Dieter Kempf – Industrie als Gestalter des Wandels (2017 – 2020)
Dieter Kempfs Präsidentschaft fiel in eine Zeit tiefgreifender Umbrüche: Protektionistische Tendenzen verstärkten sich und der Handelskonflikt zwischen den USA und China gewann an Schärfe. Die Europäische Union wurde gefordert durch eine amerikanische Administration unter US-Präsident Donald Trump, die viele Errungenschaften des transatlantischen Verhältnisses schlichtweg infrage stellte, und die zähen Verhandlungen über den bevorstehenden „Brexit“ des Britischen Königreichs. Zugleich rückte der Strukturwandel der Industrie u.a. durch die Digitalisierung und die klimapolitischen Zielvorgaben aus der Politik immer mehr in den Fokus.
Kempf blickte durch seine langjährige Expertise im Digitalbereich mit Sorge auf den lang verschlafenen Wandel, insbesondere in Deutschland. Anstatt nur die Probleme hervorzuheben, müssten endlich auch die Chancen für einen neuen Aufbruch genutzt werden. Dabei scheute Kempf nicht politischen Klartext zu sprechen – immer mit dem Blick nach vorne und dem Willen, den Wandel zu gestalten. So bezeichnete er Deutschland in einem Spiegel-Interview gar als „Schnarchland“. Anstatt die Augen zu verschließen, plädierte er dafür die Dinge anzupacken, um Innovationen anzuschieben. Insbesondere die Kombination von Digitalisierung im industriellen Kontext und die Schaffung und Nutzung entsprechender Datenplattformen waren ihm wichtig. Messe- und Unternehmensbesuche waren deshalb nicht nur Pflichtprogramm, sondern der Oldtimer-Liebhaber und Hobbyschrauber war stets auf der Suche nach dem Neuen und Innovativen, das live erlebbar ist, um das richtige Gespür für die Trends der Zukunft zu entwickeln.
Beispielhaft war sein Engagement für resiliente, sichere und leistungsfähige 5G-Netze. Denn die digitale Infrastruktur sei vor allem für die deutsche Industrie im globalen Wettbewerb von Bedeutung, um die technologische Vorreiterrolle auszubauen. Kempf trat zudem in der Datenpolitik entschieden dafür ein, vom Prinzip der Datensparsamkeit abzurücken und vielmehr das Prinzip der Datensouveränität in den Mittelpunkt zu rücken.
Die Debatte um die Energie- und Klimapolitik war in allen Reden und Gesprächen präsent – nicht zuletzt auch deswegen, weil dieses Thema in der Mitte der Gesellschaft angekommen ist. Wohlstand und Aufstiegschancen in der Breite der Gesellschaft seien ohne eine starke Industrie nicht möglich, deshalb fungiere sie als Teil der Lösung auch auf dem Weg zur Klimaneutralität. Das Ziel der Nullemissionen habe auch ein Preisschild und die Lasten dürfen nicht einseitig verteilt sein. Die BDI-Studie „Klimapfade für Deutschland“ hatte im Januar 2018 erforderliche Maßnahmen aufgezeigt und die finanziellen Anstrengungen benannt. Mit den Erkenntnissen der Studie wurde Kempf nie müde in der aufgeregten Debatte einen wichtigen pragmatischen Impuls zusetzen. Seine Mitarbeit in der Kommission Wachstum, Strukturwandel und Beschäftigung (oft nur Kohlekommission genannt) war ein erster erfolgreicher Anlauf, einen gesellschaftlichen Konsens auf den Weg zu bringen, damit Strukturwandel und Klimaschutz gleichermaßen gelingen können.
Kempf trat entschlossen für eine starke EU ein, die sich dem globalen Umbruch stellt und als selbstbestimmter Akteur auf internationaler Ebene ihre Interessen und Werte verteidigt. So reiste er stets mit großem Einsatz nach Brüssel und sprach mit europäischen Partnerverbänden, um nach gemeinsamen Ansätzen für ein stärkeres Europa, das Kraft aus seiner industriellen Basis schöpft, zu suchen. Denn das sei erst die Voraussetzung dafür, dass „Europa selbst Spieler und nicht Spielfeld oder gar Spielball“ werde (Rede auf dem Tag der Industrie, 07.10.2020). Regelbasierter Freihandel sei europäisches Kerninteresse und nur durch eine innovative, wettbewerbsfähige Industrie lasse sich die Durchsetzungskraft für internationale Umwelt-, Ökologie- und Sozialstandards entwickeln.
Mit dem Satz „wir sind bunt, nicht braun“ erteilte Kempf auf dem Tag der Deutschen Industrie 2018 dem erstarkenden Populismus und dem damit einhergehenden Rückzug ins Nationale eine klare Absage und bekräftigte sowohl das Modell der sozialen Marktwirtschaft, als auch die lebenswichtige internationale Vernetzung und Offenheit der Industrie für den Wohlstand. Kempf drückte es auf seine Art auch so aus: „Niemand ist eine Insel“.