Forschung zu 100 Jahre Dachverband der deutschen Industrie präsentiert
Am 12. April 1919, am Freitag vor genau 100 Jahren, wurde in Berlin der erste Dachverband der gesamten deutschen Industrie und Vorgänger des Bundesverbands der Deutschen Industrie (BDI) gegründet. „Das Jubiläum, die Frage nach Kontinuitäten und Brüchen, die fehlende Langzeitbetrachtung waren für den BDI Grund, ein historisches Forschungsprojekt anzustoßen“, sagte BDI-Präsident Dieter Kempf am Donnerstag in Berlin anlässlich der Vorstellung des Buches „Industrie, Politik, Gesellschaft. Der BDI und seine Vorgänger 1919-1990“.
„Ich freue mich sehr, dass die Historiker Johannes Bähr und Christopher Kopper pünktlich zu diesem Jahrestag ein Gesamtwerk vorlegen können, das die Geschichte des BDI und seiner Vorgänger unabhängig und in all seinen Facetten präsentiert“, sagte Kempf. Das Buch reicht epochenübergreifend von den Anfängen nach dem Ersten Weltkrieg und der Rolle der Reichsgruppe Industrie in der NS-Zeit und im Zweiten Weltkrieg über die Neugründung des BDI 1949 bis zur Wiedervereinigung 1990.
Johannes Bähr: „Die wichtigsten Einschnitte in der 100-jährigen Geschichte des Spitzenverbands der deutschen Industrie waren stets politisch bedingt. Schon die Gründung des Reichsverbands der Deutschen Industrie (RDI) war eine unmittelbare Reaktion auf den Übergang von der konstitutionellen Monarchie hin zur Parlamentarischen Demokratie. Die Leitung des Verbands bekannte sich lange zur Weimarer Verfassung und lehnte eine Regierungsbeteiligung der NSDAP ab. Mit der Errichtung der nationalsozialistischen Diktatur wurde die Selbstverwaltung der Wirtschaft beseitigt. Der Verband kooperierte bereitwillig bei der Überführung des RDI in den im Juni 1933 gegründeten Reichsstand der Deutschen Industrie, eine staatlich gelenkte Organisation, die Anfang 1935 durch die Reichsgruppe Industrie abgelöst wurde. Die Reichsgruppe beruhte auf Zwangsmitgliedschaft und wurde nach dem Führerprinzip geleitet. Trotz ihrer politischen Bedeutungslosigkeit war die Reichsgruppe eine wichtige Stütze der NS-Wirtschaft, da ihr immer weitere Aufgaben im Rahmen der Wirtschaftslenkung übertragen wurden. Nach Kriegsende musste die Reichsgruppe ihre Tätigkeit einstellen.“
Christopher Kopper: „Im Unterschied zur Weimarer Republik waren sich die Mitgliedsverbände des 1949 gegründeten BDI in grundsätzlichen politischen Fragen einig. In den 1950er Jahren fremdelte der BDI noch mit der Sozialen Marktwirtschaft. Aufgrund der Erfahrungen aus der Vorkriegszeit zweifelte der BDI an der Stabilität einer Wettbewerbsordnung, in der Kartelle verboten waren. Das Kartellverbot bewährte sich am Ende aus der Sicht der Industrie als eine funktionierende Kompromisslösung. Seit den späten 1950er Jahren verfolgte der BDI konsequent das Ziel einer möglichst großen europäischen Wirtschaftsgemeinschaft, die mehr als nur ein gemeinsamer Markt ohne Zollgrenzen sein sollte. Schon 1970 strebte der BDI eine politische Union mit einer handlungsfähigen europäischen Exekutive und einer Währungs- und Wirtschaftsunion an, die erst 1992 durch den Vertrag von Maastricht Wirklichkeit wurde.“
Nach Ansicht von BDI-Präsident Kempf ist der BDI in seiner Zusammensetzung heute kaum weniger heterogen als der RDI vor 100 Jahren – und trotzdem haben die Interessendivergenzen an Schärfe verloren. „Tragfähigen Ausgleich schaffen, konstruktiv mit politischen und gesellschaftlichen Herausforderungen umgehen – das sind Merkmale eines großen, erfahrenen Verbandes in einer Demokratie. Diese Qualitäten dürfen nicht verloren gehen, wenn Pinselstriche in den Vordergrund drängen statt des größeren Bilds“, forderte der BDI-Präsident. „Das Wissen über die Geschichte des BDI schärft den Blick für heutige Entscheidungen.“