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Münchner Sicherheitskonferenz: Technologische Innovationen leisten einen wichtigen Beitrag zur Wehrhaftigkeit

Anlässlich der Münchner Sicherheitskonferenz betont BDI-Präsident Siegfried Russwurm in seiner Rede bei der gemeinsamen Auftaktveranstaltung des BDI mit der Vereinigung der Bayerischen Wirtschaft, dass technologische Innovationen einen wichtigen Beitrag zur Wehrhaftigkeit leisten. „Früher war das Militär der Treiber von Innovationen. Heute ist es umgekehrt. In Deutschland fehlt der entscheidende Link zwischen innovativen Köpfen der Industrie und der Truppe.“

„Unsere Auftaktveranstaltung zur MSC hat eine gute Tradition und stößt auf breite Aufmerksamkeit. Unsere Stimme – die Stimme der bayerischen und deutschen Wirtschaft – ist wichtig und wird gehört, gerade in so herausfordernden, oder soll man sagen: bedrückenden Zeiten.  

Meine Damen und Herren, nach Jahrzehnten des Friedens, in denen viele dachten, zwischenstaatliche Kriege gehörten in Europa der Vergangenheit an, wurde uns spätestens im Februar 2022 bewusst: Dem ist nicht so. Im 21. Jahrhundert ist die Menschheit in dieser Hinsicht nicht weiter als die Jahrhunderte zuvor.

In Deutschland haben wir zu lange gebraucht, um zu erkennen, in welchem Umbruch wir uns befinden. Und weiterhin fällt es uns schwer, uns den neuen Realitäten mit der erforderlichen Konsequenz zu stellen.  

Wir müssen uns eingestehen, dass die Sicherheitsarchitektur der vergangenen Jahrzehnte in ihren Grundfesten erschüttert wird und sich nicht einfach fortschreiben lässt – erschüttert übrigens nicht nur durch die Aggression ungehemmter Autokraten, sondern nüchtern betrachtet auch, weil sich der Blick unserer transatlantischen Verbündeten auf Europa im Wandel befindet.

Diese Erkenntnis dauert weiterhin an:

  • Die geopolitischen Verschiebungen durch das Wiedererstarken militärisch dominierter Machtpolitik nehmen ihren Lauf.
  • Es gibt viele Fragezeichen zur künftigen Rolle der USA als Schutzmacht des Westens und der sich daraus ergebenden Schlussfolgerungen für Europa und seine Verteidigung.
  • Und erstarkende innergesellschaftliche Kräfte, die Nationalismus, Ausgrenzung, und offene Angriffe auf die Grundfesten von Demokratie und Freiheit betreiben, fordern uns heraus.  

All dies zeigt uns jeden Tag in aller Deutlichkeit, dass ein "Weiter so" nicht mehr in Frage kommt. Und zugleich fehlt uns eine klare Antwort auf das „Wie weiter?“ – uns in Deutschland, und auch uns in Europa. Die raue Realität der Zeitenwende – sie ist wohl immer noch nicht final in den Köpfen angekommen – und im Handeln schon gar nicht. Der notwendige Wandel wird vor allem rhetorisch beschworen. Und wie so oft – als Präsident des BDI kann ich mein Klagelied hier nur wiederholen – hapert es leider an einem ausreichenden Konsens der demokratischen Parteien in unserem Land. Das schränkt die politische Handlungsfähigkeit zusätzlich ein.

Wir müssen uns hier und jetzt klar machen: Es geht nicht mehr darum, möglichst viel vom Gestern ins Heute zu retten, sondern das Morgen neu zu gestalten. Das heißt auch, sich von Wunschvorstellungen zu befreien.

Wir alle: Politik, Unternehmen und Gesellschaft müssen darauf reagieren, dass der globale Systemwettbewerb in vollem Gange ist. Die Machtverhältnisse sortieren sich neu. Mit großer Sorge blickt die deutsche Industrie auf die Situation.

Autokratische Allianzen zielen darauf ab, liberale Staaten zu destabilisieren. Zu ihrem Arsenal gehört es, Rohstoffe, Technologie und Handelsmacht als Druckmittel und Waffe einzusetzen.

Wir sehen dies am Krieg Russlands gegen die Ukraine, an Chinas Drohgebärden gegenüber Taiwan und an manchen gezielten Signalen der chinesischen Rohstoffpolitik und wir sehen das auch an Desinformationskampagnen und an zunehmenden Angriffen auf kritische Infrastrukturen.

Wie aber ist unser Weg?

Die Wehrhaftigkeit der Ukraine sollte uns in vielerlei Hinsicht aufrütteln, um bestehende Defizite unserer Gesamtverteidigung anzugehen. Und ich sage bewusst: Gesamtverteidigung.

Denn, wie Verteidigungsminister Pistorius kürzlich sagte: Wir müssen uns ehrlich machen. Wir müssen wieder lernen, mit der Gefahr zu leben, wir müssen uns bewusst werden, welchen Wert Sicherheit für uns hat – UND: dass Wehrhaftigkeit einen Preis hat und diesen Preis von uns einfordert.

Lassen Sie uns in der Realität der Zeitenwende ankommen. Das heißt: Nicht länger so zu tun, als könnten wir mehr oder weniger weiter machen wie zuvor und uns darauf verlassen, im Zweifel sorgten andere für unsere Sicherheit und bezahlen sie: Mit ihren Steuern und Budgets, mit ihren Investitionen in Verteidigung und mit ihrer Einsatz- und Kampfbereitschaft.

Nein, diese Zuschauerrolle kann nicht länger unsere Antwort auf die Situation sein. Wir stehen selbst in der Verantwortung!

Der Systemkonflikt wird längst mitten unter uns ausgetragen: Die Polarisierung, die zunehmende Aggressivität des gesellschaftlichen Diskurses sind Symptome hierfür.

Wir wollen und wir brauchen eine offene Gesellschaft, die Bereitschaft und Fähigkeit zum ausgewogenen politischen Diskurs, zum demokratischen Kompromiss und zur schonungslosen Realität. Dies ist die Basis für Selbstbehauptung nach außen und gesellschaftlichen Frieden im Inneren, der nicht zuletzt jahrzehntelang ein Erfolgsfaktor Deutschlands im globalen Wettbewerb war. Nur so können auch unsere Unternehmen weiter erfolgreich agieren – global vernetzt, zunehmend regional diversifiziert. Sie sichern den Wohlstand, der eine weitere Säule unserer gesellschaftlichen Stabilität und somit unserer Wehrhaftigkeit ist.

An vorderster Stelle unserer Gesamtverteidigung aber müssen die Investitionen in unsere Landes- und Bündnisverteidigung stehen. Es führt kein Weg daran vorbei: Machtpolitik lässt sich nur mit eigener Entschlossenheit, eigener Stärke und eigenem Selbstbehauptungswillen im Zaum halten – auch mit militärischem, aber ganz sicher mit Technologie und Innovationsstärke.

Welchen Weg sollen wir angesichts aller Sparzwänge einschlagen? Einen gewissen Anschauungsunterricht bietet uns die Ukraine: Den ukrainischen Streitkräften gelingt es trotz massiver Defizite durch die schnelle Integration marktverfügbarer Technologien, durch engen Austausch mit der Industrie, mit Start-Ups – auch aus Deutschland -, einem schier übermächtigen Gegner die Stirn zu bieten. Flexibilität, Kreativität und Schnelligkeit sind hier der Kern des Ansatzes. Und ein wesentlicher Faktor ist dabei der Beitrag, den technologische Innovationen zur Wehrhaftigkeit leisten.

Früher war das Militär der Treiber von Innovationen. Heute ist es umgekehrt. In Deutschland fehlt der entscheidende Link zwischen innovativen Köpfen der Industrie und der Truppe. Nach Jahren der Friedensdividende ist uns die Nutzung der Innovationskraft unserer Unternehmen im Sinne unserer Wehrhaftigkeit buchstäblich verloren gegangen.

Als Industrie können wir folgenden Vorschlag und Beitrag dazu leisten:

1. Innovationen vorantreiben

  • Innovationen basieren auf Forschung und Entwicklung.
  • Deshalb ist es an der Zeit, die Zusammenarbeit zwischen Bundeswehr, wehrtechnischer Industrie und Hochschulen zu intensivieren. Die Trennung von militärischer und ziviler Forschung und Entwicklung sollte überdacht werden, um offensichtliche Synergien zu nutzen.
  • Zivilklauseln an Universitäten sind eine Friedensgeste, von der wir uns verabschieden sollten – besser schneller als langsamer.  

2. Wir müssen die Innovationskraft von jungen Unternehmen, von Start-Ups, besser nutzen.

  • Jungen Unternehmen, modernen Innovationseinheiten ist eines gemeinsam: Bestehendes Wissen, verkrustete Strukturen und Prozesse in Frage zu stellen und neue Ideen zu entwickeln.
  • Dafür braucht es Freiräume.
  • In Kombination mit der Vernetzung von universitärer Forschung, Wirtschaft und Bundeswehr können Innovationen dann zu praxistauglichen Lösungen hochskaliert werden.
  • Lassen Sie uns dieses Potenzial ausschöpfen, um Innovationen schneller in die Truppe bringen, für militärische Handlungsfähigkeit, und, ja, auch wenn das Wort in Deutschland immer noch umstritten ist: für mehr Kriegstüchtigkeit.
     
  • Die Bundeswehr muss sich dabei der Agilität der Start-Ups anpassen und nicht umgekehrt!
  • Strukturen müssen angepasst, Schnelligkeit, Flexibilität und Kreativität in Beschaffungsprozesse integriert werden.
  • Innovation Hubs sind eine gute Sache, wenn sie entweder direkt in der Bundeswehr angesiedelt sind oder - wie im Bereich Cyber - zumindest eng mit der Truppe verzahnt sind.
  • So sollte auch der geplante Space Innovation Hub des DLR unbedingt die Bundeswehr als gleichberechtigten Partner mit ins Boot holen.
  • Eigene Budgets und Freiräume jenseits bürokratischer Beschaffungsprozesse, die auch in der Auftragsvergabe enden können, sind essenziell.

3. Und Drittens können wir – wie eingangs gesagt – nicht alles vom Gestern ins Heute retten, sondern müssen wir das Morgen neu gestalten.

  • Nur Lücken und Missstände der letzten 30 Jahre zu beheben, ist schlicht zu wenig.
  • Klassische Verteidigungstechnik ist die notwendige Basis.
  • Aber wir müssen uns auf Szenarien vorbereiten, in denen diese Basis nicht ausreicht.
  • Szenarien, in denen potenzielle Gegner uns technologisch nicht nur ebenbürtig, sondern voraus sind;
  • Szenarien, in denen hybride Angriffe, gezielte Desinformation und Manipulation, Gefechte um die Wirkungsüberlegenheit im Cyber-, Space- und Informationsraum wesentlicher Teil der Strategie sind.
  • Ob weltraumgestützte Aufklärung und Kommunikation, Drohnen, elektronische Kampfführung oder vernetzte Operationsführung mittels Software Defined Defence:
  • Die Durchsetzungsfähigkeit wird maßgeblich von der digitalen Fähigkeitsentwicklung unserer Streitkräfte abhängen.
  • Dies schlägt sich noch zu wenig in konkreten Planungen und Ausgaben nieder. So sind z.B. im Sondervermögen keine zusätzlichen Mittel für den Aufbau weltraumgestützter Fähigkeiten vorgesehen.
  • Gerade in der Ukraine sehen wir aber tagtäglich die kriegsentscheidende Bedeutung beispielsweise der Satelliten-Konstellation Starlink.
  • Wir müssen in diese Zukunftstechnologien investieren und dafür entsprechendes Geld in die Hand nehmen!

Meine sehr geehrten Damen und Herren, es liegt in unserer Verantwortung, unsere Gesamtverteidigung zu stärken. Die Wehrhaftigkeit Europas und unserer Demokratie muss oberste Priorität haben. Die enge Verzahnung von Forschung, Industrie und Bundeswehr ist unumgänglich. Dabei sind nicht nur etablierte Strukturen, sondern auch neue Wege und Partnerschaften gefragt.

Wir können nicht länger abwarten, sondern müssen gemeinsam aktiv werden. Jetzt.

Wir in Deutschland, aber nicht wir allein, sondern wir im europäischen Kontext mit unseren Partnern in der Europäischen Union.“

Es gilt das gesprochene Wort!