Die Industrie macht Raumfahrt alltagstauglich
Empfehlungen für die 20. Legislaturperiode
Im digitalen Zeitalter ist Raumfahrt Schlüssel für Zukunftstechnologien wie autonomes Fahren, Industrie 4.0 und Big Data-Anwendungen. Für die außen- und sicherheitspolitische Urteils- und Handlungsfähigkeit ist sie unabdingbar. Raumfahrt ist Vorreiterin für die Wissenschaft und die Entwicklung neuer Technologien. Sie begeistert junge Menschen für Naturwissenschaft, Technik und MINT-Berufe. Erdbeobachtungsdaten tragen erheblich zum besseren Verständnis des Klimawandels und anderen Umweltphänomenen bei und unterstützen wirksame Maßnahmen zum Klima- und Umweltschutz.
Raumfahrt ist ein branchenübergreifender Wachstums- und Innovationstreiber und trägt erheblich zur Steigerung der Wettbewerbsfähigkeit des Standorts Deutschland, zur Schaffung von hochwertigen Arbeitsplätzen sowie zu gesellschaftlichem Wohlstand bei. Eine zunehmend datenbasierte und vernetzte Industrie- und Informationsgesellschaft ist darauf angewiesen, über die kritischen Infrastrukturen und Dienste jederzeit selbstbestimmt zu verfügen. Der freie Zugang zum Weltraum mit eigenen Trägersystemen ist zwingende Voraussetzung, um die strategische Souveränität Deutschlands und Europas zu gewährleisten.
Dabei gewinnt die Kommerzialisierung der Raumfahrt, New Space genannt, enorm an Bedeutung. Schätzungen zufolge wird der globale Raumfahrtmarkt von 360 Milliarden US-Dollar (2018) bis 2040 auf bis zu 2.700 Milliarden US-Dollar um mehr als das Siebenfache wachsen. Deutschland verfügt mit den hier ansässigen Systemhäusern, mittelständischen Unternehmen, Zulieferern und Start-ups über die Expertise und Innovationskraft, um eine führende Rolle im New Space-Zeitalter zu spielen. In nahezu allen Geschäftsbereichen des Up- und Downstream-Sektors ist Deutschland vertreten. Mehr als 90 neue Unternehmen sind allein in den letzten fünf Jahren entstanden, die weltweit führende Technologien und Anwendungen anbieten.
Für die Zukunft des New Space braucht Deutschland…
Monitoring der Erde stärken
Satelliten liefern kontinuierlich und frei von territorialen Grenzen Daten über die Erde. Dazu gehören Informationen über die Atmosphäre und Veränderungen der Land- und Meeresoberfläche, das Wetter, die Luft- und Wasserqualität, das Waldsterben und vieles mehr. Diese Daten liefern eine wichtige Grundlage für effektive Maßnahmen des Umwelt- und Klimaschutzes.
Erreichung der Sustainable Development Goals (SDGs) unterstützen
Innovative Nutzungsmöglichkeiten ergeben sich im Rahmen der Entwicklungspolitik. Von Raumfahrtlösungen können Institutionen der Entwicklungszusammenarbeit und Nicht-Regierungsorganisationen (NGOs) gleichermaßen profitieren. Satellitendaten ermöglichen eine schnelle Reaktionsfähigkeit bei Naturkatastrophen und Krisensituationen.
Smart Farming fördern
Satellitengestützte Anwendungen ermöglichen in der Landwirtschaft eine zentimetergenaue Ausbringung von Saatgut, Düngemitteln und Wasser auf die Felder. Landwirtschaftliche Maschinen können effizienter gesteuert werden. Im Ergebnis steht ein höherer Ertrag bei einem geringeren Einsatz von Ressourcen.
Safety und Security erhöhen
Weltraumschrott gefährdet zunehmend den Zugang und die Nutzung des Weltraums. Innovative Lösungen zur Vermeidung und Beseitigung von bestehendem Müll sollten von Seiten der Bundesregierung aktiv gefördert werden. Gleichzeitig sollte sich die Regierung für ein internationales Space-Traffic-Management und effektivere internationale Vereinbarungen und Richtlinien zur Vermeidung von Weltraummüll einsetzen. Mit einem modernen Weltraumgesetz kann Deutschland die Entwicklungen auf internationaler Ebene beeinflussen und vorantreiben.
Mehr Wettbewerb in der Raumfahrt schaffen
Deutschland und Europa brauchen in der Raumfahrt eine stärkere Ausrichtung an marktwirtschaftlichen Prinzipien. Projekte müssen stärker ausgeschrieben und Start-ups sowie mittelständische Unternehmen (KMU) gezielt einbezogen werden. Anforderungen müssen so definiert werden, dass Start-ups und KMU diese auch erfüllen können. Die Verfahren und Ansätze für innovationsfördernde, flexiblere und schnellere Vergaben müssen genutzt werden. Mit stärker wettbewerbsorientierten Ansätzen kann sichergestellt werden, dass die Ergebnisse aus staatlich geförderten Projekten tatsächlich auch zu Innovation und Wachstum führen.
Kommerzielle und institutionelle Raumfahrt besser verzahnen
Deutschland braucht einen engeren Schulterschluss zwischen Staat und Wirtschaft: Staatliche Institutionen schaffen den rechtlichen Rahmen, stellen die Startinfrastruktur mit zur Verfügung und vergeben Aufträge. Im Gegenzug profitieren staatliche Institutionen davon, schneller konkret nutzbare Produkte und innovative Dienstleistungen zu erhalten. Vorbild sollte die Vergabe von staatlichen Aufträgen an u. a. SpaceX in den Vereinigten Staaten sein, wodurch Innovationen, wie die Entwicklung wiederverwendbarer Raketen, massiv befördert wurden.
New Space-Start-ups mit staatlichen Ankeraufträgen stärken
Die Finanzierung während der kapitalintensiven Wachstumsphase stellt junge Unternehmen in Deutschland vor enorme Herausforderungen: Die verfügbaren Volumina sind zu gering und deutsche Investoren oft risikoavers. Ein Systemwechsel nach US-amerikanischem Vorbild mit mehr Ankeraufträgen sollte an die Stelle der bisher vorwiegenden Projektförderung treten. Es besteht sonst die ernsthafte Gefahr, dass Unternehmen abwandern (müssen) und Deutschland einen strategischen Zukunftssektor mit enormem technologischen Potenzial und Ausstrahlung dauerhaft verliert.
Export fördern
Das steigende Interesse vieler Länder an eigenen Raumfahrtsystemen bietet für die Exportnation Deutschland enorme Chancen. Durch internationale Kooperationsabkommen, Exportkredite und außenpolitische Unterstützung kann der Staat die Exportchancen der deutschen Unternehmen und damit ihre Wettbewerbsfähigkeit entscheidend stärken.
Zusammenarbeit zwischen Raumfahrt und anderen führenden Wirtschaftszweigen stärken
Die deutsche Industrie, insbesondere die Autoindustrie, integriert immer mehr Daten und Anwendungen der Raumfahrt in ihre Produkte. Für das autonome Fahren sind verlässliche Navigation, digitale Karten und eine vernetzte Datenkommunikation erforderlich. Der Staat sollte den Weg ebnen – von einzelnen Forschungsprojekten hin zu einer gezielten und langfristigen Integration von Raumfahrtdiensten in die Produktion neuer Modelle.
Grundlage für Partizipation an Zukunftsprojekten schaffen
Milliardeninvestitionen fließen in Projekte für weltumspannende Kommunikationsnetze, für globales Breitbandinternet und das Internet der Dinge (IoT). Die geplanten Systeme erhöhen die Nachfrage an Satelliten und Startdienstleistungen. Eine hochautomatisierte Serienfertigung von Kleinsatelliten wird daher immer wichtiger. Die Errichtung einer „Zukunftsfabrik Satellitenbau“ in Deutschland ist eine wichtige Komponente, um an dieser dynamischen Entwicklung partizipieren zu können.
Innovationen in der Satellitentechnik befördern
Mehrere deutsche Unternehmen planen den Aufbau eigener Satellitenkonstellationen, zum Beispiel für das globale Monitoring von Waldbränden oder von Infrastrukturnetzen. Dafür braucht es fortschrittliche Satellitentechnik in Deutschland, die durch eine Kleinsatellitenfabrik befördert würde. Diese sollte zudem durch eine Kleinsatelliten-Initiative des Deutschen Zentrum für Luft- und Raumfahrt (DLR) aktiv flankiert werden.
Integrierte Wertschöpfungskette in Deutschland etablieren
Mit Blick auf die Potenziale durch Industrie 4.0, IoT und den automatisierten Informationsaustausch wird sich der Bedarf nach Satellitendaten dynamisch weiterentwickeln. Daraus resultiert ein erheblicher Bedarf entlang der gesamten Wertschöpfungskette an Klein- und Kleinstsatelliten-Herstellern, kleinen Trägerraketen (Microlaunchern) und der Weiterverarbeitung von Daten. Deutschland muss diese Chance nutzen, mit einer Kleinsatellitenfabrik und einer Startplattform in der Nordsee weltweite Standards zu setzen und vielversprechende Zukunftsmärkte zu erschließen.
Europäische Datenhoheit schaffen
Für zukünftige Anforderungen – wie Industrie 4.0, IoT und globale Konnektivität – ist die Hoheit über die hierfür notwendigen Netze und Daten entscheidend. Mit dem Aufbau einer europäischen Internet-Konstellation kann die EU moderne Daten- und Kommunikationsnetze etablieren und über diese souverän und unabhängig verfügen. Dabei ermöglichen Konstellationen im Low Earth Orbit (LEO) aus vernetzten Kleinsatelliten eine schnellere Datenübertragung und eine höhere Robustheit als traditionelle geostationäre Satelliten.
Strategische und digitale Souveränität Europas stärken
Die europäische Datenhoheit ist eine der Grundvoraussetzungen für ein strategisch und digital souveränes Europa. Deutschland und Europa müssen sich im digitalen Bereich zukunftsfähiger aufstellen, in der EU ansässige Unternehmen mit datenbasierten Geschäftsmodellen befördern und die Abhängigkeit von Unternehmen aus den Vereinigten Staaten und China verringern – dafür braucht es eine europäische Internetkonstellation.
Partizipation ermöglichen
Eine europäische Internetkonstellation erfordert das Verbringen zahlreicher Kleinsatelliten ins All. Damit ist es möglich, europäische Trägerraketen über Jahre auszulasten. Deutschland muss sich hier früh einbringen, um die deutschen Hersteller von Microlaunchern an Aufträgen zu beteiligen und eine weitreichende Partizipation zu ermöglichen. Gleichzeitig ergibt sich hieraus erhebliches Potenzial für den Bau und das Betreiben von Satelliten.
Schaffung gleichwertiger Lebensverhältnisse unterstützen
Die deutsche Politik sollte sich dafür einsetzen, derzeitige Versorgungslücken mit schnellem Internet in ländlichen oder infrastrukturell weniger erschlossenen Gebieten durch eine europäische Internetkonstellation zu schließen und damit die Schaffung bundesweit gleichwertiger Lebensverhältnisse voranzubringen. Nicht nur für Alltag und Beruf, auch für Möglichkeiten der digitalen Gesundheitsversorgung und der Informations- und Bildungsvielfalt ist dies essenziell.
Realisierung aktiv unterstützen
Eine mobile Startplattform in der Nordsee ist technisch machbar, strategisch und wirtschaftlich sinnvoll. Sie schafft zentrale Voraussetzungen für Wettbewerb und Innovationen und eröffnet der Bundesregierung neue strategische Handlungsoptionen. Das gesamte europäische New Space-Ökosystem würde von einem flexiblen Zugang ins All profitieren. Die deutsche Politik sollte sich aktiv dafür einsetzen, damit die Startplattform in Form eines privatwirtschaftlichen Betreibermodells bis 2022 realisiert werden kann.
Early-Stage-Phase zügig umsetzen
Nach Bestätigung der grundsätzlichen Genehmigungsfähigkeit des Vorhabens, sollte die im BDI-Konzept vorgesehene Early-Stage-Phase gemeinsam von Industrie und Politik zügig umgesetzt werden. Die vom Bundesministerium für Wirtschaft und Energie (BMWi) mit dem Mikrolauncher-Wettbewerb geförderten Unternehmen planen ab Ende 2021/ Anfang 2022 zu starten und benötigen eine Startmöglichkeit. Deutschland muss den kritischen Zeithorizont nutzen, um sich als zentraler Akteur zu etablieren und die Voraussetzungen für Zukunftstechnologien zu sichern.
Europäische Partner involvieren
Aufgrund der wachsenden Bedeutung von Raumfahrt und Satellitendaten für Wirtschaft, Wissenschaft und Gesellschaft kann eine Startplattform in der Nordsee einen wichtigen Beitrag zur Stärkung europäischer Souveränität leisten und würde den europäischen Weltraumbahnhof in Kourou sinnvoll ergänzen.
Institutionelle Nutzung der Startplattform durch Erwerb von Starts unterstützen
Für neue sicherheitspolitische Anforderungen wie Responsive Space, für Forschung sowie für den Schutz von Umwelt, Klima und die Erreichung der SDGs sind Satellitendaten von zentraler Bedeutung. Die Bundesregierung sollte deshalb nach US-amerikanischem Vorbild Starts für Bund, Behörden und Forschungseinrichtungen erwerben. Dadurch würde sie einen Beitrag zur Auslastung schaffen, das nachgelagerte Ökosystem mit einem marktwirtschaftlichen Ansatz stärken und zudem durch den flexiblen Start eigener Satelliten als Kunde profitieren.
Mit Startplattform als Systemkomponente innovative Wertschöpfungsketten stärken
Eine Startplattform in Deutschland bildet die notwendige Systemkomponente, um deutsche Technologien zu erproben und im Markt zu platzieren, Kleinsatelliten ins All zu verbringen, zu betreiben und für vielfältige Zwecke einsetzen zu können. Sie schafft die Voraussetzungen für einen Wettbewerb der Microlauncher, fördert Innovationen in der Breite und stärkt damit das gesamte nachgelagerte Ökosystem und das Industrieland Deutschland.
Rückkehr zum Mond zu transatlantischem Projekt machen
Die Vereinigten Staaten planen mit dem Projekt Artemis in den 2020er Jahren die Rückkehr mit Astronauten zum Mond. Eine Wiederbelebung der transatlantischen Freundschaft wird nur mit konkreten Projekten gelingen, die Menschen auf beiden Seiten des Atlantiks begeistern und Innovationen befördern. Amerika und Europa sollten die Rückkehr zum Mond deshalb zu einem gemeinsamen Projekt machen. Innerhalb Europas sollte Deutschland hierfür und für den European Lunar Lander die Führung übernehmen. Bereits heute wird das missionskritische European Service Modell (ESM) für das US-amerikanische Mond-Raumschiff Orion in Bremen hergestellt.
ESA zu New Space Agency weiterentwickeln
Die institutionelle Raumfahrt mit staatlichen Agenturen wird auf absehbare Zeit wichtig bleiben. Der European Space Agency (ESA) kommt dabei eine besondere Rolle zu, weil sie die Realisierung von europäischen Projekten ermöglicht. Sie sollte zu einer New Space Agency weiterentwickelt werden, die primär als Kunde auftritt und Leistungen von Unternehmen einkauft. Als größter Beitragszahler würde Deutschland nach dem Prinzip des Geo-Returns hiervon besonders profitieren.
Europäische Trägerraketen und Raumfahrzeuge für Astronauten realisieren
Die astronautische Raumfahrt wird mit der Rückkehr der Menschen zum Mond weiter an Bedeutung gewinnen. Europäische Astronauten sind bisher auf Mitflugmöglichkeiten im Ausland angewiesen. Die Bundesregierung sollte sich deshalb dafür einsetzen, dass Europa eine eigene bemannte Transportkapazität auf Basis der Ariane 6-Rakete schafft.
Mehr in die Zukunft investieren
Deutschland ist eine der führenden Exportnationen und die viertgrößte Volkswirtschaft der Welt. Diese Stärke spiegelt sich allerdings nicht in den staatlichen Investitionen für Raumfahrt wider. Das „Nationale Programm für Weltraum und Innovation“ mit knapp 300 Millionen Euro sollte deshalb sukzessive der Höhe des vergleichbaren französischen Budgets auf über 700 Millionen Euro angenähert werden, um mit innovativen Finanzierungsmechanismen deutsche Unternehmen im globalen Rennen um Führungsrollen im New Space zu positionieren.