Zukunft der Wertschöpfung

Zur Pressekonferenz mit der Bundesbildungsministerin und dem DGB-Vorsitzenden zur Zukunft der Wertschöpfung äußerte sich BDI-Präsident Siegfried Russwurm. Es sei erfreulich, dass das neu vorgestellte Förderprogramm relevante Forschungsbereiche und Akteure frühzeitig verzahne.

Die Bundesregierung hat im Juni 2020 beschlossen, die Krise nicht nur in der akuten Phase zu bekämpfen. Mit einer 50-Milliarden-Tranche des Konjunkturpakets unter dem Titel „Zukunftspaket“ will der Bund einen beachtlichen Beitrag leisten, die Wettbewerbsfähigkeit unseres Standortes zu verbessern.

Auch wenn die Umsetzung in konkrete Programme und Auszahlungen erst langsam anlaufen, so ist die Botschaft der Bundesregierung doch sehr klar: Es geht in der Pandemie nicht nur um das „Jetzt“ und „Heute“, sondern ganz entscheidend um das „Morgen“ – und um die langfristige Zukunftssicherung für den Industrie-, Export- und Innovationsstandort Deutschland.

Daher ist der Titel des Programms, über das wir heute sprechen, aus Sicht des BDI sehr passend: „Zukunft der Wertschöpfung“.

„Wertschöpfung“ passiert an vielen Stellen in unserer Gesellschaft, aber eines hat sich in der Pandemie-Krise wieder gezeigt, genauso wie zuletzt in der Bankenkrise 2008/2009: Die Industrie ist das Rückgrat der deutschen Wirtschaft und erweist sich in der Krise als außerordentlich robust.

Auch an unseren Unternehmen geht die Krise nicht spurlos vorbei: Untersuchungen der Expertenkommission Forschung und Innovation zeigen, dass viele forschende Unternehmen ihre FuE-Ausgaben drastisch zurückfahren mussten – nicht aus bösem Willen, sondern als Überlebensfrage. Laut EFI sind 45 Prozent der Unternehmen im Verarbeitenden Gewerbe davon betroffen.

Dazu kommt ein historisch und auf lange Zeit belasteter Bundeshaushalt. Und gerade, weil beide Säulen der Forschungsfinanzierung unter Druck stehen, ist es wichtiger denn je, dass das von Politik und Wirtschaft vereinbarte 3,5-Prozent-BIP-Ziel für FuE-Aktivitäten bis 2025 bestehen bleibt.

Die Frage danach, „wie“ und „wovon“ wir in Zukunft leben wollen, geht uns alle an. Daher begrüßen wir die frühzeitige Verzahnung relevanter Forschungsbereiche und Akteure, die das Programm des Bundesministeriums für Bildung und Forschung vorsieht.

Dabei sind drei Aspekte besonders zu beachten:

(1) Anwendungsförderung: Im Fokus muss der flexible Transfer von Forschungsergebnissen in prototypische Beispiele stehen, die in unseren Unternehmen rasch in die Praxis kommen können – auch und gerade um zu evaluieren, ob daraus tatsächlich Kundennutzen entsteht und damit die Chance auf ein dauerhaftes Geschäftsmodell.

(2) Industriebeteiligung: Für Verbundprojekte und die Identifizierung von Handlungsfeldern braucht es die Innovationsexpertise der Wirtschaft. Mit zwei Dritteln der FuE-Ausgaben in Deutschland finanzieren unsere Unternehmen schon jetzt den Löwenanteil der Innovationsentwicklung. Diese gesellschaftliche Leistung verdient Anerkennung – und ganz sicher keine Geringschätzung oder gar Stigmatisierung.

(3) Vernetzung mit bestehenden Strategien: Der globale technologische Wettbewerb – „systemisch“ mit China, aber ebenso mit dominierenden Unternehmen in den USA – stellt Deutschland und Europa vor die Herausforderung, die eigene Souveränität in kritischen Infrastrukturen und Schlüsseltechnologien auszubauen.

Dabei darf Souveränität nicht missverstanden werden als Autarkie. Vielmehr ist Souveränität als Entscheidungsfreiheit – auch in Technologiefragen – die notwendige Grundlage für unser Wertschöpfungsportfolio der Zukunft.

Deshalb ist es sinnvoll, Programminhalte mit Initiativen zur technologischen Souveränität und Industrie 4.0 verknüpfen.

Ganz besonders entscheidend ist, den Menschen als Mittelpunkt auf den Pfad dieser Entwicklung mitzunehmen. Der Einsatz von KI, von autonomen Systemen bis hin zu CoBots wird unsere Wertschöpfung fundamental ändern.

Deshalb möchten wir als Wirtschaft den im Bündnis Zukunft der Industrie beschrittenen Weg weitergehen und uns im Austausch mit Gewerkschaften und Politik den großen Herausforderungen stellen:

(1) Stichwort Transfer: Deutschland ist in vielen Feldern führend, von der Automation bis zur Sensorik, von der Raumfahrt bis zur Gesundheitstechnik, und jüngst sehr prominent bei der Entwicklung des Corona-Impfstoffs. Was zu kurz kommt, ist der effiziente und marktorientierte Transfer in konkrete Produkte und Dienstleistungen. Die Industrie braucht dafür ein geeignetes Innovationsumfeld mit Reallaboren genauso wie den höchst begrüßenswerten IPCEIs auf EU-Ebene.

(2) Stichwort Fokussierung: Die Industrie ist Teil der Lösung großer gesellschaftlicher Transformationsprozesse. Sie wird aber nur am großen Ganzen mitwirken können, wenn es klar definierte und von einem breiten Konsens getragene Innovations-Missionen gibt, die klug verknüpft sind mit europäischen Innovationsprojekten.

(3) Stichwort Bildung: Corona legt den Nachholbedarf im Bildungssystem drastisch offen. Digitalisierung und Wissensvermittlung in der Ausbildung sind leider in vielerlei Hinsicht noch immer Antipoden – nicht nur in der Schule.

Das muss sich radikal ändern, damit die Menschen, die wir gemeinsam als die Mitte der Wertschöpfung sehen, die digitalen Entwicklungen beständig mitgehen können.

(4) Stichwort Geschwindigkeit: Technologische Schwergewichte, wie China und die USA, gehen mit viel Mut und Kapital bei Innovationen voran. Aus Sorge vor zu viel Risiko darf die Politik hierzulande nicht weiter zurückfallen. Mut und Geschwindigkeit sind mehr denn je Grundpfeiler unserer Wettbewerbsfähigkeit auch in Zukunft.

Das heißt nicht, dass wir Risiken fahrlässig ausblenden – doch wenn Risikovermeidung an erster Stelle steht, dann erscheint auf den ersten Blick die „Nulloption“ als attraktiv, das Festhalten am Bewährten. Unterschätzt wird dabei, dass im globalen Wettbewerb diese „Nulloption“ das größte Risiko für die Zukunftsfähigkeit des Landes darstellt.

Nur durch eine Kultur der Offenheit für Neues und einen starken Teamgeist von Politik und Wirtschaft – den Unternehmern und den Beschäftigten – wird es gelingen, den Industriestandort zu modernisieren – und übrigens auch die ambitionierten klimapolitischen und digitalpolitischen Ziele zu erreichen.

In einer neuen „Normalität“ braucht es eine neue Kultur agilen Handelns, die flächendeckend zu mehr Geschwindigkeit im Innovations- und Wertschöpfungssystem führt. Nur so sichern wir gemeinsam die „Zukunft der Wertschöpfung“.