BDI zum Abschlussbericht der ExpertInnenkommission für Gas und Wärme
Kommission für Gas und Wärme legt Abschlussbericht vor
Die von der Bundesregierung eingesetzte ExpertInnenkommission für Gas und Wärme hat heute ihren Abschlussbericht im Bundeskanzleramt an Bundeskanzler Olaf Scholz, Bundeswirtschaftsminister Robert Habeck und Bundesfinanzminister Christian Lindner übergeben. Die im Kampf gegen die hohen Gaspreise eingesetzte ExpertInnenkommission unterbreitet in ihrem Abschlussbericht Vorschläge, wie eine Entlastung von Bürgern und Industrie bei Aufrechterhaltung der Gas-Sparanreize gelingen und mit einer längerfristigen Transformationsperspektive verknüpft werden kann.
In ihrem am 10. Oktober vorgestellten Zwischenbericht hatte die Kommission bereits vorgeschlagen, Gas- und Fernwärmekunden in zwei Schritten zu entlasten. Demnach soll der Staat die Abschläge im Dezember komplett übernehmen. Die Gaspreisbremse soll ab März 2023 folgen. Die Kommission betont, dass die Kostenbelastung der Gasverbraucher damit nicht auf das Vorkrisenniveau reduziert werde. Vielmehr sollen die Maßnahmen die besonders hohen Belastungen abfedern, die bis zum Erreichen der „neuen Normalität“, also des mittelfristig erwarteten Kostenniveaus, auf die Gasverbraucher zukommen. So solle verhindert werden, dass die im kommenden Jahr zu erwartenden massiven Preisanstiege Wirtschaft und Gesellschaft überlasten.
Der Abschlussbericht stellt außerdem Maßnahmen zur Steigerung des Gasangebotes sowie zur Senkung der Nachfrage in den Fokus:
Die Bemühungen, gemeinsam in Europa Gas zu beschaffen, beziehungsweise zusätzliche Gasmengen in Deutschland und Europa verfügbar zu machen, sollten konsequent weiter vorangetrieben werden. Darüber hinaus sollten alle sinnvollen Maßnahmen ergriffen werden, die Stromerzeugungskapazitäten in Deutschland kurzfristig zu erhöhen und gleichzeitig die Notwendigkeit von Gasverstromung zu senken. Der Ausbau erneuerbarer Energien sollte dabei im Fokus stehen und erheblich beschleunigt werden.
Um das nationale Gas-Einsparziel von mindestens 20 Prozent zu erreichen, sollen Verbraucher besser und in kürzeren Abständen über ihren Gas- und Heizwärmeverbrauch informiert werden. Mittels finanzieller Boni (Einsparprämien) in Form eines Festbetrages soll ein zusätzlicher Anreiz geschaffen werden, das Einsparziel vor allem in Haushalten zu erreichen, deren Wärmekosten generell übernommen werden.
Die Kommission empfiehlt zusätzlich transformative Schritte, die auch kurzfristig Gas einsparen. Dazu zählen Investitionen in Energieeffizienz und Heizungstechnologien, einen Wechsel der Energieträger und die Sanierung von Gebäuden. Priorisiert werden sollten besonders ineffizient gasbeheizte Mehrfamilienhäuser sowie Schulen und Krankenhäuser. Zudem sollen die Fördermöglichkeiten ausgeweitet und eine Strategie zur Nutzung von Abwärme entwickelt werden.
Für große Unternehmen greift die Gaspreisbremse ab dem 1. Januar 2023. Sie wurde von der Kommission in ihrem Abschlussbericht spezifiziert und an bestimmte Bedingungen geknüpft:
Die Gaspreisbremse für große industrielle Verbraucher (rund 25.000 Unternehmen) stand zunächst noch unter dem beihilferechtlichen Prüfungsvorbehalt der EU. Dazu konnte die Bundesregierung nach intensiven Gesprächen Ende vergangener Woche eine Verständigung erzielen, so dass der Grundgedanke der Gaspreisbremse für Unternehmen wie geplant zum 1. Januar in Kraft treten kann. Gegenüber dem ursprünglichen Vorschlag der Gaskommission gibt es eine Reihe technischer Anpassungen. Es wird aber weder ein Einzelantragsverfahren auf Unternehmensebene geben noch Änderungen an dem Vorschlag der Gaskommission für die Höhe des entlastbaren Kontingents (70 Prozent) und den Beschaffungspreis (sieben Cent pro Kilowattstunde). Unternehmen müssen die Teilnahme an dem Programm bei ihrem Versorger jedoch anmelden (Opt-In) und öffentlich machen.
Die Kommission schlägt außerdem vor, die Unterstützung nur Unternehmen zu gewähren, die die betroffenen Standorte erhalten. Der Standorterhalt soll durch eine Standort- und Transformationsvereinbarung zwischen Tarif- oder Betriebsparteien (Arbeitgeber/Betriebsrat) oder im paritätisch mitbestimmten Aufsichtsrat nachgewiesen werden. Sollten in Ausnahmefällen solche Mitbestimmungs-Strukturen nicht existieren, müssen Unternehmen einen langfristigen Erhalt von mindestens 90 Prozent der Arbeitsplätze mindestens ein Jahr über das Ende der Unterstützung hinaus nachweisen. Andernfalls müssen sie die erhaltene Unterstützung zurückzahlen
Sowohl im Bereich der Haushalte als auch der Unternehmen dürfte es zahlreiche Verbraucher geben, die mit dem „New Normal“, also dem auch mittelfristig voraussichtlich hohen Niveau der Energiekosten überfordert sein werden. Unabhängig davon, welchen Energieträger sie nutzen, sollten sie weiter entlastet werden. Alsflankierende Maßnahmenempfiehlt die Kommission deshalb für alle Verbraucher:
Vom 1. Januar 2023 bis zum 30. April 2024 soll es einen Soforthilfefonds geben, der sich unabhängig von der Art des Energieträgers an Haushalte mit unteren und mittleren Einkommen richten sollte, die die Belastungen nicht selbst stemmen können. Grundlage bilden das Einkommen und die Höhe der Energiekosten. Auch Vermieter, die für ihre Mieter bei extremen Preissteigerungen für Gas und Fernwärme in Vorleistung gehen, sollen eine zinslose Liquiditätshilfe erhalten. Ebenso soll es für soziale Dienstleister, wie beispielsweise Krankenhäuser oder Pflegeeinrichtungen einen Hilfsfonds geben.
Empfohlen wird außerdem ein Kündigungsmoratorium: Mindestens ein halbes Jahr Zeit sollte Privathaushalten gewährt werden, um ihre Energieschulden zu begleichen. Diese Hilfe muss so lange aufrechterhalten werden, bis das von Bundesregierung vorgeschlagene Wohngeld Plus voll administrierbar ist und Bürger ihre Ansprüche tatsächlich auch ausbezahlt bekommen.
Für Unternehmen soll ab dem 1. Januar 2023 bis zum Ende der Gaspreisbremse ein Härtefallprogramm aufgelegt werden, das in Anlehnung an die Kreditprogramme aus der Corona-Pandemie konzipiert werden kann. Eine Günstigerstellung von Gasverbrauchern gegenüber Verbrauchern anderer Energieträger gilt es zu vermeiden.
Die drei Vorsitzenden der Kommissionen für Gas und Wärme zum Abschlussbericht:
Veronika Grimm, Mitglied im Sachverständigenrats zur gesamtwirtschaftlichen Entwicklung: „Die Herausforderung ist es, Haushalte und Unternehmen so zielgerichtet wie möglich zu entlasten und dabei die Anreize zum Gassparen zu erhalten. Die Kommission hat in kürzester Zeit verschiedene Vorschläge zur Entlastung an dem Machbaren abgeglichen und Empfehlungen vorgelegt. Wir haben hier Wissenschaft und Praxis in der Kommission am Tisch gehabt und konstruktiv um Ergebnisse gerungen. Das war ein guter Ansatz der Bundesregierung und ein Schlüssel für breite gesellschaftliche Akzeptanz unserer Vorschläge.“
Siegfried Russwurm, Präsident Bundesverband der Deutschen Industrie: „Es galt für uns, Wünschenswertes und Machbares überein zu bringen, also rasch und praktikabel zu entlasten, Sparanreize aufrechtzuerhalten und eine Brücke zu dem new normal höherer Energiepreise in Deutschland zu bauen. Ich danke allen Mitgliedern der Kommission. Allen war klar, worauf es ankommt: Haushalten und Unternehmen eine verlässliche, belastbare Orientierung geben. Jetzt ist die Bundesregierung am Zug.“
Michael Vassiliadis, Vorsitzender Industriegewerkschaft Bergbau, Chemie, Energie: „Der Endbericht unterbreitet umfassende Ansatzpunkte zu einer schnell wirksamen und umsetzbaren Entlastung von Haushalten und Unternehmen und macht konkrete Vorschläge zum Gassparen. Wichtig ist, dass die Unternehmen die staatliche Hilfe erhalten, sich zugleich der Standort- und Beschäftigungssicherung widmen müssen. Sie sollen dies in der nachweislich flexibelsten und wirksamen Form tun: In Vereinbarungen der Sozialpartner. Im Ausnahmefall, in denen weder Betriebs- noch Aussichtsräte bestehen, greift eine weniger flexible Pauschalregelung.“
Der BDI äußert sich zum Abschlussbericht der ExpertInnenkommission für Gas und Wärme:
„Die Gaspreisbremse ist ein kurzfristiges Kriseninstrument, das verhindern soll, dass Gasverbraucherinnen und -verbraucher aufgrund unkontrollierbarer Preisentwicklungen in existenzielle Not geraten. Es ist ein Instrument, das für einen klar definierten Zeitraum bis zum Ende der Heizperiode 2023/24 ein Stück Sicherheit schaffen und gleichzeitig Sorgen reduzieren soll. Diese Ängste zu erzeugen ist das taktische Ziel Russlands, um die Menschen in Europa im Zuge seines Krieges gegen die Ukraine zu verunsichern.
Für die ExpertInnenkommission Gas und Wärme war es wichtig, deutliche Sparanreize zu setzen und gleichzeitig ein Energiekostenniveau zu etablieren, das aus heutiger Sicht dem New Normal, den Energiepreisen nach den gegenwärtigen Marktturbulenzen, entsprechen dürfte. Dieser neue Normalzustand wird deutlich über dem Vorkriegsniveau liegen. Die Gaspreisbremse ist kompatibel mit EU-Maßnahmen zur Bewältigung der Energiekrise.
Aus Industriesicht ist positiv, dass die Entlastungen nun schnell und effektiv beginnen können. Es ist auch positiv, dass es keine individuellen Antragsverfahren gibt. Das Niveau des Beschaffungspreises von sieben Cent pro Kilowattstunde ist anspruchsvoll, denn es liegt um einen Faktor zwei bis drei über den Vorkriegspreisen. Die Unternehmen werden große Anstrengungen unternehmen müssen, mit diesem Kostenniveau ihre globale Wettbewerbsfähigkeit zu erhalten. Die Einschränkungen und Bedingungen für die Entlastungen, deren Beachtung für die Unternehmen zusätzlichen Aufwand bedeutet, halten sich in vertretbaren Grenzen.
Die Bundesregierung hat in den vergangenen Wochen sehr intensiv mit der EU-Kommission darüber verhandelt, den europäischen Beihilferahmen so zu gestalten, dass Struktur, Intention und Substanz der Gaspreisbremse auch für Industrieunternehmen anwendbar sind. Das scheint weitgehend gelungen zu sein.
Es ist nun wichtig, sehr schnell Klarheit über die konkreten Schritte zur Umsetzung und zur Berechnung der Entlastungen zu erhalten. Hierfür ist ein koordinierter Prozess zwischen Bundesregierung, Industrie und Energiewirtschaft dringend notwendig.“