Kreditsituation in der deutschen Industrie weiterhin komfortabel

Deutsche Unternehmen können sich derzeit so günstig wie nie über den Kreditmarkt finanzieren. Während die Kreditangebotsseite eine störungsfreie Bereitstellung von Finanzierungsmitteln für die Unternehmen anzeigt, ist die Kreditnachfrage weiter verhalten. Dies bestätigen alle relevanten Marktindikatoren.

Viele Unternehmen verfügen über genügend Liquidität, um das insgesamt noch schwache Unternehmenswachstum auch ohne Fremdmittel zu finanzieren. Noch schlagen die zahlreichen verschärften regulatorischen Maßnahmen nicht in der Breite auf die Kreditvergabepraxis der Banken durch. Vor allem das allgemein niedrige Zinsniveau überlagert diese Entwicklungen.

Gleichzeitig hat sich die Tendenz zu einer weiteren Lockerung der Kreditstandards für Unternehmenskredite bis zuletzt fortgesetzt. Die Zinsmargen der Banken sind im langjährigen Vergleich außerordentlich niedrig. Der Margendruck im Banken­system ist wettbewerbsbedingt, auch als Folge der Niedrigzinsen enorm hoch. Dies gilt insbesondere im Firmenkundengeschäft mit Großkunden, deren Verhandlungsposition sich in dem für die Banken schwierigen Umfeld sichtlich verbessert hat.

In dieser Situation verzichten immer mehr Banken auf sogenannte Financial Covenants in Kreditverträgen. Viele Unternehmen lassen derzeit erfolgreich Sonderkündigungsrechte und andere Schutzmechanismen für Banken aus ihren Schuldschein- und Kreditverträgen streichen. Wegen fehlender Spielräume bei den Margen sind die Banken dazu bereit. Covenants sind mittlerweile zu einem aktiven Instrument des Bankenwettbewerbs geworden.

Eine weitere Lockerung der Schutzklauseln dürfte die Kreditnachfrage jedoch nicht signifikant anregen. Selbst die massive Absenkung der „Kredithürden“ in den letzten Jahren hat hier keine nennenswerten Impulse gebracht. Vielmehr könnte ein Unterbietungswettbewerb bei den Schutzklauseln neue Risiken für Banken und damit für die Finanzstabilität schaffen. Denn die Erosion der Covenants verengt die künftigen Handlungsspielräume der Banken vor allem in Krisenzeiten.

Geldpolitik mit sinkendem Grenznutzen

Die Geldpolitik der EZB ist wegen hartnäckig niedriger Inflation und lahmender Wirtschaft im Euroraum weiterhin auf hoch-expansivem Kurs. Bislang hat dies noch nicht die erwünschte Wirkung für Kredittätigkeit und Konjunktur gebracht. Mit dem seit Anfang Juni gestarteten Ankaufprogramm für Unternehmensanleihen sollen die EZB-Bilanz weiter ausgeweitet und Anreize für die Kreditvergabe der Banken gesetzt werden. Aus deutscher Sicht dürften diese Maßnahmen Kreditnachfrage und Investitionstätigkeit nicht nennenswert stimulieren. Die Kapital- und Finanzierungsstruktur in der Industrie hat sich seit der Jahrtausendwende zu Lasten der klassischen Kreditfinanzierung verschoben. Die Unternehmen werden bankenunabhängiger. Hohe Liquiditätsbestände und Eigenkapitalfinanzierungen sowie andere Finanzierungsmöglichkeiten wie Leasing, Factoring, Unternehmensanleihen und zunehmend auch die Verbriefung von Handelsforderungen stehen hoch im Kurs. Insofern geht auch die Geldpolitik neue Wege.

Vielmehr könnte sich unternehmensseitig ein Gewöhnungseffekt einstellen: Je länger der Niedrigzinszyklus dauert, umso schwieriger wird eine zinspolitische Kurskorrektur. Vor diesem Hintergrund sinkt der Anreiz, „auf Vorrat“ zu finanzieren. Der Investitionsattentismus der Wirtschaft wird eher noch verstärkt. Zentrale Voraussetzung für ein Anspringen von Kreditneugeschäft und Investitionen ist ein Abbau der Unsicherheit. In mehreren Euroländern engen faule Kredite in den Bankbilanzen den Spielraum für Neuausleihungen ein. Die Bilanzbereinigung ist primär Aufgabe der Banken selbst. Mit mehr Anleihekäufen und weiteren Liquiditätsspritzen durch die EZB ist dem nicht beizukommen.