Lutherstadt Wittenberg © Fotolia / LiliGraphie

Innovation erfordert Beständigkeitskultur

„Reformation heißt, die Welt zu hinterfragen“ – unter diesem Motto widmet sich Martin von Broock, Vorsitzender des Stiftungsvorstand des Wittenberg-Zentrum für Globale Ethik, dem Zusammenhang zwischen Reformation und dem Spannungsfeld von Innovation und Nachhaltigkeit.

Gerade im Reformationsjahr liegt es nahe, dem Begriff „Innovation“ besondere Beachtung zu schenken: So haben Luther und seine Mitstreiter mit ihrer Idee einer kirchlichen Erneuerung nicht nur selbst Kirche neu gestaltet. Ohne die vorausgegangene Innovation des Buchdrucks hätten sie jene Idee kaum in so kurzer Zeit und mit großer Reichweite verbreiten können. Umgekehrt hat die Reformation dem Buchdruck einen enormen Auftrieb verliehen. Allein Luthers Schriften machten im 16. Jahrhundert bereits ein Drittel der gesamten Druckauflage aus. Gesellschaftlicher Wandel und technologische Innovation gingen also bereits zu Zeiten der Reformation Hand in Hand.

Veränderungsprozesse nicht ohne technologische Innovationen möglich

500 Jahre später blicken wir neuen gesellschaftlichen Herausforderungen entgegen: von der globalen Armutsbekämpfung über die Klimaerwärmung bis hin zur nationalen Energiewende. Und wie damals werden wir die notwendigen Veränderungsprozesse nicht ohne technologische Innovationen bewerkstelligen können. Hierfür leisten Unternehmen in Deutschland herausragende Beiträge.

Allerdings gerät die Innovationsfähigkeit deutscher Unternehmen unter Druck. Nicht durch fehlendes Kapital oder mangelndes Wissen, sondern vor allem durch die abnehmende Innovationsoffenheit der Menschen hierzulande. Gemäß BDI-Mittelstandspanel vertraut lediglich ein Drittel der Bundesbürger technischen Neuerungen; mehr als die Hälfte empfindet die Innovationsgeschwindigkeit als zu hoch.

Herausforderung für Innovation besteht im Einfordern von Vertrauen

Wo liegen die Ursachen für diese Entwicklung? Aus Sicht der Ethik lässt sich dazu Folgendes sagen: Innovationen liegt stets ein Versprechen zugrunde. Neue Technologien sollen das Leben einfacher und besser machen, den Menschen entlasten und ihm neue Freiheiten eröffnen. Diesen Anspruch können Innovationen aber nur zum Preis kurzfristig anfallender Belastungen einlösen. So sind Innovationen immer auch mit der Entwertung bestehender Kompetenzen, mit neuen, meist unbekannten, Abhängigkeiten, Risiken und Nebenwirkungen verbunden. Die zentrale Herausforderung für Innovationen besteht also darin, dass sie Vertrauen für etwas (noch) Unvertrautes einfordern, während zugleich Vertrautes „schöpferisch zerstört“ (Joseph Schumpeter) werden muss, damit Neues entstehen kann.

Innovationskultur erfordert Kontinuitätskultur

Dieser Zusammenhang macht deutlich, dass Innovationskultur stets auch eine Kontinuitätskultur erfordert. Jeder Veränderungsprozess benötigt Konstanten: Werte, Personen oder Strukturen, die gerade nicht zur Disposition stehen, die im Wandel vertrauensbildend wirken und den Weg weisen. Hier könnte nun eine wesentliche Ursache der abnehmenden Innovationsoffenheit liegen. Parallel werden eine Vielzahl vertrauter Errungenschaften in Frage gestellt – im politischen und wirtschaftlichen System, in Unternehmen und Organisationen bis hin zum privaten Umfeld. Gleichzeitig wird bei zunehmender Radikalität der Veränderungsansprüche, Stichwort „Disruption“, zunehmend unklar: An welchen Konstanten sollen und können die Menschen ihr Vertrauen in Innovationsversprechen festmachen? Wer kann glaubhaft vermitteln, dass sich die mit Innovationen einhergehenden Zumutungen lohnen? Und welche Grenzen sollten dabei nicht überschritten werden?

Ausgehend vom Motto „Reformation heißt, die Welt zu hinterfragen“ widmet sich das Wittenberg-Zentrum für Globale Ethik (WZGE) dem aufgezeigten Spannungsfeld von Innovation und Nachhaltigkeit im Dialog mit Partnern aus Politik, Wirtschaft, Kirchen, Zivilgesellschaft und Wissenschaft. Im Mittelpunkt steht dabei die Frage, wie Unternehmen und ihre Entscheidungsträger auch künftig „mitgestaltende Kräfte“ gesellschaftlicher Erneuerung sein können und welche Voraussetzungen dafür von wem zu schaffen sind.