Rechtsstaatlichkeit: EU-Kommission leitet Vertragsverletzungsverfahren gegen Polen ein

Bereits seit Ende 2015 verhandelt die EU-Kommission mit der polnischen Regierung über die umstrittenen Gesetze zur Justizreform. Nachdem sie den Rahmen zur Stärkung des Rechtsstaatsprinzips voll ausgeschöpft hat, erreichte die Auseinandersetzung mit der Einleitung eines Vertragsverletzungsverfahrens im Juli 2017 eine weitere Eskalationsstufe. Ausgang ungewiss.

Auch die polnischen Sozialpartner haben sich zusammen mit dem europäischen Dachverband BusinessEurope in die Diskussion eingebracht und in einem gemeinsamen Positionspapier kritisiert, dass die Reformen negative Auswirkungen auf Polens Attraktivität für internationale Investitionen haben könnten.

Mit der Einleitung eines Vertragsverletzungsverfahrens nach Artikel 258 AEUV (Vertrag über die Arbeitsweise der Europäischen Union) Ende Juli 2017 wurde vorerst ein neuer Höhepunkt in der Auseinandersetzung erreicht. Anlass war das Inkrafttreten zweier Gesetze zur nationalen Hochschule für Gerichtsbarkeit sowie zur Neuordnung der normalen Gerichte: Diese erlauben dem polnischen Justizminister, alle leitenden Richterinnen und Richter zu ernennen und zu entlassen, die an gewöhnlichen Gerichten einschließlich der Berufungsgerichte tätig sind.

Im September 2017 wurde die zweite Phase des Verfahrens eingeleitet und die polnische Regierung erneut aufgefordert, geeignete Maßnahmen zu ergreifen, um die rechtlichen Bedenken der Kommission zu beseitigen. Geht die polnische Regierung auch auf dieses Schreiben nicht ernsthaft ein, kann die Kommission im nächsten Schritt den Europäischen Gerichtshof einschalten. Parallel behält sich die Kommission zudem vor, dass die Mechanismen gemäß Artikel 7 EUV (Vertrag über die Europäische Union) direkt aktiviert werden, falls eine plötzliche Verschlechterung eine stärkere Reaktion seitens der EU erfordern sollte.

Dieses Ultima-Ratio-Verfahren – an dessen Ende der betroffene Mitgliedstaat seine Stimmrechte im Rat verlieren kann – wurde bisher noch nie angewandt. Jedoch wird es dazu möglicherweise nicht kommen, da der ungarische Ministerpräsident Viktor Orbán im Vorfeld angekündigt hat, die im Rat dafür notwendige Einstimmigkeit zu blockieren. Viviane Reding, ehemalige Vizepräsidentin der Europäischen Kommission, hat vor diesem Hintergrund eine Erneuerung der Europäischen Grundrechtecharta gefordert: Sie solle für Mitgliedstaaten nicht nur bei der Anwendung europäischen, sondern auch nationalen Rechts gelten. Zudem schlägt sie vor, dass für Mitgliedstaaten, die die gemeinsamen Werte der EU missachten, EU-Fonds einfacher ausgesetzt werden können.