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BioNTech: Patente als Booster für Biotechnologie-Unternehmen

Wissenschaftsbasierte Ausgründungen sind gewagte Unternehmungen: Die Entwicklung von Produkten bis hin zur Marktreife ist komplex, langwierig und kapitalintensiv. Schutzrechte spielen hier eine zentrale Rolle: Sie bieten Investoren einen Anreiz und ermöglichen es Gründern, mit ihren Forschungsergebnissen Geld zu verdienen. Manche schreiben dabei Wissenschaftsgeschichte.

Hätten Marktforscher 2019 eine Umfrage zum Bekanntheitsgrad des deutschen Biotech-Unternehmens BioNTech gestartet, so wäre der Name des Mainzer Start-ups wohl nur in Fachkreisen geläufig gewesen. Zwei Jahre später erntet derjenige ein erstauntes Kopfschütteln, der bei dieser Frage mit den Schultern zuckt. Das Unternehmen BioNTech und seine Gründer, das Mediziner-Ehepaar Özlem Türeci und Uğur Şahin, sind die großen Helden in der Bekämpfung der Corona-Pandemie – in Deutschland und weltweit. Das von BioNTech 2020 in Zusammenarbeit mit dem US-Pharmaunternehmen Pfizer entwickelte Präparat BNT162b2 (Cominarty ®) ist das erste für den Einsatz am Menschen zugelassene mRNA-basierte Arzneimittel und der am schnellsten zugelassene Impfstoff gegen einen neuen Erreger in der Geschichte der Medizin. 

Forschergeist, Unternehmertum und ein großes Ziel

Dass die Entwicklung eines wirkungsvollen Impfstoffs gegen das neuartige SARS-CoV-2-Virus in rasend schneller Geschwindigkeit gelang, war ein großer Glücksfall. Ein Zufall war es keineswegs: Mehr als zehn Jahre wissenschaftlicher Forschung und Entwicklung, Investitionen im dreistelligen Millionenbereich, ein starkes Kooperationsnetz aus Biotechnologie- und Pharmaunternehmen und nicht zuletzt die Patentierung einer völlig neuartigen Therapieform legten die Grundlage dafür, dass 2020 alles ganz schnell gehen konnte. Dabei hatten sich die beiden Mediziner mit ihrer Forschung und ihrem Unternehmen eigentlich dem Kampf gegen eine ganz andere Erkrankung verschrieben. Ihre Vision: die Behandlung von Krebspatienten mit individualisierten maßgeschneiderten Immuntherapien. Ihr revolutionärer Ansatz: Mithilfe von Boten-Ribonukleinsäure (mRNA) das Immunsystem des Patienten zu aktivieren und zur Bekämpfung des individuellen Tumors zu nutzen. 

Von Anfang an fokussierten sich Türeci und Şahin darauf, ein voll integriertes Unternehmen aufzubauen, das tief in der Wissenschaft verwurzelt ist. Bereits 2001 gründeten sie an der Johannes Gutenberg-Universität in Mainz gemeinsam mit ihrem Mentor Christian Huber das Unternehmen Ganymed Pharmaceuticals. Mit dem Ziel, individuelle Krebstherapien bis zur Marktreife hin zu entwickeln, überzeugten sie erste Kapitalgeber. Nach Jahren intensiver Forschungs- und Publikationstätigkeit folgte 2008 die Gründung der BioNTech RNA Pharmaceuticals GmbH. Mit einer in Deutschland beispiellosen Anschubfinanzierung in Höhe von fast 150 Millionen Euro ermöglichten die Kapitalgeber Thomas und Andreas Strüngmann sowie Michael Motschmann, dass das Gründungsteam die RNA-Immuntherapie weiter vorantreiben konnte. 

Patente sind das wichtigste Kapital 

Biotechnologie-Start-ups sind, wie alle Ausgründungen aus der Wissenschaft, gewagte Unternehmungen: Sie folgen einem langen Zeithorizont, erfordern großen Einsatz von allen Beteiligten und haben einen hohen Kapitalbedarf – entsprechend hoch ist das unternehmerische Risiko. In der anderen Waagschale liegen innovative Ideen, genährt von Wissensdurst und Forschergeist, wissenschaftlich belegt durch fundierte Forschungsergebnisse – und abgesichert durch Patente.

Die geistigen Schutzrechte sind das wichtigste Kapital junger Biotech-Unternehmen, denn nur wenn sie ihre hervorragenden Forschungsergebnisse patentieren lassen, können sie auch Lizenzen vergeben und dadurch Geld verdienen. Damit sind Patente eine grundlegende Voraussetzung dafür, dass Investoren in neue, innovative Technologien und Forschungszweige investieren, selbst wenn sie hoch risikoreich sind. BioNTech stellte gleich nach der Gründung einen Patentsachbearbeiter mit langjähriger Erfahrung ein. Es galt, die Patentübertragung zwischen der Johannes Gutenberg-Universität und den beiden Erfindern zu klären – ein Prozess, der insgesamt sechs Jahre dauerte.

Während der ersten Jahre blieb die Arbeit von BioNTech unter dem Radar von Medien und Öffentlichkeit. 2009 erwarb das Unternehmen den Peptide-Spezialisten JPT Technologies sowie die EUFETS AG – ein Hersteller kleinster Mengen Wirkstoff für klinische Studien, der den Grundstein der späteren Tochtergesellschaft BioNTech IMFS in Idar-Oberstein legte. Hier wurde 2020 in 50.000 Einzelschritten der Impfstoff BNT162b2 (Cominarty ®) produziert. Neben der Forschungstätigkeit investierten die Mediziner ihre Zeit in rund 150 Veröffentlichungen in wissenschaftlichen Zeitschriften und erzielten erste Durchbrüche: Die ersten präklinischen Studien mit der mRNA-Technologie führen zurück ins Jahr 2012.

Das Geld der Seed-Finanzierung war 2014 aufgebraucht. In den folgenden Jahren ermöglichten strategische Kooperationen mit vielen unterschiedlichen Partnern aus dem Pharma- und Wissenschaftsbereich eine erste Kommerzialisierung der Forschungsergebnisse – darunter im Sommer 2018 auch ein Lizenzabkommen mit Pfizer zur Entwicklung einer Grippeimpfung auf mRNA-Basis. Bis zum Börsengang 2018 kamen so 1,4 Milliarden US-Dollar durch Kooperationen zusammen.

Impfstoffentwicklung in Lichtgeschwindigkeit

Anfang Januar 2020 liest Uğur Şahin in der Fachzeitschrift The Lancet einen Artikel über ein neuartiges hochansteckendes Virus, das in China aufgetaucht ist. Für ihn ist sofort klar: Ein Impfstoff ist der Weg, die Ausbreitung des Virus zu stoppen – ein erster Anwendungsfall für die Technologie, an der er und sein Team seit Jahren arbeiten. Şahin überzeugt seine Frau, den Vorstand und den Aufsichtsrat sowie die gesamte BioNTech-Belegschaft davon, kurzfristig den Fokus umzulenken: von der Krebsbekämpfung zur Eindämmung einer sich weltweit ausbreitenden Pandemie.

„Projekt Lightspeed“ war geboren, denn in Lichtgeschwindigkeit musste es vorangehen. Der in der Wissenschaft sonst übliche Zeithorizont von der Entwicklung eines Impfstoffs bis hin zu dessen Zulassung war im ersten Coronajahr keine Option. Bereits seit 2011 verfügt BioNTech über die Genehmigung, mRNA in Deutschland herzustellen; das Wissen zur Produktion entsprechender Impfstoffe war vorhanden. Was fehlte, war ein Partner aus dem Pharmabereich, der eine Vertriebsorganisation und die benötigte Infrastruktur für die Durchführung großer klinischer Studien bereitstellen konnte. Im März nahm Şahin Kontakt mit Pfizer auf, die Kooperation wurde schnell besiegelt. Bereits im April 2020 startete die erste Phase-1/2-Studie in Deutschland und den USA. Im Juli 2020 erhielten zwei der vier Impfstoffkandidaten von BioNTech den Fast-Track-Status von der US-amerikanischen Arzneimittelbehörde FDA. Wenige Tage später startete eine globale Phase-2/3-Studie zur Wirksamkeit und Verträglichkeit. Im November dann die alles entscheidende Nachricht: BNT162b2 zeigt eine Wirksamkeit von 95 Prozent – ein herausragendes Ergebnis. Ende Dezember 2020 hat der COVID-19 mRNA-Impfstoff von BioNTech eine bedingte Marktzulassung, Notfallzulassung oder vorläufige Zulassung in mehr als 40 Ländern auf der ganzen Welt, im Sommer 2021 folgt die vollumfassende Zulassung der FDA als biologisches Arzneimittel ab 16 Jahren. 

Heute umfasst das Portfolio von BioNTech mehr als 20 Produktkandidaten, von denen 15 in klinischen Studien getestet werden. Die Erkenntnisse aus dem Projekt Lightspeed nutzt das Unternehmen, um neue Forschungsinitiativen voranzutreiben. Das Ziel: innerhalb der nächsten fünf Jahre weitere neuartige Therapien im Bereich Onkologie und Infektionskrankheiten auf den Markt zu bringen.