Maßnahmenpaket der EU-Kommission

Das Maßnahmenpaket „Next Generation EU“ der EU-Kommission wurde am 27. Mai 2020 vorgestellt und umfasst unter anderem einen Wiederaufbauplan von 750 Milliarden Euro für die am stärksten von der Corona-Pandemie betroffenen Regionen und Branchen. Davon sollen 500 Milliarden Euro bis 2024 als nicht rückzahlbare Zuwendungen bereitgestellt werden. 

Weitere 250 Milliarden Euro sind in Form von Krediten angedacht. Die Finanzierung des Pakets soll hauptsächlich über Anleihen erfolgen, die die EU-Kommission am Kapitalmarkt platzieren will. Die Rückzahlung erfolgt über den EU-Haushalt – beginnend im Jahr 2028 und gestreckt über einen Zeithorizont von 30 Jahren. Die EU-Kommission hat zudem einen neuen Vorschlag zum Mehrjährigen EU-Finanzrahmen (MFR) für die nächsten sieben Jahre vorgelegt. Er sieht ein Volumen von 1,1 Billionen Euro vor. Mit dem Maßnahmenpaket verfolgt die EU-Kommission das Ziel, die Mitgliedstaaten bei der Erholung zu unterstützen (erste Säule), die Wirtschaft anzukurbeln und private Investitionen zu unterstützen (zweite Säule) sowie “Lehren aus der Krise zu ziehen” (dritte Säule).

Europäische Aufbau- und Resilienzfazilität (Recovery and Resilience)

Die Aufbau- und Resilienzfazilität ist Bestandteil der ersten Säule („Unterstützung der Mitgliedstaaten bei der Erholung“) des EU-Programms „Next Generation EU“ und trägt mit 560 Milliarden Euro das größte Einzelbudget. Der Vorschlag der Europäischen Kommission sieht vor, dass von der Gesamtsumme maximal 310 Milliarden Euro als Zuschüsse vergeben werden dürfen, der Rest trägt die Form eines Darlehens. Die Fazilität ist ein auf Nachfrage basierendes Programm. Mitgliedsländer sind angehalten, der Europäischen Kommission sogenannte Erholungspläne („Recovery Strategies“) vorzulegen, deren Elemente sich eng an den länderspezifischen Empfehlungen des Europäischen Semester-Prozesses orientieren sollen. Zudem sind Investitionsbedarfe aus den Bereichen Nachhaltigkeit und Digitales, Arbeit und Aufbau einer verbesserten Widerstandfähigkeit der EU zu berücksichtigen. Können die Kriterien als erfüllt angesehen werden, erhält das antragstellende Mitgliedsland Zuschüsse, deren Höhe sich durch die Kennzahlen „Bevölkerung“, „Bruttoinlandsprodukt“ und „Arbeitslosenquote“ bemisst. Erhaltene Zuschüsse können noch durch Darlehen ergänzt werden; der Maximalbetrag liegt hierbei bei 4,7 Prozent des Bruttonationaleinkommens des Antragstellers. Die Auszahlung erfolgt in Raten, die wiederum nur freigegeben werden, wenn die in den Plänen vordefinierten Zwischenziele erreicht wurden. Zudem ist angedacht, dass, ähnlich wie bei der Ausgestaltung des „Just Transition Mechanism“, Mitgliedsländer technische Unterstützung bei der Erstellung und Umsetzung ihrer Erholungspläne beantragen können. Ob diese von der Europäischen Kommission, der Europäischen Investitionsbank oder sogar dem Europäischen Stabilitätsmechanismus geleistet wird, bleibt abzuwarten.

Aufstockung der Kohäsionsmittel – REACT-EU

Die Auswirkungen der Covid-19-Pandemie sowie das Potenzial für die Erholung sind in den einzelnen EU-Mitgliedsländern sehr unterschiedlich, so dass die Gefahr zunehmender Ungleichheiten besteht. Um Asymmetrien und Wachstumsunterschiede zu vermeiden hat die EU-Kommission in ihrem Aufbauprogramm „Next Generation EU“ mehrere Maßnahmen vorgesehen, u. a. die Initiative REACT-EU (Recovery Assistance for Cohesion and the Territories of Europe).
Im Rahmen von REACT-EU sollen bis 2022 zusätzliche Mittel für die Kohäsionspolitik in Höhe von 55 Milliarden Euro bereitgestellt werden, davon 50 Milliarden Euro in den Jahren 2021 und 2022 aus dem Instrument „Next Generation EU“ und fünf Milliarden Euro bereits 2020, indem der derzeitige Finanzrahmen angepasst wird. Die Zuteilung der Mittel soll nach einem neuen Verteilungsschlüssel erfolgen, der die wirtschaftlichen und sozialen Auswirkungen der Krise berücksichtigen wird.

Die zusätzlichen Kohäsionsmittel sollen für Maßnahmen zur Bewältigung der Krise genutzt werden. Dazu gehören Investitionen zur Wiederherstellung der Funktionsfähigkeit des Arbeitsmarkts, unter anderem durch Einstellungszuschüsse, Kurzarbeitsregelungen und Beschäftigungsmaßnahmen für Jugendliche, die Unterstützung der Gesundheitssysteme und die Bereitstellung von Betriebskapital für kleine und mittlere Unternehmen. Unterstützt werden alle Wirtschaftszweige, einschließlich Tourismus und Kultur, sowie wesentliche Investitionen in die grüne und die digitale Wende. Investitionen, die bereits im Rahmen der künftigen Kohäsionsprogramme geplant sind, sollen dadurch verstärkt werden. Ihre Vorschläge für die künftigen kohäsionspolitischen Programme hat die Europäische Kommission angepasst, damit diese gezielter zum Wiederaufbau nach der Krise beitragen können. Sie sollen komplementär zur REACT-EU-Initiative arbeiten und durch flexiblere Regelungen, wie z. B. der Übertragung von Mitteln zwischen einzelnen Fonds, sicherstellen, dass schneller auf Notfallsituationen reagiert werden kann. Die Aufstockung der Kohäsionsmittel ist ebenso wie die Flexibilisierung der Programmumsetzung aus BDI-Sicht in der aktuellen Situation sinnvoll, um die Wirtschaft in den besonders betroffenen Ländern nach der Krise gezielt zu unterstützen. Der Umfang der vorgesehenen Mittel ist für das Ziel angemessen.

Verstärkung von InvestEU

Die zweite Säule von „Next Generation EU“ beinhaltet Maßnahmen, die die Wirtschaft ankurbeln sollen. So soll es auch eine Erweiterung des bereits existierenden Programms „InvestEU“ geben. Dieses soll nicht nur monetär aufgestockt werden, sondern auch ein neues Politikfeld bedienen: „strategische europäische Investitionen“. Hiermit sollen Investitionen in den folgenden Teilbereichen angestoßen werden: Aufbau stärkerer Wertschöpfungsketten in der EU, Förderung kritischer Infrastruktur, Entwicklung neuer Technologien, Förderung neuer unternehmerischer Ökosysteme und grenzübergreifende strategische Projekte. Für die Erweiterung von InvestEU sieht der Plan der Europäischen Kommission 15 Milliarden Euro vor, die letztendlich zu Investitionen in Höhe von 150 Milliarden Euro führen sollen.

Solvency Support Instrument (SSI)

Mit dem Solvency Support Instrument (SSI) schlägt die EU-Kommission ein Eigenmittel-Instrument vor, um notleidende Unternehmen mit eigentlich nachhaltigen Geschäftsmodellen in der Covid-19-Krise zu stützen. Ausgangspunkt ist die Feststellung, dass bestimmte Mitgliedsstaaten außer Stande sind, angemessene Budgetmittel zur Stützung der Firmen bereitzustellen.
Die EU stellt dazu der European Investment Bank eine Garantie über 66,4 Milliarden Euro zur Verfügung. Die Garantie soll Risiken für Eigenkapital vermindern und somit dessen Bereitstellung durch private Investoren erleichtern. Ziel ist die Mobilisierung von insgesamt 300 Milliarden Euro für Unternehmen aus der Realwirtschaft. Das SSI soll eine dritte Säule im EFSI begründen; dementsprechend soll der EFSI-Mechanismus bei den Vergabeentscheidungen Anwendung finden.

Die Garantien werden an nationale Förderbanken und -Institutionen sowie Finanzintermediäre oder Zweckgesellschaften weitergereicht, die Eigenmittel für die betroffenen Unternehmen einsammeln und zur Verfügung stellen. Um der heterogenen Förderkultur in Europa gerecht zu werden, sollen die Transmissionsmechanismen bewusst offen gestaltet werden. Bei der Vergabe sollen „kommerzielle Kriterien“ herangezogen werden, die im Vorschlag nicht näher spezifiziert werden. Für einzelne, in der Regel sehr große Engagements wird auch eine direkte Weiterleitung der Garantien durch die EIB ermöglicht. Angesichts der aktuell besonders gespannten Risikosituation soll die sog. provisioning rate von 35 auf 45,8 Prozent erhöht werden. Damit garantiert die EU einen größeren Teil an den jeweiligen Risiken, als dies bei EFSI-Programmen bisher der Fall war. Genehmigungen der EIB werden bis Ende 2024 erteilt; die operative Umsetzung durch die Eigenkapitalgeber muss bis Ende 2026 abgeschlossen sein. Das Programm wendet sich an Unternehmen mit Sitz in der EU. Garantien für Eigenkapitalzuschüsse dürfen nur im Einklang mit den EU-Beihilferegeln erfolgen. Die dritte Säule des EU-Programms „Next Generation soll dazu dienen, Lehren aus der Krise zu ziehen und die Resilienz der EU zu steigern.


EU4Health-Programm

Die EU-Kommission beabsichtigt, dafür ein neues eigenständiges EU4Health-Programm mit einem Budget von 9,4 Milliarden Euro zu schaffen. Daraus soll in Prävention, Krisenvorsorge, die Beschaffung lebenswichtiger Medikamente und Ausrüstung sowie in die nachhaltige Verbesserung der Gesundheitsversorge investiert werden. Das neue Programm stellt einen deutlichen Anstieg des bisher für Gesundheit allokierten Budgets dar (aktuell 413 Millionen Euro von 2021-2027).

Die Erhöhung des Budgets für die Bekämpfung künftiger Gesundheitskrisen ist ein wichtiges Zeichen: Es muss sichergestellt werden, dass auf europäischer Ebene eine Versorgung der Bevölkerung auch im Falle einer Pandemie oder Epidemie sichergestellt ist. Teil dessen kann die Schaffung einer europäischen strategischen Notfallreserve von Produkten des medizinischen Bedarfs sein, die Bedarfsspitzen in Pandemiefällen für eine gewisse Zeitdauer abfangen kann. Vor allem sollte jedoch Europa als Innovationsstandort der industriellen Gesundheitswirtschaft gestärkt werden. Bereits heute ist Europa einer der weltweit wichtigsten Produzenten und Exporteure von essenziellen Produkten des medizinischen Bedarfs. Deutschland und Europa müssen sich darauf konzentrieren, dass Europa weiterhin ein attraktiver Innovationsstandort für die industrielle Gesundheitswirtschaft und ein Exzellenzentrum der medizinischen Forschung und Entwicklungen bleibt. Dafür muss die EU ein innovationsfreundliches Ökosystem schaffen mit einem klaren Bekenntnis zu gewerblichen und regulatorischen Schutzrechten (insbesondere geistigen Eigentums), gezielten Anreizen für ungedeckte medizinische Bedürfnisse, großflächiger Forschungsförderung und einem einheitlichen Binnenmarkt für Gesundheitsdaten.


Horizon Europe und Digitales Europa

Außerdem soll zur Stärkung der Resilienz der EU das größte Forschungs- und Innovationsprogramm der Welt, Horizon Europe, gestärkt werden. Allerdings fällt die Aufstockung mit zusätzlichen 13,5 Milliarden Euro zu knapp aus. Die erfolgreiche Umsetzung der politischen Ziele des EU-Recovery-Plans und darüber hinaus (Green-Deal/Digitalisierung) ist nur mit verstärkten öffentlichen und privaten Investitionen in Forschung und Innovation zu schaffen. Der neue HEU-Budgetvorschlag stimmt vorsichtig optimistisch. Dieser sieht eine Aufstockung mit 13,5 Milliarden Euro mit Mitteln aus dem EU-Wiederaufbaufonds auf insgesamt 94,4 Milliarden Euro Budget in konstanten Preisen für das weltweit größte Forschungs- und Innovationsprogramm Horizon Europe für 2021-2027 vor. Somit wird de facto sogar eine Steigerung des Budgets von 13,1 Prozent zum ursprünglichen Kommissions-Vorschlag von
2018 (83,5 Milliarden € in konstanten Preisen 2018) vorgeschlagen. Doch die Zustimmung der Mitgliedsstaaten steht noch aus und wir sind weit von den erforderlichen 120 Milliarden Euro für Horizon Europe entfernt, die notwendig wären, um das drei Prozent-Ziel der EU-Ausgaben insgesamt für Forschung und Innovation (gemessen am EU-BIP) zu erreichen.

Im Bereich Digitalisierung setzt die EU-Kommission ein positives Zeichen. Das Programm „Digitales Europa“ erfährt sogar einen leichten Anstieg auf insgesamt 8,24 Milliarden Euro (in konstanten Preisen 2018). Die Kommission setzt darüber hinaus eine wichtige Priorisierung beim Aufbau der nötigen digitalen Infrastruktur. Es ist begrüßenswert, dass ferner 15,3 Milliarden Euro aus dem Recovery-Fonds zur Förderung von privaten Investitionen für Schlüsselsektoren und -technologien (u. a. 5G und KI) bereitgestellt werden sollen.

Nächste Schritte

Die Vorschläge der EU-Kommission für das Maßnahmenpaket und den mehrjährigen Finanzrahmen (MFR) werden im Rahmen einer Videokonferenz der Mitglieder des Europäischen Rates am 19. Juni 2020 erörtert . Mit der Videokonferenz soll eine spätere Ratstagung vorbereitet werden, die voraussichtlich im Juli stattfinden wird. Auch wenn die EU-Kommission den EU-Staaten in ihrem Vorschlag eine wichtige Rolle bei der Entscheidung einräumt, wie die Gelder ausgegeben werden, besteht noch Widerstand vor allem seitens der sogenannten „Sparsamen Vier“. Österreich, Dänemark, die Niederlande und Schweden hatten am 23. Mai einen Vorschlag vorgelegt, in dem eine Vergemeinschaftung von Schulden ausdrücklich abgelehnt wird. Alternativ fordern die „Sparsamen Vier“ in ihrem Papier eine auf zwei Jahre befristete Nothilfe mit rückzahlbaren und zweckgebundenen Krediten. Zuschüsse im Rahmen des EU-Haushalts, wie sie von der EU-Kommission mit einem Volumen von 500 Milliarden Euro vorgesehen sind, sehen die vier Länder kritisch.