Gibt es Bewegung in der Frage der Russland-Sanktionen?

Die Sanktionen waren im Sommer 2014 wegen des Konflikts in der Ost-Ukraine eingeführt worden und betreffen vor allem Rüstungsexporte, die Lieferung von Technologie und Ausrüstung zur Förderung von Erdöl sowie den Bankensektor. Nun zeichnet sich hinter den Kulissen seit einigen Monaten ein vorsichtiger Stimmungswandel in der Sanktionsfrage ab, der vor allem in der Ukraine und den östlichen EU-Ländern wie Polen und Litauen mit großer Sorge gesehen wird.

Bislang war ein Abbau der Sanktionen von der EU an die vollständige Implementierung des Minsk-Abkommens gekoppelt worden. Inzwischen steigt die Zahl der Stimmen, die sich für einen „schrittweisen Abbau der Sanktionen gegen substanzielle Fortschritte im Minsk-Friedensprozess“ einsetzen und eine offene Diskussion über die Sanktionen fordern.

Die 28 EU-Botschafter haben sich im Juni in Brüssel ohne längere Diskussionen für die Verlängerung der Wirtschaftssanktionen gegen Russland bis Januar 2017 entschieden. Auch die russischen Gegensanktionen sind (Lebensmittel, Agrarprodukte) verlängert worden, diesmal sogar bis Ende 2017. Damit bekommt die europäische Wirtschaft auch weiterhin die Folgen der politischen Krise zwischen dem Westen und Russland zu spüren. Diese hat beispielsweise mit dazu beigetragen, dass der Handel zwischen der EU und Russland innerhalb der beiden letzten Jahre von 326 Milliarden auf 206 Milliarden Euro eingebrochen ist.

Möglicher Strategiewechsel

Allerdings zeichnet sich hinter den Kulissen seit einigen Monaten ein vorsichtiger Stimmungswandel in der Sanktionsfrage ab, der vor allem in der Ukraine und den östlichen EU-Ländern wie Polen und Litauen mit großer Sorge gesehen wird. Bislang war ein Abbau der Sanktionen von der EU an die vollständige Implementierung des Minsk-Abkommens gekoppelt worden. Nun steigt die Zahl der Stimmen, die sich für einen „schrittweisen Abbau der Sanktionen gegen substanzielle Fortschritte im Minsk-Friedensprozess“ einsetzen und eine offene Diskussion über die Sanktionen fordern.

Besonderes Gewicht erhielt die Debatte über einen Strategiewechsel durch einen Vorstoß von Bundesaußenminister Frank-Walter Steinmeier. Dieser sprach sich Ende Mai für eine Abkehr vom Prinzip „Alles oder Nichts“ aus. Steinmeier ist derzeit Vorsitzender der OSZE, die den Friedensprozess in der Ost-Ukraine begleitet. Deutschland trägt zudem zusammen mit Frankreich im Rahmen der Normandie-Gespräche bereits seit über zwei Jahren die Hauptverantwortung bei der Vermittlung zwischen Russland, der Ukraine und den Konfliktparteien in der Ost-Ukraine.

Kritik an Sanktionen wächst

Hinter dem möglichen Strategiewechsel stehen verschiedene Überlegungen: Zum einen wächst innerhalb der EU die Zahl der Länder, die das Sanktionsregime gern möglichst bald beenden wollen. Nach einer entsprechenden Resolution im französischen Senat sprach sich zuletzt das österreichische Parlament ebenfalls für den Abbau der Sanktionen aus. Auch Ungarn und Italien drängen auf Fortschritte. Um die notwendige Einstimmigkeit bei der Verlängerung der Sanktionen zu sichern, muss die EU daher eine Balance zwischen auseinanderdriftenden Lagern herstellen. Ein weiterer Grund liegt darin, dass die Wirkung der Sanktionen auf Russland nachlassen wird. Zuletzt war der Ölpreis wieder auf rund 50 Dollar gestiegen, die russische Wirtschaft kommt nach Meinung der meisten Experten spätestens zum Jahresende aus der Rezession. Zudem erzielt die russische Regierung mit ihrer Strategie, durch eine Mischung aus Protektionismus und Anreizen Importe zu substituieren und ausländische Firmen zu einer Produktion im Inland zu bewegen, erste Erfolge, beispielsweise im Agrarbereich. Sanktionierte EU-Agrarlieferungen werden zunehmend durch Eigenproduktion ersetzt, während das Überangebot in der EU zu einem massiven Preisverfall bei Milch, Fleisch und Obst beigetragen hat. Die starke Abwertung des Rubels macht Russland zusätzlich als Produktionsstandort attraktiv. Unter dem Druck der Sanktionen kommt so eine Modernisierung in Gang, die in Russland jahrzehntelang versäumt worden ist. Ein dritter Grund für einen Strategiewechsel ist schließlich im Fahrplan des Minsk-Prozesses selbst zu suchen. Dessen Erfüllung muss von Russland und der Ukraine gleichermaßen vorangetrieben werden, was bislang nach Meinung vieler Experten in beiden Fällen nicht in ausreichendem Maß geschehen ist.

Mehr Unterstützung für die Ukraine

Der Ost-Ausschuss der Deutschen Wirtschaft, der die Interessen deutscher Unternehmen und Wirtschaftsverbände (wie auch den BDI) in Russland, der Ukraine und 19 weiteren Ländern der Region vertritt, sieht in dem Vorschlag von Bundesaußenminister Steinmeier daher eine Chance, nach fast zwei Jahren Stagnation wieder Bewegung in den Minsk-Prozess und damit auch in das Sanktionsthema zu bekommen.

Ein Abbau der Sanktionen und damit eine Entspannung im Ost-West-Verhältnis wäre auch für die wirtschaftliche Entwicklung der Ukraine von Vorteil, die weiterhin unter Investitionszurückhaltung aufgrund der Krisenlage leidet und im vergangenen Jahr einen Rückgang des Bruttoinlandsprodukts um rund zehn Prozent zu verkraften hatte. Neben einer neu justierten Strategie gegenüber Russland, sollte die EU aber auch über zusätzliche finanzielle Hilfen für die Ukraine nachdenken, um den dortigen Reformprozess zu stützen. Es darf sich in Kiew nicht der Eindruck verfestigen, dass in Brüssel das Interesse an der Ukraine nachlässt, sobald sich die Lage mit Russland entspannt. Gerade auch deshalb wäre eine rasche Abschaffung der EU-Visapflicht für ukrainische Staatsbürger jetzt ein wichtiges Zeichen.

Dialog über gemeinsamen Wirtschaftsraum

Aus Perspektive der europäischen Wirtschaft ist es letztlich das Beste, anstelle von gegenseitigen Sanktionen und Protektionismus einen Dialog über einen gemeinsamen Wirtschaftsraum mit Russland und der Eurasischen Wirtschaftsunion aufzunehmen. Einen solchen Dialog könnte man entlang konkreter Aufgabenpakete wie der Vereinheitlichung von Normen und Standards, Erleichterungen bei der Grenzabfertigung, Abbau von Zolltarifen bis hin zu gemeinsamen Infrastrukturprojekten entwickeln.

Dieser Prozess wäre wirtschaftlich für alle von Vorteil, würde es gerade Ländern wie der Ukraine erleichtern, zu einem Scharnier zwischen beiden Wirtschaftsräumen zu werden und könnte dazu beitragen, neues Vertrauen auch für eine politische Wiederannäherung aufzubauen. Die Vision eines „gemeinsamen humanitären und wirtschaftlichen Raumes“ hat bereits Eingang in die Vereinbarungen von Minsk gefunden. Gerade Bundeskanzlerin Angela Merkel hebt in ihren Reden diese Perspektive immer wieder hervor.

Was fehlt ist die Bereitschaft der EU-Kommission einen solchen Dialog zu beginnen. Vielleicht lässt sich hier zumindest die Teilnahme von EU-Kommissionspräsident Jean-Claude Juncker bei der größten russischen Wirtschaftskonferenz Mitte Juni in St. Petersburg als erster Hoffnungsschimmer verbuchen.