarer Braunkohle in Ländern wie Australien produziert und dann in Tankern nach Japan transportiert werden. In Japan entstehen dadurch keine Emissionen, in Australien schon. So müsste das CO2 in Australien mittels Carbon Capture and Storage (CCS) abgeschieden und unterirdisch gespeichert werden, um eine CO2-Neutralität der gesamten Lieferkette zu gewährleisten. 

Also eine Renaissance der Braunkohle durch die Wasserstoffstrategie von Japan?

Die Wasserstoffstrategie Japans ist ein höchst ambitioniertes Projekt, an dem Regierung, Wissenschaft und Wirtschaft koordiniert zusammenarbeiten. Es gibt eine starke und klare Vision und das langfristige Ziel ist die Produktion des Wasserstoffs aus dem erneuerbaren Strom. Zum heutigen Zeitpunkt ist allerdings der Klimaschutz noch ein untergeordnetes Ziel dieser Strategie. In erster Linie geht es um die Reduktion der Abhängigkeit Japans von teuren Energieimporten.  

Was bedeuten diese Erkenntnisse für Deutschland?

Wir müssen an dem „Image“ der Erneuerbaren im Ausland arbeiten. Die Kosten der erneuerbaren Energie werden in allen drei Ländern zu hoch geschätzt. Die Ergebnisse der jüngsten Ausschreibungen in Deutschland müssen international stärker kommuniziert werden. Außerdem legen wir einen wichtigen Baustein für eine weitere Integration der Erneuerbaren auch im Ausland, wenn wir in Deutschland die Sektorenkopplung erfolgreich meistern.

Genauso wichtig ist es aber, die alternativen technologischen Pfade, die im Ausland beschritten werden, nicht außer Acht zu lassen. Anstatt sie zu bestreiten oder zu ignorieren müssen wir nach Synergien suchen. So sind zum Beispiel japanische Unternehmen an einer Forschungskooperation mit Deutschland zur Produktion vom Wasserstoff aus erneuerbaren Energien interessiert. Der Tunnelblick auf die deutsche Energiewende birgt das Risiko, wichtige Entwicklungen im Ausland zu verpassen.