Energiekosten entwickeln sich zum Investitionshemmnis
Über 600 Milliarden Euro werden bis zur Mitte dieses Jahrhunderts nötig, um die Energiewende zu finanzieren. Entsprechend bewegte sich der Strompreis für die Industrie sowie für die privaten Haushalte in den vergangenen Jahren in nur eine Richtung: steil nach oben, weil mit dem Ausbau der erneuerbaren Energien immer mehr garantierte Umlagezahlungen vom Verbraucher zum Anbieter fließen. Die Jahressumme der Vergütungen nach dem Erneuerbare-Energie-Gesetz (EEG) ist zwischen 2000 bis 2014 auf rund 21,8 Milliarden Euro gestiegen – im Durchschnitt rund 30 Prozent mehr mit jedem Jahr. Für das Jahr 2015 wird mittlerweile mit Kosten in Höhe von 28 Milliarden Euro gerechnet.
Da gleichzeitig auf dem Strommarkt aber eine Koordinierung zwischen konventionellem und erneuerbarem Strom fehlt, entstehen durch Überangebote sogar Situationen, in denen bereits bezahlter Strom an Nachbarländer günstiger verkauft oder gar verschenkt werden muss, bevor die Netze überlaufen und ernsthafte Probleme in der Versorgungssicherheit verursachen. Kostensteigerungen sind aber in jedem Fall programmiert: Überangebote sorgen zwar für fallende Preise an den Börsen, die EEG-Umlage aber gleicht die Differenz zwischen dem Börsenpreis zu den lange zuvor vereinbarten Vergütungssätzen der grünen Stromerzeuger wieder aus. In der Folge steigt auch die EEG-Umlage. Für das Jahr 2016 auf 6,354 Cent pro Kilowattstunde – der bisher höchste Stand.
Eigenerzeugter Strom – ein Beitrag zu Ressourcenschonung, Klimaschutz und Wettbewerbsfähigkeit
Auf der anderen Seite macht es für einige Industriebetriebe Sinn, den eigenen Strom zu erzeugen – und das nicht erst seit den Zeiten von Energiewende und Klimaschutz: Bereits seit den 1930er-Jahren verwendet zum Beispiel die Stahlindustrie sogenannte Kuppelgase, die als Nebenprodukt bei der Stahlerzeugung anfallen, für die Erzeugung von Eigenstrom. Der weitaus größte Anteil an Eigenstrom entsteht tatsächlich bei der Umwandlung der „Abfallgase“ in Strom und Wärme durch hocheffiziente Kraft-Wärme-Koppelung (KWK). Die eigene Stromerzeugung ist typisch für viele Industriezweige mit hohem Strom- und Wärmebedarf wie in der Chemie-, Papier- und Mineralölwirtschaft oder der Automobil- oder Zuckerindustrie. Eigenstromerzeugung ist ökologisch, weil sie CO2 einspart, und effizient, weil sie Energie mehrfach nutzt, und trägt somit zur Ressourcenschonung und zum Klimaschutz bei. Nebenbei können Unternehmen damit mögliche regionale Engpässe in der Stromversorgung ausgleichen und ihre Versorgungssicherheit erhöhen. Also eigentlich eine rundum vernünftige Sache.
Dieses Erfolgsmodell ist jetzt in Gefahr. Denn bisher war immerhin selbst erzeugter Industriestrom nicht Bestandteil des EEG-Umlagesystems – zumal die Unternehmen den so produzierten Strom zu nahezu 100 Prozent selbst verbrauchen und nicht eine Kilowattstunde in die Stromnetze einspeisen. Seit der Novellierung des EEG im Jahr 2014 fällt für einen Teil des eigenerzeugten Stroms aus neuen Anlagen teilweise die Umlage an. Für bestehende Eigenversorgungen, die vor der EEG-Novelle begonnen wurden, gilt ein – befristeter – Bestandschutz. Diese Regelung soll bis Ende 2017 renotifiziert werden. Aktuell geplante Investitionen in hocheffiziente KWK-Anlagen sind somit derzeit nicht realisierbar.
Vergleichbar ist diese Situation mit einem Apfelbaum im eigenen Garten, auf den für jeden selbst gepflückten und zu Hause am Küchentisch verzehrten Apfel Mehrwertsteuer fällig wäre. Dies wirkt nicht nur kurios. Es kostet die deutschen Industrieunternehmen auch enorme Summen Geld. Ein Beispiel: Ein Hüttenwerk produziert im Jahr 2015 rund 5 Millionen Tonnen Roheisen sowie rund 5,5 Millionen Tonnen Stahl und verbraucht dafür 1,8 Terawattstunden (TWh) eigenen Strom aus Kuppelgasen. Bei einer künftigen Belastung mit 40 Prozent der EEG-Umlage (2,468 Cent/kWh) wären damit 44 Millionen Euro fällig. Dazu schmilzt die Umsatzrendite um 26 Prozent von 30 auf 8 Euro je Tonne Stahl. Eine Belastung der Eigenstromumlage mit 20 Prozent der Umlage (1,234 Cent/kWh) verursacht immer noch Mehrkosten in Höhe von 22 Millionen Euro im Jahr und kostet 13 Prozent der Umsatzrendite. Hinzu kommt: Wenn neue, firmeneigene KWK-Anlagen aufgrund dieser neuen Zusatzkosten gar nicht erst in Betrieb gehen und den Strom aus dem Netz kaufen, verursacht diese Strommenge Mehremissionen von 1,01 Millionen Tonnen CO2 im Jahr bei einem angenommenen Durchschnittsfaktor von 562 Gramm CO2/kWh. Außerdem kann noch niemand abschätzen, welche Höhe die EEG-Umlage in den kommenden Jahren erreichen wird. Planungssicherheit sieht anders aus.
Schleichender Verlust der energieintensiven Industrie
Weil Strom im internationalen Wettbewerb ein wichtiger Standortfaktor ist, nimmt der Wettbewerbsdruck auf die große Mehrheit der Industrieunternehmen zu. Zwar werden, richtigerweise, besonders energieintensive Betriebe durch Ausnahmeregelungen von zusätzlichen Belastungen durch die Energiewende geschützt. Anders als in der Öffentlichkeit oft wahrgenommen, liegt dieser Anteil jedoch nur bei vier Prozent – also rund 1.900 von 45.000 Wirtschaftsunternehmen insgesamt.
Für Unternehmen, die aufgrund fehlender Branchenzugehörigkeit und ihrer Unternehmensstruktur die besondere Ausgleichsregelung im EEG nicht in Anspruch nehmen können, würden weitere Belastungen den Kostendruck weiter erhöhen. Eine wettbewerbsfähige Produktion in Deutschland wäre immer weniger rentabel. Andererseits besteht nur mit gestärkter Wettbewerbsfähigkeit eine Chance, den Industrieanteil am Bruttoinlandsprodukt (BIP) zu steigern. Solange die Industrie- und Klimaschutzpolitik nicht aufeinander abgestimmt sind, rückt der von der EU angestrebte Industrieanteil am BIP auf 20 Prozent für 2020 in weite Ferne. Nach wie vor hat Deutschland mit die höchsten Strompreise in der EU, wovon ein bedeutender Teil auf die staatlichen Belastungen geht. Der Standortwettbewerb mit außereuropäischen Ländern wie den USA oder China, in denen die Stromkosten teilweise nur ein Drittel der hier üblichen Kosten erreichen, verschärfen den Wettbewerb zusätzlich.
Erste Folgen sind bereits absehbar. Weil die Gesamtinvestitionen der energieintensiven Industrie im Schnitt aktuell nur noch 85 Prozent ihrer Abschreibung decken, gehen die Investitionen der energieintensiven Industrie im Vergleich zur weniger intensiven Industrie deutlich zurück. Denn wenn der Kapitalstock im Inland stetig schwindet, sinkt die Investitionsbereitschaft und Investitionen im Ausland werden attraktiver – energieintensive Unternehmen wandern schleichend aus Deutschland ab. Wird nicht gegengesteuert, kann dieser Verlust den Industriestandort Deutschland nachhaltig schädigen.
Die Finanzierung der Energiewende durch nationale Umlagen auf den Strompreis ist angesichts weltweit gefallener Energiepreise kaum länger zukunftsfähig. Die EEG-Umlage stellt einen gravierenden Nachteil für die Wettbewerbsfähigkeit deutscher Unternehmen dar. Es muss daher dringend darüber nachgedacht werden, wie ein Ende der staatlich veranlassten, rein nationalen Lasten auf den Strompreis erreicht werden kann. Die Energiewende als gesamtgesellschaftlich akzeptiertes Zukunftsprojekt ist in Gefahr, wenn weiter nur auf ein Umlagesystem zulasten des Strompreises gesetzt wird. Die Energiewende braucht dringend ein zukunftsfestes, ganzheitliches Konzept, wenn sie längerfristig erfolgreich sein will.