Mehr Realismus in der Politik

Anlässlich des Tages der Industrie 2020 (TDI) richtet der BDI gemeinsam mit  den Vizepräsidentinnen und Vizepräsidenten den Appell „Mehr Realismus in der Politik“ an die politischen Entscheider in Europa, dem Bund und in den Bundesländern.

„Die deutsche Wirtschaft blickt auf ein erfolgreiches Jahrzehnt zurück. Die Industrie hat Wohlstand und Beschäftigung in Deutschland und in Europa geschaffen. Heute stehen wir jedoch am Beginn von Einschnitten, die nicht allein auf die Corona-Krise zurückzuführen sind. Jetzt ist der Zeitpunkt für politisches Handeln, bevor Sozialpläne zur Abfederung von umfangreichen Beschäftigungsverlusten geschrieben werden müssen. Wir richten daher diesen Appell an die Politik in Europa, im Bund und in den Ländern als Aufruf zum umgehenden Handeln.

Wie nie zuvor verändert ein globaler, tiefgreifender technologischer und digitaler Wandel Produkte und Produktionsverfahren in den klassischen Industriedomänen. Die deutsche Industrie beweist eindrucksvoll, dass sie diese Herausforderungen des Wandels annimmt und aktiv gestaltet. Permanente Transformation gehört zum Selbstverständnis aller industriellen Unternehmen in Deutschland.

Struktureller Wandel, steigender Protektionismus und die Corona-Pandemie haben zur schwersten Rezession seit Bestehen der Bundesrepublik Deutschland geführt. Dadurch verändern sich die ökonomischen Voraussetzungen massiv. Dies kann nicht ohne Auswirkungen auf politische Entscheidungen bleiben. Politische Maßnahmen in Berlin und in Brüssel müssen sich entlang dieser wirtschaftlichen Realitäten neu ausrichten.

Nachhaltigkeit und Klimaschutz in allen Sektoren muss Deutschland durch konsequente Innovation bei Technologien, Digitalisierung und Energieversorgung erreichen – ohne ein regulatorisches Korsett, das immer enger geschnürt wird und Innovationen abwürgt. Politik, Industrie und Gesellschaft müssen gemeinsam umdenken. Wir brauchen einen Vorrang für die effizienteste und kostengünstigste Lösung zur Vermeidung von Umwelt- und Klimabelastungen. Marktbasierte und technologieneutrale Instrumente sind die notwendigen Mittel der Wahl. Nachhaltigkeit bedeutet auch die Chance auf Wohlstand und eine geringe Schuldenlast für kommende Generationen.

Wir brauchen jetzt einen offenen und konstruktiven gesellschafts- und wirtschaftspolitischen Dialog, auch zu den Belastungsgrenzen für die Industrie in und vor allem nach der Krise. Dazu gehört das Spannungsfeld zwischen gewandelten gesellschaftlichen Ansprüchen und industriellen Realitäten. Wir sagen deutlich: Es geht der deutschen Industrie bei der Bewältigung der technologischen Herausforderungen, der Digitalisierung und des Klimawandels und hier insbesondere in der Frage des Green Deals nicht um das „Ob“, sondern um das „Wie“. Die Industrie braucht Planungssicherheit in der Transformation durch einen neuen Realismus in der Politik. Wenn Deutschland und Europa auf Augenhöhe mit China und den USA bleiben wollen, müssen wir gemeinsam auf die Stärken der Industrie setzen.

Voraussetzungen für Zukunftsfähigkeit sind ein notwendiger Ausbau der erneuerbaren Energien und gleichzeitig ein niedriger Strompreis, eine Beschleunigung der Genehmigungsverfahren für Investitionen am Standort, ein wettbewerbsfähiges Unternehmensteuersystem, eine höhere Akzeptanz und größere Freiräume für neue Technologien sowie ein Eintreten für Menschenrechte in den Lieferketten, ohne die Unternehmen mit unrealistischen Erwartungen zu überfordern. Wenn die politischen Ziele Wirklichkeit werden sollen, dann muss jetzt in diesen Bereichen Realismus einkehren und Konsequenzen folgen.

Die Industrie und ihre Beschäftigten in Deutschland bilden eine maßgebliche Grundlage für Teilhabe und den sozialen Frieden. Damit leisten sie einen wesentlichen Beitrag für die Akzeptanz unseres demokratischen Gemeinwesens und der sozialen Marktwirtschaft. Es liegt im ureigenen Interesse der deutschen Gesellschaft und Politik, diese industrielle Basis zu sichern, zu transformieren und auszubauen.“