Ralf Nitschke, Mitglied des Vorstands der Jowat SE ©Jowat SE

Bürokratieabbau-Gesetz IV: Viele kleinteilige Maßnahmen, die keine große Wirkung entfalten

Als Vorstand im mittelständischen Familienunternehmen Jowat SE erlebt Ralf Nitschke die überbordende Bürokratie jeden Tag in der Praxis. Im Interview nennt er einige Beispiele, an welchen Stellen bürokratische Entlastungen angemessen wären. Mit konkreten Forderungen an die politischen Verantwortlichen – auch angesichts des enttäuschenden Bürokratieentlastungsgesetzes IV – hält der Vorstand des Klebstoffunternehmens aus Detmold nicht zurück.

Herr Nitschke, Sie sind Vorstand im mittelständischen Familienunternehmens Jowat SE und haben durch ihr ehrenamtliches Engagement tiefe Einblicke über den eigenen Betrieb hinaus. Was treibt den industriellen Mittelstand zurzeit um?

Da wäre jenseits von teurer Energie, fehlender Arbeits- und Fachkräfte oder bröselnder Infrastrukturen nicht zuletzt überbordende Bürokratie zu nennen. Gerade Mittelständler verfügen über begrenzte personelle und finanzielle Kapazitäten, um immer mehr und immer dichtere Regulierung zu stemmen. Je größer das Unternehmen, desto besser die digitalen Verfahren zur Bürokratiebewältigung. Händisches Ausfüllen von Excellisten aufgrund fehlender digitaler Möglichkeiten ist im Mittelstand keine Seltenheit – das bindet Personal, das an anderer Stelle besser eingesetzt wäre. Darüber hinaus sind gut gemeinte Vorschriften und Gesetze nicht immer gut gemacht – zum Beispiel das europäische Lieferkettengesetz, das aktuell gestoppt ist. Übrigens stellen wir immer wieder fest, dass europäische Vorgaben auf nationaler Ebene verschärft werden. Dieses sogenannte Gold Plating muss aufhören.

Was fordern Sie angesichts überbordender Bürokratie?

Mehr Vertrauen in die Wirtschaft. Gerade mittelständische Familienunternehmen übernehmen seit Generationen Verantwortung für Mensch und Umwelt. Die wachsende Fülle an Vorschriften und Gesetzen berücksichtigt nicht, was die Betriebe schon längst leisten. Sie sind tief in ihrer Region verwurzelt, schaffen und erhalten Arbeitsplätze, bilden aus, erbringen enorme transformatorische Leistungen und engagieren sich zudem auch gesellschaftlich. Dennoch begegnen viele politisch Verantwortliche den Unternehmen und Unternehmern mit Missgunst und Misstrauen. Das führt zu regelrechter Regulierungswut. Wir produzieren auch in der Schweiz, den USA, in Malaysia und Australien – nirgends ist der Papierkram so komplex und so aufwändig wie in Deutschland.

Haben Sie Beispiele, an welchen Stellen bürokratisch entlastet und mehr Vertrauen in die Unternehmen angemessen wäre?

Es gibt eine Vielzahl von Beispielen. Ein paar nenne ich gern:

  • Unternehmen erarbeiten aus Eigeninteresse an Lösungen für Energieeffizienz. Dennoch steuert die Bunderegierung mit weiteren Gesetzen nach, die bürokratische Belastungen schaffen – wie die Investitionsrechnung. Unternehmen müssen die rentablen sowie die unrentablen Investitionen mithilfe dieses Formularwegs durchrechnen.
  • Die gesetzliche Höchstarbeitszeit von 10 Stunden stellt sich nachteilig für jene Beschäftigten heraus, die gerade an einem Projekt arbeiten, „im Flow“ sind und noch mehr Zeit brauchen. Diese deutsche Regelung, die es in anderen EU-Ländern nicht gibt, muss flexibilisiert werden. Auch die Zeiterfassung empfinden Beschäftigte mit Vertrauensarbeitszeit als Gängelung.
  • Nachfolgerinnen und Nachfolger in Personenunternehmen, die als Gesellschafter noch Ausbildung und Erfahrung im Ausland machen wollen oder sollen, sind mit Wegzugbesteuerung konfrontiert. Die Gefahr besteht, dass der Fiskus im Wegzug einen „fiktiven Verkauf“ der Anteile sieht und damit einen vermeintlichen Veräußerungsgewinn der Besteuerung unterwirft – obwohl gar kein Verkauf mit entsprechenden Liquiditätszufluss erfolgt ist. Wenn es dann keine Stundungsmöglichkeit gibt, müssten die Kinder auf Privatvermögen zurückgreifen oder sich verschulden, um diese zu finanzieren. Warum kann man diese Besteuerung für Menschen bis 35 Jahre – rechtsformunabhängig ­– nicht aussetzen, solange Auslandsaufenthalte zwei Mal fünf Jahre nicht überschreiten!?
  • Bürokratie bedeutet enorme Papierverschwendung. Das lässt sich mit digitalen Prozessen leicht lösen. So gehört das Schriftformerfordernis bei Beschäftigtenstammdaten und Arbeitsverträgen abgeschafft. Übrigens auch, um mit den anderen EU-Staaten gleichzuziehen. Ebenso ist die geforderte Papierform der A1-Bescheinigung zum Fremdschämen.

Jenseits von mehr Vertrauen geht es Ihnen doch auch um besseren Vollzug, oder!?

Es braucht Mut und Instrumente, um Vorschriften und Gesetze auf Vollzugstauglichkeit zu prüfen. Das ist eine überfällige Mammutaufgabe. Praxischecks, die mache Ministerien erfolgreich konzipieren und umsetzen, gehen in die richtige Richtung. Das sollten alle Ministerien machen, um echte Veränderung zu bewirken. Ohnehin braucht es endlich auch eine digitale Verwaltung – hier sollten Bund und Länder schnellstmöglich Lösungsansätze erarbeiten – und zügig umsetzen.

Das Vierte Bürokratieentlastungsgesetz liegt seit März im Entwurf vor und ist wohl ab Mai im Bundestag. Was bringt das vorgeschlagene BEG IV für den industriellen Mittelstand?

Das BEG IV ist nach aktuellem Stand kein großer Wurf. Ich sehe viele kleinteilige Maßnahmen, die keine große Wirkung entfalten. Ich hatte da andere Erwartungen, nachdem das Bundesjustizministerium über 400 Vorschläge gesammelt hatte. Selbst von den letztlich – nur – elf aufgegriffenen Anliegen ist für mein Unternehmen fast nichts wirklich relevant. Meine Forderung an die Politik in Bund und Ländern: Machen Sie Deutschland als Standort endlich wieder attraktiver mit wirkungsvollen Maßnahmen!