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Geoökonomischem Druck entgegentreten: Anti-Coercion-Instrument

Die Europäische Kommission startete 2022 den Prozess zur Entwicklung eines Instrumentes zur Abschreckung und Abwehr von Wirtschaftszwang. Mit dieser Initiative reagiert sie auf die zunehmende Zweckentfremdung internationaler Wirtschaftsbeziehungen durch geopolitische Interessen. Aus Sicht der deutschen Industrie ist dieses Vorhaben grundsätzlich nachvollziehbar und begrüßenswert. Ein solches Instrument sollte jedoch eine Reihe von Bedingungen erfüllen.

Geoökonomie – mit diesem Modewort verbinden sich für die deutsche Industrie zwei signifikante Herausforderungen. Zum einen wird damit eine größere Entwicklung beschrieben, in der die wirtschaftspolitischen Krisenerfahrungen der letzten anderthalb Jahrzehnte zusammengefasst werden können. Die gegenseitigen wirtschaftlichen Abhängigkeiten (Interdependenzen) politisch souveräner Staaten haben über Jahre ein System von Regeln und Verhaltensstandards etabliert, welches dazu dienen sollte, Globalisierung und internationalen Wettbewerb in Abwesenheit einer überstaatlichen Entscheidungsgewalt zu gestalten. Jedoch stellen einige staatliche Akteure den regelbasierten Handel, aber auch grundsätzlich das Regelwerk internationaler Beziehungen zunehmend in Frage. Für die exportorientierte deutsche Industrie stellt eine politisch instabile Welt ungehemmter Machtpolitik ein existenzielles Problem dar.

Wirtschaftlicher Zwangsmaßnahmen

Geoökonomie beschreibt in diesem Sinne noch konkreter die versuchte Durchsetzung geopolitischer Interessen mittels wirtschaftlicher Zwangsmaßnahmen. Ein klassisches Beispiel hierfür ist die Sanktionspolitik. Aber auch abseits nationaler Sicherheitserwägungen finden sich Beispiele für geoökonomischen Druck. So war Litauen nach der umstrittenen Umbenennung der Vertretung Taiwans in Vilnius in der chinesischen Zollsoftware nicht mehr auffindbar. Aus- und Einfuhren zwischen der Volksrepublik und dem europäischen Binnenmarkt konnten nun nicht mehr über Litauen durchgeführt werden. Die europäischen Partner verstanden dieses Vorgehen Pekings als Signal, selbst den Anschein einer Anerkennung Taiwans durch drakonische Maßnahmen verhindern zu wollen.

Anti-Coercion-Instruments

Die Europäische Kommission startete vor diesem Hintergrund im Jahr 2021 den Prozess zur Ausarbeitung und Verabschiedung eines europäischen Mechanismus, um Wirtschaftszwang entgegenzutreten. An der Formulierung dieses Anti-Coercion-Instruments (ACI) hat sich die verfasste deutsche Industrie, während der ordentlichen Konsultationsphase Mitte 2021 und der anschließenden Feedbackperiode im Frühjahr 2022 durch Positionspapiere beteiligt. Grundsätzlich begrüßt die deutsche Industrie das Ziel der Europäischen Union (EU), ein ACI zur Verfügung zu stellen. Ein ACI sollte unter Maßgabe folgender Kriterien formuliert und umgesetzt werden:

  • Verhältnismäßigkeit und im Sinne des Unionsinteresses;
  • Zügige und bedachte Anwendung;
  • Einsatz unter enger Mitarbeit der Wirtschaftsbeteiligten, um eine legitime Faktengrundlage zu ermöglichen;
  • WTO-Kompatibilität und mit dem Ziel, vom Gebrauch von Wirtschaftszwang abzuschrecken.

Der erste Vorschlag für ein ACI war in den Augen der deutschen Industrie vielversprechend. Der BDI hat sich im April 2022 mit fünf konstruktiven Änderungsvorschlägen an der weiteren Debatte beteiligt:

  • Wirtschaftszwang sollte nachvollziehbar auf die Verfolgung außenpolitischer Ziele rückverfolgbar sein.
  • Die Untersuchung von Wirtschaftszwang sollte mit transparenten Fristen versehen werden.
  • Der Basisrechtsakt sollte ausschließen, dass die Europäische Kommission ohne einen Entscheid des Rates handelt. Um dies sicherzustellen, sollte auf Artikel 5 (4b) der Verordnung (EU) 2011/182 verwiesen werden.
  • Im Laufe des Prüfverfahrens zu den Tatbestandsmerkmalen von Wirtschaftszwang sollten Wirtschaftsbeteiligte in Form einer Expertengruppe konsultiert und frühzeitig auf Maßnahmen vorbereitet werden.
  • Ein Mechanismus sollte eingerichtet werden, mittels dessen Unternehmen kompensiert werden können, die von geoökonomischen Auseinandersetzungen betroffen sind.

Rückkehr zu Multilateralismus

Der BDI besteht darauf, dass Multilateralismus wirtschaftlich und politisch den einzigen Weg darstellt, internationale Beziehungen nachhaltig zu gestalten. Doch es ist klar, dass eine Rückkehr zu Multilateralismus und regelbasierten internationalen Beziehungen nicht allein deswegen eintreten wird, nur weil dies für die große Mehrheit der Weltöffentlichkeit faktisch von Vorteil wäre. Der BDI ist  aus diesem Grund davon überzeugt, dass die EU mit Hilfe der oben genannten Kriterien ein Instrument zur Verfügung haben würde, um ihr Interesse an regelbasierten und im Idealfall multilateralen Wirtschaftsbeziehungen robust zu verteidigen.