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Brexit: Deal auf des Messers Schneide

Das Jahresende rückt zügig näher, und noch immer gibt es keinen post-Brexit-Deal. Trotz nochmaliger Fristverlängerung bleibt praktisch keine Zeit mehr. Sollte es noch zu einer Einigung kommen, bliebe den Unternehmen wenig Zeit, um die Regelungen vor Ablauf der Übergangsphase umzusetzen. Dennoch können Firmen bereits jetzt viel tun, um die drohenden Schäden zu reduzieren.

Nach wie vor ist unklar, ob es zu einer Übereinkunft zwischen der Europäischen Union und dem Vereinigten Königreich für eine neue Partnerschaft kommen wird. Neben den inhaltlichen Herausforderungen - insbesondere zu Wettbewerbsregeln, Fischerei und Governance – ist auch die Annahme des Vertrages mit Schwierigkeiten verbunden. Der vermutlich mehrere hundert Seiten lange Text muss sprachlich bereinigt und danach in die 24 Amtssprachen der Union übersetzt werden. Erst dann kann ein Vertragstext das parlamentarische Verfahren geordnet durchlaufen. Die Zustimmung durch die Mitgliedstaaten und das Vereinigte Königreich sowie durch das Europäische Parlament sind ebenfalls notwendig.

Wie können sich Unternehmen schützen? 

Für  Unternehmen wird damit die Zeit knapp. Eine rechtliche Sicherheit besteht erst, wenn alle formalen Hürden genommen sind. Danach müssen die Vereinbarungen von Verwaltungen und Unternehmen umgesetzt werden. Gut möglich, dass  Unternehmen die Bestimmungen verspätet umsetzen und beispielsweise Präferenzzölle erst später geltend gemacht werden können. 

Einige Änderungen sind aber schon heute bekannt: Unabhängig vom Ausgang der Verhandlungen werden alle Wirtschaftsakteure Zollformalitäten nachkommen müssen. Die Europäische Union hat bereits klargestellt, dass eine Abweichung vom Unions-Zollkodex nicht zulässig sei. Damit gelten auf  EU-Seite grundsätzlich die gleichen Vorschriften wie bei Im- und Exporten in andere Drittstaaten. „Anrainerstaaten“ wie Frankreich (Zollpflichtige | Spediteure) oder die Niederlande haben hierfür bereits Informationsmaterial zur Verfügung gestellt.  

Zusätzlich wird es zu Verzögerungen an der Grenze kommen. Diese stellen Betriebe vor zusätzliche Herausforderungen im Distributionsmanagement. Je mehr Varianzen es in den Lieferungen gibt, umso größer müssen Unternehmen kostenintensive Bevorratungen planen. Insbesondere dieser Teil der Vorbereitungen ist schwer kalkulierbar, weil sich die Grenzinfrastruktur auf der britischen Seite nach wie vor im Entwicklungsstadium befindet, z.B. fehlt es  an funktionstüchtigen IT-System. Unternehmen müssten zum aktuellen Zeitpunkt jedoch schon Software ausrollen, Mitarbeiter schulen und Testläufe absolvieren. Trotz großzügiger Fristen für Zollerklärungen hat der BDI daher ein höheres Tempo angemahnt. Wir setzen uns  für möglichst bürokratiearme Zollverfahren auf beiden Seiten der Grenze ein. Gerade für den Mittelstand sind neue, ressourcenintensive Prozesse oftmals ein Markteintrittshindernis. 

Bürokratieabbau in einer ungewissen Zukunft 

Abseits der Verhandlungen soll die künftige Partnerschaft um eine Reihe unilateraler Instrumente ergänzt werden. Besonders im Fokus der Wirtschaft stehen die sogenannten Adäquanz-Entscheidungen im Datenverkehr. Das Vereinigte Königreich hat bereits erklärt, dass sie das europäische Datenschutzniveau für vergleichbar mit den eigenen Rechtsnormen hält. Andersherum hingegen gibt es bei der Adäquanz noch Schwierigkeiten: Der Europäische Gerichtshof sieht in der konkreten Ausgestaltung britischer Ermittlungsgesetze noch Nachbesserungsbedarf. Nur wenn London den Bedenken aus Luxemburg Rechnung trägt, ist eine Adäquanz-Entscheidung durch die Europäische Kommission realistisch. Kommt es bis zum Jahresende nicht zu diesem Schritt, müssen viele Unternehmen ihre Prozesse auf DSGVO-Konformität überprüfen. Dies kann viel Zeit und Ressourcen kosten, die auch wegen Covid-19 derzeit knapp sind. Deshalb fordert der BDI hier zügiges Handeln auf beiden Seiten, damit sich die Wirtschaft besser auf die schon jetzt komplizierte Zeit nach der Übergangsphase einstellen kann.