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Haben Demokratie und Soziale Marktwirtschaft eine Zukunft?

Die Gesellschaft debattiert über soziale Gerechtigkeit – intensiv, vielschichtig und aus vielen Perspektiven. Dabei wird die Idee der Sozialen Marktwirtschaft als Relikt verstanden. Ihre Akzeptanz als gerechte Wirtschaftsordnung hat in den vergangenen Jahren zunehmend gelitten.

Über viele Jahrzehnte stand die Soziale Marktwirtschaft in Deutschland für ein wirtschafts- und gesellschaftspolitisches Versprechen: Ein stabiles Wachstum und wirtschaftlicher Erfolg für Unternehmen ermöglichten Aufstiegschancen und Wohlstand für alle Bürger sowie einen maßvollen sozialen Ausgleich. In den ersten Jahrzehnten der alten Bundesrepublik gab es kaum ernsthafte Zweifel an der Tragfähigkeit dieses Modells.

Die laufende Transformation der Wirtschaft steigert den Wohlstand insgesamt, hat aber auch eine wachsende Zahl derjenigen zur Folge, für die es schwierig werden wird, den Strukturwandel zu bewältigen. Kann die Soziale Marktwirtschaft ihr Versprechen auf Wohlstand, Wachstum und Fortschritt angesichts der Megatrends wie Globalisierung, Digitalisierung und Klimawandel heutzutage noch halten? Wer sind die Gewinner bzw. Verlierer dieser Megatrends? Hat die soziale überhaupt Marktwirtschaft eine Zukunft? Diesen Fragen diskutieren wir am 6. Oktober 2021 im Rahmen der Veranstaltungsreihe #WirtschaftistGesellschaft mit Bundespräsident a. D. Joachim Gauck.

Soziale Marktwirtschaft unter Druck

Walter Eucken formulierte sieben Prinzipien für den Ordnungsrahmen der Sozialen Marktwirtschaft: offene Märkte, Vertragsfreiheit, Konstanz der Wirtschaftspolitik, Privateigentum, Haftung, Primat der Währungspolitik und ein funktionsfähiges Preissystem. Zentrale Elemente dieser Prinzipien sind in den vergangenen Jahren durch Ereignisse und Entwicklungen unter Druck geraten: Die internationale Finanzmarktkrise seit 2007, die Staatsschuldenkrisen in der EU, die zunehmende internationale Konkurrenz aus anderen Staaten, aber auch das Fehlverhalten einzelner Unternehmen und Verantwortlicher haben das Vertrauen in unsere Wirtschaft und die bestehende Ordnung beschädigt. Hinzu kommen die wirtschaftlichen und technologischen Erfolge staatlich gelenkter Wirtschaftssysteme wie in China, die wiederum in Europa und Deutschland industriepolitische Neigungen in der Politik verstärken.

China verkündet eine neue Ära eines Sozialismus chinesischer Prägung. Die Kommunistische Partei erhebt den Anspruch auf umfassende Kontrolle aller Gesellschafts- und Wirtschaftsbereiche, der Staatssektor wird wieder gestärkt, Ideologie spielt abermals eine herausgehobene Rolle. Dem industriepolitischen Masterplan „Made in China 2025“ zufolge sollen chinesische Unternehmen durch immense Förderprogramme zu weltweiten Technologieführern in Schlüsselindustrien aufsteigen.

Allerdings werden diese Interventionen langfristig zu neuen problematischen Überkapazitäten und ineffizientem Wirtschaften führen – und allenfalls kurzfristige Erfolge haben. Kapitalismus mit sozialistischer Planung und Härte zu verbinden, das unterdrückt langfristig die enormen Wohlfahrtseffekte einer marktwirtschaftlichen Wirtschaftsordnung. Bei allem Respekt vor den ökonomischen und technologischen Leistungen Chinas: Auf dem Weg in das 21. Jahrhundert sollten wir Freiheitsoptimisten bleiben. Es wäre falsch, unser erfolgreiches Modell wegen dieser Konkurrenz zu verändern, deren langfristige Wirksamkeit noch unsicher ist.

Warum sich Freiheitsoptimismus auszahlt

Vor diesem Hintergrund erscheint vielen Menschen in Deutschland die Soziale Marktwirtschaft als ein scheinbar nicht mehr zeitgemäßes Konstrukt aus den 1950er Jahren. Das Vertrauen in die Marktwirtschaft hat stark abgenommen, der Glaube an die vermeintlich schützende Regelungskraft des Staates wächst. Dabei kommt zu kurz, dass es sich bei der Sozialen Marktwirtschaft gerade nicht um eine bestimmte Politik und damit um vordefinierte Maßnahmen aus einem Instrumentenkasten handelt, sondern „nur“ – und hierin liegt gerade ihre Stärke – um ein Leitbild für Politik, Wirtschaft und Gesellschaft. Dennoch erscheint es paradox: Deutschland konnte durch angebotsorientierte Reformmaßnahmen im Rahmen der Agenda 2010 wie kaum ein anderes Land in Europa die eigene Wettbewerbsfähigkeit steigern. Auch die Sozialpartner sind dabei ihrer Verantwortung gerecht geworden.

Zugleich profitiert die deutsche Wirtschaft in besonderer Weise von der Globalisierung und von offenen Märkten. Denn die deutsche Wirtschaft ist besonders stark in den Welthandel integriert. Jeder vierte Arbeitsplatz in Deutschland hängt vom Export ab, in der Industrie ist es sogar jeder zweite. Sie stellt tausende Unternehmen, die mit hochspezialisierten Produkten als Global Player erfolgreich auf den Weltmärkten aktiv sind. Trotz dieser Erfolge werden die Ergebnisse globalen Wirtschaftens von weiten Teilen der Bevölkerung nicht mehr als sozial im Sinne ihres Verständnisses von einer Sozialen Marktwirtschaft empfunden. Wachsende regionale Disparitäten und nur behutsam steigende Reallöhne verstärken diese Wahrnehmung.