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Virtuelle Hauptversammlung © Unsplash/burst

Neues Gesetz zur Einführung virtueller Hauptversammlungen

Aufgrund der COVID-19-Pandemie wurde die Möglichkeit geschaffen, Hauptversammlungen ausschließlich im virtuellen Format abzuhalten. Vor dem Hintergrund der positiven Erfahrungen und der fortschreitenden Digitalisierung des Aktienrechts hat der deutsche Gesetzgeber im Juli 2022 die virtuelle Hauptversammlung als dauerhafte Regelung im Aktiengesetz (AktG) verankert.

Bundestag und Bundesrat haben Anfang Juli 2022 das „Gesetz zur Einführung virtueller Hauptversammlungen bei Aktiengesellschaften und Änderung genossenschafts- sowie insolvenz- und restrukturierungsrechtlicher Vorschriften“ verabschiedet. Neben der Hauptversammlung als Präsenzveranstaltung können Gesellschaften in den Rechtsformen der AG, KGaA und SE damit über das Auslaufen des sogenannten COVID-Gesetzes hinaus („Gesetz über Maßnahmen im Gesellschafts-, Genossenschafts-, Vereins-, Stiftungs- und Wohnungseigentumsrecht zur Bekämpfung der Auswirkungen der COVID-19-Pandemie“) ihre Hauptversammlung als virtuelle Veranstaltung einberufen.

Nach zwei Jahren virtueller Hauptversammlungspraxis hatte sich schnell gezeigt, dass Aktionäre wie Gesellschaften die unbestreitbaren Vorzüge des neuen Formats nicht mehr missen wollen. Mit dem nun verabschiedeten Gesetz ist ein dauerhafter Rechtsrahmen für virtuelle Hauptversammlungen geschaffen worden.

Bundesjustizminister Marco Buschmann erklärte dazu: „Wir nutzen die Chancen der Digitalisierung, um mit einem modernen Aktienrecht den Wirtschaftsstandort Deutschland zu stärken."

Inhalt des neuen Gesetzes

Das Aktiengesetz regeln in § 118a AktG als zentrale Vorschrift die Möglichkeit und Voraussetzungen der virtuellen Hauptversammlung. Eine virtuelle Hauptversammlung (nach § 118a Abs. 1 S. 1 AktG) liegt vor, wenn die Versammlung ohne physische Präsenz der Aktionäre oder ihrer Bevollmächtigten am Ort der Hauptversammlung abgehalten wird.

Für die Durchführung einer virtuellen Hauptversammlung bedarf es einer Satzungsermächtigung, entweder unmittelbar in der Satzung oder als Ermächtigung des Vorstands. Die Ermächtigung ist jeweils auf höchstens fünf Jahre begrenzt.

Die Abhaltung der Versammlung als virtuelle Hauptversammlung wird zum Schutz der Aktionäre u. a. an folgende Voraussetzungen geknüpft:

  • Die gesamte Versammlung ist in Bild und Ton zu übertragen.
  • Es ist die elektronische Stimmrechtsausübung der Aktionäre zu ermöglichen.
  • Aktionäre müssen Anträge in der Versammlung im Wege der Videokommunikation stellen können. Dies umfasst auch Gegenanträge.
  • Die Aktionäre erhalten ein Auskunftsrecht im Wege elektronischer Kommunikation. Dieses Auskunftsrecht kann, wie in der Präsenzversammlung, ausschließlich im Versammlungstermin gewährt werden. Der Vorstand kann allerdings auch entscheiden, dass Aktionärsfragen bis spätestens drei Tage vor dem Versammlungstermin einzureichen sind. Dann gilt Folgendes:

(1) Die Fragen müssen bis einen Tag vor der Versammlung beantwortet werden. Die Aktionäre können in der Versammlung zu diesen Antworten nachfragen.

(2) Zudem können die Aktionäre in der Versammlung Fragen zu neuen Sachverhalten stellen, die sie bis drei Tage vor der Versammlung nicht hätten stellen können.

(3) Lediglich Fragen, die schon vor der Versammlung hätten eingereicht werden können, müssen im Versammlungstermin nicht mehr zugelassen und beantwortet werden. Der Versammlungsleiter kann diese Fragen aber zulassen.

  • Zur Verbesserung der Transparenz ist der Bericht des Vorstands oder dessen wesentlicher Inhalt bereits sieben Tage vor der Versammlung den Aktionären zugänglich zu machen, sofern der Vorstand vorgegeben hat, dass Fragen der Aktionäre bis spätestens drei Tage vor der Versammlung im Wege der elektronischen Kommunikation einzureichen sind.
  • Alle Aktionäre erhalten das Recht, Stellungnahmen im Vorfeld der Versammlung einzureichen, die den Aktionären zudem ebenfalls zugänglich zu machen sind.
  • Es ist ein Rederecht in der Versammlung für die elektronisch zugeschalteten Aktionäre im Wege der Videokommunikation vorzusehen. Fragen, Nachfragen und Anträge dürfen in Redebeiträgen gestellt werden.
  • Es ist den elektronisch zur Versammlung zugeschalteten Aktionären ein Recht zum Widerspruch zur Verfügung zu stellen.

Um Anfechtungsrisiken für die Gesellschaften abzumildern, werden die bestehenden Vorschriften des Aktiengesetzes, die Anfechtungsmöglichkeiten im Falle technischer Störungen begrenzen, auf die virtuelle Hauptversammlung ausgedehnt. Über solche technischen Störungen hinaus bleibt das Anfechtungsrecht eröffnet.

Die virtuelle Hauptversammlung enthält keine gesetzliche Begrenzung bezüglich in ihr zu behandelnder Gegenstände.

Neben Aktiengesellschaften erfasst das Gesetz auch die Versammlungen der verwandten Rechtsformen Kommanditgesellschaft auf Aktien (KGaA), Europäische Aktiengesellschaft (SE) und Versicherungsverein auf Gegenseitigkeit (VVaG).

Alle Regelungen des Gesetzes betreffend virtuelle Hauptversammlungen von Aktiengesellschaften und verwandten Rechtsformen sowie Generalversammlungen von Genossenschaften sind am 27. Juli 2022 in Kraft getreten. Aufgrund einer Übergangsregelung kann der Vorstand mit Zustimmung des Aufsichtsrats darüber entscheiden, ob eine bis zum 31. August 2023 einberufene Hauptversammlung virtuell durchgeführt wird. Danach ist eine entsprechenden Satzungsregelung erforderlich.

Bewertung

Die Schaffung eines Gesetzes zur Einführung virtueller Hauptversammlungen ist im digitalen Zeitalter grundsätzlich zu begrüßen. Insgesamt erfüllt das Gesetz jedoch nicht die Erwartungen, die der BDI an den gesetzlichen Rahmen für eine moderne und praktikable Durchführung virtueller Hauptversammlungen gestellt hatte. Das Format der virtuellen Hauptversammlung dürfte aber zumindest als eine praxistaugliche Option zur Präsenzversammlung angesehen werden können. Die kommende Saison der Hauptversammlungen wird zeigen, ob sich das Format in der Praxis durchsetzen wird.

Ausblick: Reform des Beschlussmängelrechts

Im Hinblick auf die im Zuge des Gesetzgebungsverfahrens zur Einführung virtueller Hauptversammlungen seitens des BDI geforderte Reform des Beschlussmängelrechts haben die Berichterstatter der SPD-Fraktion und FDP-Fraktion angekündigt, dass im Rahmen der aktuellen Legislaturperiode nunmehr eine Reform des Beschlussmängelrechts geplant ist. Das Bundesjustizministerium wird dazu in Kürze in die Vorbereitungen und Prüfungen einsteigen.

Aus Sicht des BDI sollte die Reform zum Ziel haben, das rechtliche Risiko der Unternehmen für die Auskunftserteilung in der Hauptversammlung auf ein vertretbares Maß zu reduzieren. Die allseits geforderte offene und lebendige Debattenkultur in deutschen Hauptversammlungen ist nicht realistisch, wenn den Unternehmen bei der Auskunftserteilung weiterhin umfängliche prozessuale und haftungsrechtliche Risiken auferlegt werden.