Verschiedene Stahloberflächen © thyssenkrupp AG

„Wir formen cross-industrielle Verbünde“

Mit Carbon2Chem sucht thyssenkrupp einen Weg, die in der Stahlproduktion anfallenden Gase direkt in der Chemieproduktion einzusetzen, um so den CO2-Ausstoß zu senken. Markus Oles, Leiter Innovation Strategie und Projekte der thyssenkrupp AG erklärt, warum das ein vielversprechender Weg ist.

Herr Oles, thyssenkrupp hat sich vorgenommen, 30 Prozent seiner Emissionen bis zum Jahr 2030 einzusparen. Wie wollen Sie das erreichen?

Wir haben in der Tat sehr ambitionierte Ziele. Bis zum Jahr 2050 wollen wir klimaneutral sein und zwar umfassend: sowohl für unsere direkten Emissionen – dem sogenannten „Scope 1“ – und die Emissionen aus dem Energiebezug, das ist der „Scope 2“, als auch für die Emissionen in unserer Wertschöpfungskette, dem „Scope 3“. Auf dem Weg dahin haben wir uns vorgenommen, bis 2030 bereits 30 Prozent der Summe unserer Emissionen aus Scope 1 und 2 im Vergleich zu 2018 zu reduzieren. Scope-3-Emissionen sollen um mindestens 16 Prozent sinken. Dazu haben wir eine sehr differenzierte Strategie entwickelt. In der Stahlerzeugung haben wir zwei Ansatzpunkte: Auf der einen Seite wollen wir die Emissionen bei der Roheisenerzeugung durch den Einsatz von Wasserstoff im Direktreduktionsverfahren reduzieren. Diese Technologie wollen wir auf der anderen Seite verknüpfen mit unserer Carbon2Chem-Technologie, bei der wir die in der Stahlproduktion entstehenden Hüttengase erstmals für die Herstellung von Chemikalien einsetzen.

Was genau passiert künftig mit den Hüttengasen?

Bei der Direktreduktion mit Wasserstoff werden auf lange Sicht fast keine CO2-Emissionen mehr entstehen. Bei Carbon2Chem werden wir die Hüttengase mitsamt des enthaltenen CO2 als Ausgangsstoff für chemische Produkte nutzen. Die Chemie modifiziert Kohlenstoffverbindungen in großem Umfang und im Gegensatz zur Stahlerzeugung ist der Einsatz von Kohlenstoffverbindungen hierbei alternativlos. In der Chemie kann ein Kohlenstoffatom nicht einfach durch ein Stickstoffatom ersetzt werden, das wäre eine völlig andere chemische Verbindung. Deswegen werden die Kohlenstoffverbindungen weiter gebraucht. Eine Quelle hierfür sind die die Gase, die in der Hütte bei der Stahlherstellung entstehen.

Was ist innovativ an dieser Lösung?

Innovativ sind zwei Dinge: Zum einen verknüpfen wir die Prozesse zweier großer Industrien miteinander. In der Vergangenheit hat man die Wertschöpfungsketten immer getrennt aufgesetzt. Wir formen cross-industrielle Verbünde. Wir fangen an, Kohlenstoffverbindungen im großen Kreislauf zu führen, was bisher so auch nicht getan wurde. Noch haben wir diesen Kreislauf nicht vollständig geschlossen. Das wollen wir aber in einer zweiten Phase von Carbon2Chem erreichen, in der wir zum Beispiel die Müllverbrennung und andere Prozesse ebenfalls in den Kreislauf integrieren. Mit der Weitergabe des Kohlenstoffs von einer Industrie zur anderen, senken wir die CO2-Emissionen signifikant. Zum anderen setzen wir von vorne herein deutlich weniger Kohlenstoffverbindungen ein, reduzieren also den Rohstoffeinsatz.

 

„In der Vergangenheit hat man die Wertschöpfungsketten immer getrennt aufgesetzt. Wir formen cross-industrielle Verbünde.“

Vor welchen technischen Herausforderungen stehen sie dabei?

Sowohl Carbon2Chem als auch die Direktreduktion können nur gelingen, wenn wir eine Energiequelle nutzen, die keinen CO2-Footprint hinterlässt. Denn da beißt sich die Katze in den Schwanz: Wenn wir für die Direktreduktion oder für die Umwandlung der Hüttengase bei Carbon2Chem fossile Energieträger nutzen, erzeugen wir wiederum CO2. Wenn wir aber erneuerbare Energien nutzen, liegt eine weitere technische Herausforderung darin, dass die Prozesse sowohl in der Stahl- als auch in der Chemieindustrie mehr oder weniger kontinuierlich fahren, erneuerbare Energien aber sehr hohen Schwankungen unterliegen. Das müssen wir im Industrieprozess abbilden und stabil lösen.

Und wie lösen Sie das?

Wir haben eine sehr gute Lösung gefunden: Wasserstoff. Wir brauchen Wasserstoff in großen Mengen, zum einen für die Direktreduktion und bei Carbon2Chem. Und diese riesigen Mengen Wasserstoff müssen CO2-frei produziert werden. Wir können also in Phasen, wo es einen Stromüberschuss gibt, diesen auch zur Herstellung von Wasserstoff nutzen. Das ist einer der Forschungsansätze von Carbon2Chem: Schaffen wir es, die Elektrolyse so hoch volatil zu fahren, wie uns Energie angeboten wird? Und genau das konnten wir jetzt im Projekt zweifelsfrei nachweisen. Wir können mit unseren Alkalischen Elektrolyseuren dem Profil der erneuerbaren Energien in einem Zeitraum unter 30 Sekunden folgen. Den bei Stromüberschuss erzeugten Wasserstoff können wir als Gas auf Vorrat halten und so die hohe Volatilität abfedern.

Bisher nutzen Sie die Hüttengase, um Strom zu produzieren. Woher wollen Sie künftig den Strom beziehen, wenn Sie die Hüttengase an die Chemie abgeben?

Das ist richtig, wir werden in Zukunft weniger Hüttengase zur Verfügung haben, um eigenen Strom zu erzeugen. Deshalb werden wir auch hier umstellen und den Wegfall der Eigenversorgung über erneuerbare Energien substituieren müssen. 

 

Verpackungsstahl © thyssenkrupp AG

Carbon2Chem: Wasserelektrolyse © thyssenkrupp AG

Wer sind Ihre Partner bei der Entwicklung von Carbon2Chem?

Das Ziel von Carbon2Chem ist tatsächlich, einen großen Hebel zu bedienen. Wir haben uns bewusst auf Produkte fokussiert, die Massenprodukte sind. Sowohl die Stahl- als auch die Chemieindustrie stehen für riesige Produktmengen. Hier kommen Global Player zusammen, die gemeinsam skalieren können. Daher kommen einige der 17 Partner in dem Projekt aus der chemischen Industrie, wie Evonik, Clariant, Covestro, Nouryon oder BASF sowie Linde und Siemens und die akademischen Partner, die Fraunhofer Institute Umsicht und ISE sowie die Max-Planck-Gesellschaft. Das Bundesministerium für Bildung und Forschung fördert das Projekt mit mehr als 60 Millionen Euro. Die beteiligten Partner planen Investitionen von mehr als 100 Millionen Euro bis zum Jahr 2025.

Wird Carbon2Chem dann marktfähig sein?

Wir brauchen in dem Projekt eine zweite Phase. Wir haben zwar technisch die Ergebnisse, die besagen: Wir schaffen es, aus Hüttengasen Methanol und Ammoniak für die chemische Industrie zu gewinnen. Wir schaffen es, die Wasserstoffproduktion stabil aufzusetzen, egal wie volatil die Versorgung mit erneuerbarer Energie ist. In der zweiten Phase müssen wir jetzt zeigen, dass unsere Systeme robust sind und über einen langen Zeitraum – ein bis zwei Jahre – absolut stabil laufen. Der Charme von Carbon2Chem liegt darin, dass wir in der Methanolsynthese eine bereits erprobte Technologie einsetzen. Es geht also nur um die Frage, ob das Ganze cross-industriell funktioniert. Wenn wir die Kombination im Griff haben, können wir sofort großtechnisch skalieren. 

Wie sieht die Roadmap aus?

Wir beantragen jetzt Phase zwei, bei der alle Partner weiterhin mitmachen werden. Die Roadmap sieht vor, dass wir sowohl die Robustheit des Systems nachweisen als auch seine Finanzierbarkeit. Realistisch wird das nicht vor 2025 soweit sein. Die Genehmigungsverfahren werden nicht einfach: Unsere größte Herausforderung ist, dass wir ein Chemiewerk auf einem Stahl-Standort bauen und zudem noch Windkraftanlagen für die Energieerzeugung brauchen. Da gibt es noch Rahmenbedingungen zu klären, zum Beispiel auch zu welchen Kosten wird erneuerbare Energie produziert und wie wird sie zugeteilt? Die technischen Herausforderungen sind wahrscheinlich schneller zu klären als die administrativen und als der Ausbau der Infrastruktur. 

Eingangs sagten Sie, 2050 will thyssenkrupp klimaneutral sein. Welchen Anteil daran wird Carbon2Chem haben?

Das können wir heute noch nicht genau sagen. Aber wir sind überzeugt, dass Carbon2Chem einen sehr großen Anteil haben wird, weil es sehr schnell verfügbar sein wird. Entscheidend auf dem Weg bis 2050 wird die Frage sein, wie wir diesen Transformationsprozess gestalten. Es gibt heute viele Technologien zur Reduktion von CO2-Emissionen. Das Überleben unserer Industrie wird aber sehr stark davon abhängig sein, wie intelligent und wie orchestriert wir diese CO2-Reduktion spielen. Wir sollten sehr genau überlegen, in welcher Reihenfolge wir in welche Technologie investieren, um die CO2-Emissionen nicht nur sehr schnell zu reduzieren, sondern um am Ende auch die Chance zu haben, sie wirklich auf Null zu bringen. Um es konkret zu sagen: Es geht um die Frage, wie wir den nötigen Wasserstoff produzieren und wie wir ihn verteilen. Denn der Bedarf – auch in anderen Industrien – wird riesig sein.

Markus Oles ist Diplom-Physiker und hat ebenso in Physik promoviert. Außerdem verfügt er über einen Master in pharmazeutischer Medizin. Seit 2009 ist er für thyssenkrupp tätig, seit 2015 als Leiter Innovation Strategie und Projekte. In dieser Funktion verantwortet er neben dem Projekt Carbon2Chem auch die Themen Kreislaufwirtschaft, Energiemanagement und Additive Fertigung. © thyssenkrupp AG