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Die Bedeutung von negativen Emissionen für die Pariser Klimaziele

Kaum ein Modellszenario zum Anderthalb- oder Zwei-Grad-Klimaziel kommt ohne sie aus: negative Emissionen, das Entziehen von CO2 aus der Atmosphäre. Doch das, was sich in den Szenarien findet, spiegelt sich nicht in den aktuellen Handlungsplänen wider, schreibt Sabine Fuss vom Mercator Research Institute on Global Commons and Climate Change. Es ist eine immense Herausforderung, Technologien und Praktiken zur CO2-Entnahme hoch zu skalieren.

Die USA wollen bis 2030 ihren Ausstoß von Emissionen mindestens halbieren, was einer Minderung von rund 42 Prozent gegenüber 1990 entspricht. Europa erklärt 55 Prozent als Ziel und Deutschland setzt sogar 65 Prozent als Marke für das Jahr 2030 gegenüber 1990. Beide Regionen wollen spätestens 2050 klimaneutral sein. Auch über die USA und Europa hinaus gibt es immerhin Bekenntnisse zu einer Abkehr von fossilen Ressourcen und CO2-Bepreisung, um den globalen Temperaturanstieg auf deutlich unter zwei Grad zu begrenzen, wie es das Pariser Abkommen vorsieht. Doch in der Politik gibt es auch Stimmen, die sagen, dass das Herunterfahren der Emissionen allein voraussichtlich nicht ausreichen wird und einiges von dem CO2, das noch emittiert wird, wieder aus der Atmosphäre entfernt werden muss.

Die Notwendigkeit von CO2-Entnahmen für die Erreichung der Paris-Ziele ist auch seit Jahren bereits wissenschaftlicher Konsens. Das zeigt jedes Szenario, das vom Weltklimarat im Sonderbericht  zu 1,5°C globale Erwärmung ausgewertet werden konnte: Auf manchen Pfaden ist es mehr, auf manchen weniger, aber klar ist, dass CO2-Entnahmen eine Rolle spielen werden, wenn eine stärkere Erwärmung vermieden werden soll.  Jedoch gibt es für das Hochfahren von CO2-Entnahmeinfrastrukturen und -praktiken bisher keinen klaren Fahrplan. Zudem fehlt es noch an einer Governance-Architektur mit begleitenden Politikmaßnahmen, die den erforderlichen Wandel einleiten könnten. Im Gegenteil gibt es immer wieder die Diskussion zur Notwendigkeit von CO2-Entnahmen, Besorgnis ob des Effekts auf existierende Minderungsziele und Skepsis gegenüber einzelnen Technologien.

 

„Das Herunterfahren der Emissionen allein wird nicht ausreichen. CO2 muss auch wieder aus der Atmosphäre entfernt werden.“

Technologien und Praktiken zur CO2-Entnahme

Beginnen wir mit Letzterem, den Technologien und Praktiken zur CO2-Entnahme. Die wohl bekannteste Herangehensweise, das Anpflanzen von Bäumen, die zusätzliches CO2 aufnehmen, ist erprobt und vergleichsweise preisgünstig. Probleme sind vor allem die großen Flächen, die hierfür bereitgestellt werden müssten. Sollte wirklich auf diese Weise im zweistelligen Gigatonnenmaßstab CO2 entnommen werden, könnte dies mit anderen Zielen wie zum Beispiel der Ernährungssicherung einer wachsenden Weltbevölkerung in Konflikt stehen. Auch sind unsere natürlichen Senken jetzt schon Opfer der Folgen des Klimawandels (Dürre, Schädlingsbefall, Großbrände, etc.) und menschlichem Einfluss (Entwaldung), was sich ungünstig auf diese Speicher auswirkt.

Technische Ansätze sind im Vergleich zur Wiederaufforstung teurer, werden aber in punkto Speicherung als permanenter eingestuft. Dazu gehört zum Beispiel das zusätzliche Anpflanzen von Biomasse für die Herstellung von Bioenergie, wobei das zuvor gebundene CO2 bei der Umwandlung in Energie nicht freigelassen, sondern abgeschieden und geologisch gespeichert wird. Eine weitere Option ist die direkte Abscheidung von CO2 aus der Luft mittels chemischer Luftfilter-Anlagen. Allerdings gibt es in Deutschland und auch manchen anderen Ländern Kritik am Abscheidungs- und Speicherungsprozess (CCS) und entsprechende Widerstände. Diese Ablehnung geht teilweise zurück auf die Zeit vor 2010, als CCS im Zusammenhang mit fossilem CO2 als Augenauswischerei betrachtet wurde, die es zum Beispiel Kohlekraftwerken ermöglichen sollte, ihre Laufzeiten zu verlängern – auf Kosten der Ausbreitung der Erneuerbaren. Auch ohne das Argument der Fossilen wird in diesem Zusammenhang die Besorgnis ausgedrückt, dass allein die Möglichkeit der CO2-Entnahme die Ambitionen unterlaufen könnte, die Emissionen zuerst einmal zu senken. Andere Argumente, die eingebracht werden, speisen sich aus der unterschiedlichen Wahrnehmung möglicher Risiken von Speicherung. Es wird deutlich: Für einen breiten Konsens in dieser Frage bedarf es sowohl in der Öffentlichkeitsarbeit und der Kommunikation als auch im Bereich einer überzeugenden Governance-Architektur noch einiger Anstrengungen.

Wie CO2 der Erdatmosphäre entzogen werden kann © BDI

Prinzipiell in diesem Kontext mitdiskutiert wird zudem die CO2-Speicherung in Produkten (CCU). Allerdings können nur die wenigsten CO2-Nutzungspfade unter bestimmten Bedingungen wirklich einen Beitrag zur langfristigen CO2 Entnahme leisten. Klar ist, dass keine der dargestellten Optionen die alleinige Lösung darstellt: Alle Entnahmetechniken haben ihre eigenen Vor- und Nachteile, und es gilt abzuwägen, welches Portfolio wo und in welchem Ausmaß am meisten Sinn macht.

Eine immense Innovationslücke

Alle angesprochenen Technologien und Praktiken können genutzt werden, um relevante Mengen an CO2 zu entfernen. Es gibt jedoch eine duale Innovationslücke: Zum einen sehen wir bisher wenige Pilotprojekte im Bereich großskaliger CO2-Entnahmen, was angesichts der Kosten und fehlender Anreize für die Bereitstellung quasi eines öffentlichen Guts nicht verwunderlich ist. Schaut man aber gleichzeitig auf die vielen Klimaschutzszenarien integrierter Bewertungsmodelle, die seit dem Paris-Abkommen gerechnet wurden, zeichnet sich eine schnell anwachsende Lücke ab, die in einem schwindenden Zeitfenster geschlossen werden müsste.

Zum anderen zeigt eine systematische Begutachtung der Innovationsliteratur zu CO2-Entnahmen deutlich auf, dass die nachfrageseitigen Aspekte der Innovationskette (Nischenmärkte, Demand Pull, Akzeptanz) kaum erforscht sind, und dass die Klimaschutzszenarien eine Skalierung vorsehen, die völlig neue Innovationsmodelle erfordern. Hier gibt es also zusätzlich zur hinterherhinkenden Implementierung auch eine eklatante Wissenslücke, die es rasch zu schließen gilt.

Innovation beschleunigen

Zur Innovationsbeschleunigung muss zunächst ein System für entsprechende Anreize geschaffen werden. Dies braucht aber ein präzises Monitoring der entnommenen Emissionsmengen und eine Verifizierung der dauerhaft gespeicherten Kohlenstoffmengen. Mit dieser Information können Zuschüsse und Fördermittel für dringliche Forschungs- und Entwicklungsvorhaben geplant und langfristig eine Berücksichtigung von CO2-Entnahmen bei CO2-Bepreisungsmechanismen ermöglicht werden.

In diesem Rahmen können langfristig angekündigte CO2-Mindestpreise für CO2-Entnahmen ein wichtiges Signal setzen. Begleitet von einem regelmäßigen Review-Verfahren, welches auch neue Technologien als förderfähig einstufen kann, könnte dies ein weiteres Instrument des Anreizes sein. Während diese Innovationsanreize eher technologie-neutral sind und vor allem über Preisanreize wirken, könnten zusätzlich noch Marktreife und Demonstrationsprojekte von bestimmten Technologien gefördert werden, was vor allem kurzfristig die Innovation beschleunigen kann, bevor ein umfassender Anreizmechanismus etabliert ist.

Prof. Dr. Sabine Fuss leitet eine Arbeitsgruppe am Mercator Research Institute on Global Commons and Climate Change (MCC Berlin) und hat eine Professur zu nachhaltigem Ressourcenmanagement und globalem Wandel an der Humboldt Universität zu Berlin inne. Sie diente im Weltklimarat als Leitautorin des Sonderberichts zu 1,5°C globaler Erwärmung und hat seither einen Forschungsfokus auf CO2-Entnahmen. © MCC Berlin