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Bundesverfassungsgericht zum Klimaschutz: Wird Klimapolitik zum Spielball der Justiz?

Der Ende April verkündete Beschluss des Bundesverfassungsgerichts zum Klimaschutz war ein Paukenschlag mit großer politischer Wucht: Keine zwei Wochen später hat die deutsche Bundesregierung das neue Klimaschutzgesetz beschlossen und die Klimaneutralität mit einem „Federstrich“ um fünf Jahre vorgezogen. Wie gestaltungsfrei und rechtssicher ist Klimapolitik noch, wenn die Justiz immer stärker eingreift?

Das internationale Thema „Klimaklagen“ verfolgt der BDI schon seit einiger Zeit in einer eigenen Arbeitsgruppe. Zunächst ging es bei solchen Klagen vor allem um öffentliche Aufmerksamkeit. Klimaschutz sollte auch auf diesem Weg in die Schlagzeilen gelangen, selbst wenn die Gerichte die Klagen fast immer abwiesen. Erst in letzter Zeit gab es einige spektakuläre Gerichtsentscheidungen, die allerdings ihrerseits oft umstritten sind.

Das Grundgesetz schreibt Klimaschutz vor – doch wieviel genau?

Das Bundesverfassungsgericht (BVerfG) hat klargestellt, dass die aus den Grundrechten folgende Schutzpflicht des Staates auch den Schutz vor den Gefahren des Klimawandels umfasst. Und es hat entschieden, dass die Staatszielbestimmung des Artikels 20a im Grundgesetz („Der Staat schützt auch in Verantwortung für die künftigen Generationen die natürlichen Lebensgrundlagen…“) den Staat zu Klimaschutz verpflichtet.

Mit dieser klaren Verortung des Klimaschutzes im Grundgesetz ist die politische Forderung nach Aufnahme eines eigenen Klimaschutz-Artikels in die Verfassung überholt. Das Gericht hat aber auch – sehr abstrakt – klargestellt, dass die verfassungsrechtliche Klimaschutzpflicht „mit anderen Verfassungsgütern in einen Ausgleich zu bringen ist“. Es gibt also gerade keinen allgemeinen Vorrang des Klimaschutzes, sondern im Einzelfall ist abzuwägen.

Schließlich hat sich das BVerfG in dem Beschluss ausführlich mit dem sogenannten Budgetansatz beschäftigt, also der Idee, dass jeder Staat nur noch eine – wie auch immer zu bestimmende – Restmenge an CO2 emittieren darf. Allerdings sei „die Unsicherheit über die zur Wahrung der Temperaturschwelle (1,5 oder 2 Grad) global und national verbleibenden Emissionsmöglichkeiten derzeit noch zu groß, als dass die ermittelte Budgetgröße ein zahlengenaues Maß für die verfassungsgerichtliche Kontrolle bieten könne.“

Von „intertemporaler“ Freiheitssicherung zur Klima-Planwirtschaft?

Eine echte juristische Neuschöpfung ist die vom BVerfG geschaffene Pflicht des Staates zur „verhältnismäßigen Verteilung von Freiheitschancen über die Generationen“. Wegen dieser „intertemporalen Freiheitssicherung“ dürfte die Treibhausgasminderungslast nicht einseitig in die Zukunft verlagert werden. Nun ließe sich einwenden, dass in Deutschland – auch im Vergleich zu anderen Ländern – ja schon erhebliche Anstrengungen für Klimaschutz unternommen wurden. Von einer einseitigen Verschiebung in die Zukunft also nicht die Rede sein könne.

Dennoch hat die Bundesregierung daraus im neuen Klimaschutzgesetz den Schluss gezogen, zum einen die Treibhausneutralität um fünf Jahre vorzuziehen und zum anderen nicht nur für zehn, sondern für 20 Jahre in die Zukunft für jedes Jahr strikte Vorgaben zur CO2-Emission zu machen. Wirtschaftliche Entwicklungen und Innovationen laufen aber oft nicht linear und planbar, sondern überraschend und dynamisch. Wenn eine Folge der geforderten intertemporalen Freiheitssicherung eine zunehmende Klima-Planwirtschaft sein sollte, stellt sich die Frage, ob das die Freiheit ist, die das BVerfG meinte.

Das Shell-Urteil in den Niederlanden – wegweisend auch für Deutschland?

Das Ende Mai in den Niederlanden ergangene Shell-Urteil kam von einem unterinstanzlichen Gericht und manche erwarten, dass es in späterer Instanz wohl wieder aufgehoben wird. Gleichwohl war das Urteil ebenfalls ein Paukenschlag, denn erstmals wurde ein Unternehmen verurteilt, seinen CO2-Ausstoß konkret zu mindern und zwar von 2019 bis 2030 um 45 Prozent. Und doch scheint es, dass dieser juristische Ansatz aus den Niederlanden nicht wegweisend für das deutsche Recht ist. Zumindest hat das BVerfG seinen Beschluss gerade nicht auf tonnengenaue CO2-Emissionen und -budgets gerichtet, sondern den Ball zurück in die Politik gespielt. Es sei explizit Aufgabe des Gesetzgebers, die erforderlichen Regelungen zur Größe zugelassener Emissionsmengen selbst zu treffen. Im Umkehrschluss heißt dies, dass es nicht die Aufgabe der Exekutive und auch nicht die Aufgabe der Gerichte ist. Damit ist zu hoffen, dass in Deutschland Klimapolitik künftig wieder vor allem im Parlament stattfindet und eben nicht im Gerichtssaal.