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Chinas Wirtschaftspolitik als Herausforderung für die europäische Wirtschaft

Aus Chinas 14. Fünfjahresplan (2021–2025) und den langfristigen Plänen bis 2035 geht deutlich hervor, dass technologische Selbstständigkeit und globale Führung bei Zukunftstechnologien für Chinas Machthaber eine zentrale Rolle einnehmen. Auch ausländischen Beobachtern ist spätestens seit der 2015 ins Leben gerufenen Initiative »Made in China 2025« klar, dass die Volksrepublik in den entscheidenden Technologien der kommenden Jahrzehnten mit aller Macht an die Weltspitze drängt.

Darunter befinden sich Branchen, in der gerade die deutsche Industrie bisher führend war. So werden chinesische Anbieter auf dem europäischen Heimatmarkt, aber auch global auf Drittmärkten zu ernst zu nehmenden Konkurrenten. Während fairer Wettbewerb begrüßenswert ist, ist diese Herausforderung aus einem Grund problematisch: Chinas Wirtschaft ist ein Hybridsystem, das zwar marktwirtschaftliche Mechanismen zulässt, aber auch stark mit staatlichen Eingriffen einhergeht, die technologische Eigenständigkeit und globale Expansion oft nicht markt- und wettbewerbskonform sind. Dies verzerrt den Wettbewerb für europäische und deutsche Unternehmen.

Systemischen Konkurrenz mit Chinas Hybridwirtschaft

Deswegen befinden sich Deutschland und Europa derzeit in einer systemischen Konkurrenz mit Chinas Hybridwirtschaft. Chinas Traum von technologischer Eigenständigkeit China ist bei der gezielten Reduzierung der technologischen Abhängigkeit vom Ausland in den vergangenen Jahren weit gekommen. In etlichen Bereichen konnten chinesische Forscher zur globalen Spitze aufschließen, beispielsweise im Bereich der Künstlichen Intelligenz oder der Quanteninformatik. Ebenso übernahmen chinesische Unternehmen weltweit die Führung in Schlüsselindustrien wie der Batterietechnologie und bei Produkten für den Mobilfunkstandard 5G. Für Chinas Führung sind technologische Unabhängigkeit und globaler Führungsanspruch bei Spitzentechnologien miteinander verknüpft. In den letzten 20 Jahren hat der chinesische Markt eine so große Anziehungskraft ausgeübt, dass es sich kaum ein internationales Unternehmen leisten konnte, nicht bei dieser Wachstumstory dabei zu sein. Mit den unbestreitbaren Fortschritten chinesischer Forscher ging deswegen auch ein vorher nie da gewesener Transfer von Technologie und Know-how einher.

Kritische Abhängigkeiten durch Verlagerung nach China

So kam es, dass sich seit Chinas Eintritt in die Welthandelsorganisation 2001 und der Öffnung der westlichen Märkte für chinesische Produkte schrittweise ganze Wertschöpfungsketten nach China verlagert haben. Das Spektrum dieser Ketten reicht von der Rohstoffmine und einfachen Vorprodukten über Microchips bis zu Industrierobotern und Fertigungsstraßen für Hightech-Güter. Daraus sind für Branchen wie die Elektronik-, Chemie- oder Automobilindustrie unentbehrliche Produktions- und Entwicklungscluster für das globale Geschäft entstanden. Mittlerweile ist das Land für viele ausländische Unternehmen – vom Mittelständler bis zum Weltkonzern – immer mehr zu einem zentralen Absatz- und Beschaffungsmarkt geworden. In einigen Bereichen, die für deutsche und europäische Wertschöpfungsketten besonders essenziell sind, haben sich kritische Abhängigkeiten gebildet – teilweise ohne ausreichende Alternativen. Oft genug ist das von Peking durchaus so gewollt.

Dualer Kreislauf: Resilienz Chinas gegenüber geopolitischen Risiken

Staats- und Parteiführer Xi Jinping will auch in Zukunft die Größe und Anziehungskraft des chinesischen Marktes zur Erreichung politischer Ziele nutzen, einerseits um die Abhängigkeiten anderer Länder zu vertiefen, aber auch um die Technologieführerschaft in Schlüsselindustrien zu übernehmen und auszubauen. Eines der Ziele ist dabei die Resilienz Chinas gegenüber geopolitischen Risiken: "Um die Sicherheit von Industrie und Staat zu gewährleisten, müssen wir unsere Kräfte daransetzen, Industrie- und Lieferketten zu schaffen, die autonom und kontrollierbar, sicher und verlässlich sind", so Xi in einer Rede vom April 2020. Darin führte er auch ein neues makroökonomisches Konzept für China ein: den "Dualen Kreislauf". Im Zentrum steht dabei der weiterwachsende chinesische Binnenmarkt, der vereinheitlicht und ausgebaut werden soll. Um das Gravitationszentrum des heimischen Marktes drehen sich die internationalen Märkte, ergänzend als äußerer Kreislauf. Sie dienen dem inneren Kreislauf einerseits als Quelle für Rohstoffe, Ressourcen, Investitionen und Technologien, andererseits aber auch als Absatzmärkte für chinesische Erzeugnisse oder Überkapazitäten.

Wirtschaftliche Autonomie durch eigene technologischen Fähigkeiten

Mit dem Konzept des "Dualen Kreislaufs" strebt China klar nach wirtschaftlicher Autonomie, die im Fall internationaler Konflikte bzw. unter Sanktionen sicherstellt, dass der Binnenmarkt weiterhin funktionsfähig ist. Um dieses Ziel zu erreichen, waren und sind umfassende Importsubstitution sowie der Auf- und Ausbau der eigenen wissenschaftlichen und technologischen Fähigkeiten die wichtigsten Voraussetzungen. Für ausländische Unternehmen mit Spitzentechnologien, in denen China noch hinterherhinkt, wird deswegen weiterhin der rote Teppich ausgerollt. Andere Wirtschaftsbereiche, in denen China bereits konkurrenzfähige Produkte und Technologien anbieten kann, müssen sich auf einen Verdrängungswettbewerb einstellen, der neben ohnehin wachsendem Konkurrenzdruck vonseiten der einheimischen Unternehmen noch mit diskriminierenden Markteingriffen der chinesischen Regierung einhergehen kann. Trotz aller Bemühungen wird China aber auch in Zukunft nicht bei allen Rohstoffen und Technologien vollständig unabhängig sein können. Zum Schutz eigener Versorgungsinteressen möchte die chinesische Führung deshalb gezielt Abhängigkeiten anderer Wirtschaftspartner von China kultivieren. Wie Xi in seiner Rede ausführt, müsse sein Land "Killertechnologien" entwickeln, um "die existenzielle Abhängigkeit internationaler industrieller Wertschöpfungsketten von unserem Land noch enger zu gestalten und so mit Blick auf absichtliche Lieferstopps des Auslands die Fähigkeit zu Abschreckung und Gegenmaßnahmen heranzubilden".

Zeitenwende auch für China?

Regierungen und Öffentlichkeit in Deutschland und Europa haben erst seit der Invasion der Ukraine durch Russland richtig begonnen, ein Bewusstsein für die sicherheitspolitische und geoökonomische Dimension von Chinas Industriepolitik zu entwickeln. In der kommunistischen Führung ist langfristiges strategisches Denken dagegen seit jeher tief verankert. Aus diesem Blickwinkel sollte daher auch die von Peking immer wieder gegenüber dem Ausland zur Schau gestellte Rhetorik von Öffnung, Kooperation und "Win-win" bewertet werden. Sie dient als Mittel zum Zweck, oft auch, um geopolitische Motive zu verschleiern. Mittlerweile wird aber immer deutlicher, dass China das Streben nach technologischer Führerschaft und wirtschaftlicher Autonomie als Teil eines Nullsummenspiels zwischen den globalen Akteuren sieht, das es zu gewinnen gilt. Die über lange Zeit suggerierte vollständige Liberalisierung und Öffnung des eigenen Marktes spielt spätestens seit der Machtübernahme von Xi Jinping 2012 keine Rolle mehr.

Historisches Trauma und moderne Propaganda

Wo liegen die Wurzeln einer derartigen Haltung? Ein wichtiger Faktor ist die historische Erfahrung Chinas mit der Machtpolitik der imperialen Großmächte. Das geopolitische und strategische Denken der Kommunistischen Partei wird noch immer stark von Ideen und Vorstellungen aus dieser Zeit geprägt. In der offiziellen Darstellung ist die Demütigung Chinas durch die westlichen Kolonialmächte in den Opiumkriegen Mitte des 19. Jahrhunderts ein grundlegendes und wiederkehrendes Motiv. Das Reich der Mitte, das zuvor noch ein Drittel der globalen Wirtschaftsleistung für sich verbuchen konnte, war mit einem Schlag militärisch und technologisch rückständig und wurde zu "ungleichen Verträgen" gezwungen. Dem Selbstverständnis Chinas als der zentralen Führungsnation der menschlichen Zivilisation war der Boden entzogen worden. Die Niederlagen hinterließen ein tiefes Trauma. Seitdem dient das "Jahrhundert der Demütigung" auch der Kommunistischen Partei als revisionistisches Leitmotiv für das Streben zu alter Größe. Xi Jinpings "chinesischer Traum" betont deswegen auch die Warnung vor Abhängigkeit, Schwäche und technologischer Unterlegenheit. Gleichzeitig liefert die historische Erfahrung eine Rechtfertigung, wenn sich China nicht an vereinbarte Regeln mit dem Westen oder internationale Abkommen hält und dafür kritisiert wird.

Dieses Geschichtsverständnis hat jedoch auch eine schwere Schieflage. Einerseits bleibt die Rolle der westlichen Demokratien beim wirtschaftlichen Aufbau Chinas in den letzten 40 Jahren völlig unberücksichtigt. Andererseits wird aber auch die lange Phase der Isolation nach Gründung der Volksrepublik komplett ausgeblendet. Sozialistische Planwirtschaft, ideologische Kampagnen und politische Machtkämpfe führten nicht nur zu Dutzenden Millionen von Toten, sondern hatten auch wirtschaftliche und technologische Rückständigkeit zur Folge. Während China in dieser Zeit noch mit sich selbst beschäftigt war, setzte so manches asiatische Nachbarland bereits zum Entwicklungssprung an.

Chinas technologische Aufholjagd

Als im Zuge der "Reform- und Öffnungspolitik" Deng Xiaopings ab dem Jahr 1978 die klassische sozialistische Planwirtschaft langsam in den Hintergrund trat und immer mehr privatwirtschaftliche Dynamik zugelassen wurde, begannen Investoren aus entwickelten Ländern, ins Land zu strömen. Damit wurde auch die erste Phase von Technologietransfers eingeläutet. Vor allem der Zwang ausländischer Unternehmen zur Zusammenarbeit in Form von Joint Ventures, aber auch klassische Wirtschafts- und Industriespionage ermöglichten China den Zugriff auf dringend benötigte Technologien. Doch das Umfeld war in den 1980er und 1990er Jahren in weiten Teilen noch nicht reif genug, sodass die Ergebnisse trotz großer Fortschritte in einzelnen Bereichen insgesamt eher durchwachsen waren. Erst mit dem WTO-Beitritt im Jahr 2001 war China letztendlich in der Lage, in großem Stil Technologien aus dem Ausland zu absorbieren und durch gezielte Bildungs- und Forschungsstrategien eine kritische Masse an Wissenschaftlern, Ingenieuren und Experten auszubilden.

Weiterentwicklung des chinesischen Innovationssystemsdurch gezielte Industriepolitik

In Kombination mit der Wirtschafts- und Industriepolitik spielte auch die Forschungs- und Innovationspolitik eine zentrale Rolle. Waren es zu Beginn überwiegend einfache Konsumgüter, deren Produktion mithilfe ausländischer Investitionen im Land aufgebaut wurde, konnten durch die fein abgestimmte Öffnungspolitik mit der Zeit auch immer mehr internationale Unternehmen angelockt werden, die komplexe Produkte herstellten. Auf dieser Basis entstand letztendlich der Nährboden für technologische Selbstständigkeit und zukünftige Innovationskraft. Mitte der 2000er Jahre förderte China dann systematisch die technologische Entwicklung und Herstellung von komplexeren Hightech- und Produktionsgütern. Besonders der 2006 veröffentlichte »Mittel- bis langfristige Entwicklungsplan für Wissenschaft und Technologie (2006–2020)« (MLP) war ein Wendepunkt für die Weiterentwicklung des chinesischen Innovationssystems und ein Versuch, durch gezielte Industriepolitik endlich technologische Eigenständigkeit zu erreichen. Eines der Ziele war die Förderung eigenständiger Innovationskapazitäten, zumal China bis dahin meist nur in der Lage war, billige Kopien von westlichen Produkten anzufertigen. Im MLP wurden Industrien, Technologien und Forschungsgebiete definiert, die für die Weiterentwicklung des chinesischen Innovationssystems als zentral erachtet wurden. Diese sollten ebenso zur Steigerung der wirtschaftlichen Leistungsfähigkeit und Produktivität beitragen. Zur Erreichung der Ziele setzte Chinas Regierung dann entsprechende Förderprogramme auf, allen voran direkte und indirekte Subventionen. Der im MLP festgelegte Rahmen für die Weiterentwicklung des chinesischen Innovationssystems wurde in den folgenden Fünfjahresplänen dann immer wieder aufgegriffen und konkretisiert, um den gesteckten Zielen sukzessive näher zu kommen.

Systematischer Vorstoß an die Spitze

Im nächsten Schritt sollte die Initiative »Made in China 2025« (MIC2025) dazu dienen, staatliche Eingriffe noch stärker auf bestimmte Felder zu bündeln, gezielt Technologieträger zu lokalisieren und deren Technologien zu transferieren. Dazu setzten die Planer in Peking Zielquoten, wiesen Subventionen aus und richteten staatliche Lenkungsfonds ein. So wollten sie die Entwicklung hin zu substanziellen oder gar dominierenden Marktanteilen chinesischer Hochtechnologien im Land und nachfolgend auch auf dem Weltmarkt vorantreiben. Im Zentrum von MIC2025 standen zehn Zukunftstechnologien wie zum Beispiel Automatisierung, Energieausrüstung, Luft- und Raumfahrt oder Marinetechnik. Auf einigen Gebieten wie Biopharmazeutik, Medizintechnologie oder Neuen Materialien hängt China zwar noch hinterher, aber der Anschluss zur Spitze wird weiterverfolgt. Dagegen konnte China in Bereichen wie Elektrofahrzeugen oder dem autonomen Fahren, vor allem aber auch auf entscheidenden Zukunftsfeldern wie der Quanteninformatik und Künstlicher Intelligenz zu anderen Ländern aufschließen und sie teilweise sogar überholen.

Europa im Innovationsrennen abgehängt?

Europa dagegen hat den Trend der letzten Jahre verpasst und kann bis heute kaum ein namhaftes Unternehmen im Bereich digitaler Technologien vorweisen. Auch im bisher so erfolgreichen Automobilsektor droht den europäischen Unternehmen ein harter Konkurrenzkampf um neue Technologien. Im Rahmen der Technologietransfers ist eine Reihe von bewährten, aber auch für China neuartigen Instrumenten erfolgreich zur Anwendung gekommen. Zu den gängigen Maßnahmen zählten vor allem umfangreiche Subventionen sowohl auf lokaler Ebene als auch landesweit für ganze Branchen. Dazu kamen Finanzierungsvergünstigungen, gebündelte Projektförderung in Industrieparks und die anwendungsorientierte Unterstützung von Forschung und Entwicklung. Ausländische Unternehmen und Forschungseinrichtungen waren dabei als Quelle für Technologietransfers willkommen, auch wenn sie nicht immer an den Fördermöglichkeiten teilhaben durften.

Zielbild: Innovationssupermacht China

Damit einher geht auch die »Nationale Strategie für innovationsgetriebene Entwicklung«, die im Jahr 2016 vom chinesischen Staatsrat verkündet wurde. Aus Sicht Pekings befindet sich die Welt gerade in einer »neuen Runde der wissenschaftlich technischen Revolution und der industriellen Evolution«. Nach dem Aufstieg Chinas in die Riege der innovationsorientierten Länder bis 2020 soll das Land bis 2030 zu den führenden Ländern gehören und bis 2050 zu einer weltweiten Innovationssupermacht werden. Ziel ist es, den "Aufbau Chinas zu einer … modernisierten sozialistischen Nation" voranzutreiben und den "chinesischen Traum vom großen Wiedererwachen der chinesischen Nation" zu verwirklichen. Technologiebeschaffung im Ausland Im Zuge von MLP, MIC2025 und der "innovationsgetriebenen Entwicklung" sind chinesische Akteure auch erstmals in großem Stil ins Ausland gegangen, um sich gezielt an technologieintensiven Unternehmen, Forschungspartnerschaften und Projekten zu beteiligen.

Einkaufstour in Europa und gezieltes Anwerben von Fschkräften

Zu diesen neu eingeführten Instrumenten zählten auch Anwerbeinitiativen wie zum Beispiel der »Tausend-Talente-Plan«, um führende chinesische und ausländische Wissenschaftler nach China zu locken. In den ersten Jahren von MIC2025 traten zudem chinesische Investoren eine wahre Übernahmewelle in Europa los. Eine Auswertung von M&A-Transaktionen zwischen 2014 und 2017 zeigt, dass neben vereinzelten Prestigeobjekten wie Luxushotels oder Fußballclubs vor allem Übernahmen in Bereichen getätigt wurden, die für MIC2025 relevant waren. Die chinesische Regierung hat sowohl staatliche als auch private Unternehmen ermutigt, Investitionen in den definierten Bereichen zu tätigen, um neue Technologien zu assimilieren und bestehende Lücken zu schließen. Gerade auch in Deutschland wurden technologieintensive Unternehmen oft komplett übernommen – angefangen von Schnäppchenkäufen hochspezialisierter mittelständischer Maschinenbauer in Zahlungsschwierigkeiten bis hin zur Milliardenübernahme des börsennotierten Roboterherstellers Kuka.

Ausweitung der Pläne: fortschritlichste Fertigungsindustrie weltweit

Zum Start von MIC2025 (2015–2025) wurden in einer umfassenden Kraftanstrengung verschiedene Akteure aus Politik, Wirtschaft und Wissenschaft auf ein gemeinsames Ziel eingestimmt, damit China die nächste technologische Stufe erreichen konnte. Dabei sollten nicht nur Fertigungsqualität, Innovationsfähigkeit und Arbeitsproduktivität gesteigert, sondern auch Produktionsprozesse auf ein technologisch fortgeschrittenes Niveau gebracht, Energie und Ressourcen eingespart und chinesische Unternehmen fit für den globalen Wettbewerb gemacht werden. In einer zweiten Stufe von MIC2025 (2025–2035) ist geplant, dass Chinas Fertigungsindustrie mit den fortschrittlichsten globalen Industrien gleichzieht. Ein zentraler Erfolgsfaktor dafür ist das Schließen letzter technologischer Lücken und das Setzen eigener Standards, die dann auch global ausgerollt werden sollen. Zwischen 2035 und 2049 möchte China dann endgültig zur technologischen Supermacht aufsteigen und weltweit die Bereiche Innovation, Technologie, Produktionsgüter und Produktionssysteme dominieren.

Vorteil des großen Binnemarktes

Gerade mit Blick auf globale Expansionspläne kommen China die Größe und Anziehungskraft des eigenen Marktes immer wieder zugute: Ausländische Unternehmen werden durch die Aussicht auf ein riesiges Marktpotenzial gelockt, verlieren im Land aufgrund staatlicher Vorgaben oder durch unfreiwilligen Technologietransfer über kurz oder lang ihren technologischen Vorteil und werden am Ende zuweilen ganz vom chinesischen Markt gedrängt. Neben Subventionen und einer Bevorzugung bei öffentlichen Ausschreibungen ist vor allem der in vielen Bereichen vor ausländischer Konkurrenz geschützte chinesische Binnenmarkt ein großer Vorteil für chinesische Unternehmen. Hohe Wachstumsraten und die Tiefe des Marktes erlauben chinesischen Unternehmen eine besonders schnelle Skalierung. In Kombination mit direkten und indirekten staatlichen Fördermaßnahmen multiplizieren sich die Synergieeffekte teilweise so stark, dass chinesische Unternehmen über den Heimatmarkt hinaus auch in Europa oder auf Drittmärkten immer mehr Anteile gewinnen. Industriezweige mit hohem Wachstumspotenzial, in die Deutschland vor zehn, 15 Jahren noch sehr große Hoffnungen setzte, werden global immer stärker von chinesischen Unternehmen dominiert. Darunter sind zum Beispiel Photovoltaik, Windenergie oder Hochgeschwindigkeitszüge.

Neue Seidenstraße: Chinas Traum von der globalen Expansion

Mit einem bewussten Rückgriff auf die goldenen Zeiten der klassischen Seidenstraße verkündete Xi Jinping im Jahr 2013 die »Belt and Road Initiative« (BRI), die trotz romantisierender Anklänge zum Ausdruck für Chinas globalen Expansionsdrang werden sollte. Oft mit dem harmlos erscheinenden Begriff Seidenstraßeninitiative betitelt, steckt dahinter ein strategisches Konzept, das eine Reihe von außenwirtschaftlichen, aber auch geopolitischen Zielen verfolgt. Durch gezielte Investitionen sollen Rohstoffquellen gesichert, politischer Einfluss und wirtschaftliche Abhängigkeiten geschaffen, Absatzmärkte geöffnet und Überkapazitäten im eigenen Land ausgelagert werden. So kam es, dass in den letzten zehn Jahren chinesische Unternehmen und Banken zu den weltweit größten Investoren aufstiegen und in fast allen Regionen und Ländern umfangreiche Projekte in Angriff nahmen.

Dabei setzt die chinesische Regierung nicht nur die Leitplanken für staatliche und private Akteure,sondern unterstützt die Projekte auch finanziell und diplomatisch. Mittlerweile ist auch abzusehen, dass in den kommenden Jahren militärische Interessen bei Projekten wie Hafenanlagen stärker in den Vordergrund treten dürften. Durch die offensichtlich gezielt erzeugten politischen Abhängigkeiten gewinnt Pekings Stimme in vielen Ländern Zentralasiens, Afrikas, Lateinamerikas und sogar in Südosteuropa immer mehr an Gewicht. Deutsche und europäische Unternehmen stehen bei BRI-Projekten dagegen im Abseits. Die Ausschreibungsverfahren sind intransparent und ausländische Bieter bekommen kaum direkten Zugang zu Projekten. Bei zwei Dritteln aller BRI-Projekte kommen nur chinesische Unternehmen zum Zug, bei rein chinesisch finanzierten Projekten sind es sogar knapp 80 Prozent. 

Dominanz wächst auch durch chinesische Standards

So bestimmt China mittlerweile auch die Standards, nach denen gebaut wird, z. B. im Bereich Hochspannungsleitungen oder bei Mobilfunknetzen. Inzwischen werden europäische Unternehmen auf den internationalen Drittmärkten immer mehr von der Konkurrenz chinesischer Staatsunternehmen (SOE) vom Platz gedrängt. Diese steigt politisch flankiert von Chinas Diplomatie und finanziell gedopt mit vergünstigten Krediten sowie subventionierten Rohstoffen und Vorleistungen in den Ring. Zwar mögen sich viele BRI-Projekte als finanzielle Fehlschläge erweisen und auch bei der Bevölkerung vor Ort teilweise Unmut erzeugen. Im Gesamtblick geht die Rechnung für die chinesische Regierung aber auf, da nicht nur wirtschaftliche, sondern auch politische Interessen ausschlaggebend sind. Vor allem in der langfristigen Perspektive der Kommunistischen Partei, die sich selbst in einem anhaltenden Existenzkampf mit dem Westen sieht, ergibt diese Strategie durchaus Sinn.

Rückwendung zur Ideologie

Nach dem Beitritt Chinas zu WTO vor mehr als zwanzig Jahren schien vielen ausländischen Beobachtern ein Wandel Chinas hin zu einem marktwirtschaftlich geprägten System für geradezu unausweichlich. Investoren, die massenhaft in die Volksrepublik strömten, hielten die ideologische Phrasendrescherei der Kommunistischen Partei (KP) eher für eine Art übrig gebliebene sozialistische Folklore, die über kurz oder lang in der Bedeutungslosigkeit versinken würde. Dennoch war es für die KP stets eine Frage der Legitimation, die Kontrolle des Staates über die Wirtschaft zu behalten. Hinzu kam die globale Finanzkrise im Jahr 2008 als ein wichtiger Wendepunkt. Chinas Führung blickte plötzlich sehr selbstbewusst auf sein Hybridsystem. Das Modell der liberalen westlichen Marktwirtschaft hingegen wirkte auf einmal sehr fragil und anfällig. Durch die direkten Interventionsmöglichkeiten des Staates in Real- und Finanzwirtschaft erschien das chinesische System mit seinen Marktzugangs- und Kapitalverkehrskontrollen sowie seinem mächtigen staatswirtschaftlichen Kern und der Masse an dynamischen privaten Unternehmen resistenter gegenüber globalen Krisen.

Xi Jinping verkörpert neues Selbstbewusstsein

Unter Xi Jinping wurde dieses neue systemische Selbstbewusstsein weiter gefördert und ausgebaut. In marxistisch-leninistischer Tradition sieht er China nach wie vor in einem langwährenden ideologischen Existenzkampf mit dem liberalen Westen, in dem sich das Blatt aber aus seiner Perspektive mittlerweile gewendet hat. Zwar ist China auf absehbare Zeit noch auf Zusammenarbeit mit dem "Kapitalismus" angewiesen, doch gehen die Planungen längst darüber hinaus. So sagte Xi bereits 2013 in einer Rede an der zentralen Parteischule: "Der letztliche Untergang des Kapitalismus und der Endsieg des Sozialismus ist notwendigerweise ein sehr langer geschichtlicher Prozess. Wir müssen ganz genau die Fähigkeit kapitalistischer Gesellschaften zur Selbstanpassung erkennen, die objektive Tatsache anerkennen, dass die entwickelten Länder des Westens bei Wissenschaft und Technik sowie im militärischen Bereich seit Langem eine überlegene Position einnehmen und uns gewissenhaft auf eine Zusammenarbeit und einen Kampf beider Gesellschaftssysteme für lange Zeit und in allen Aspekten vorbereiten." In diesem Kontext gehört Chinas  Internationalisierung zur Gesamtstrategie der Kommunistischen Partei. Diese steht im Kontrast zum liberalen Konzept, das auf vernetzten globalen Märkten basiert, in und mit denen fairer Wettbewerb zu besseren Ergebnissen und mehr Wohlstand auf allen Seiten führt.

Dagegen sieht sich die Kommunistische Partei in einem Nullsummenspiel, in dem der Vorteil der einen immer zulasten der anderen Seite geht. Die Wahl der Mittel ist oft nicht zimperlich, der eigene Vorteil steht im Mittelpunkt, und alle chinesischen Akteure im In- und Ausland sind aufgerufen mitzuwirken. Der Auftrag ist klar: politischen Einfluss erhöhen, Abhängigkeiten schaffen, neue Märkte erschließen, entscheidende Anteile auf Exportmärkten gewinnen, neue Technologien assimilieren, Importabhängigkeiten substituieren, Rohstoffversorgung sicherstellen und Resilienz gegenüber Sanktionen und internationalen Konflikten steigern.

Konsequenzen für europäische Unternehmen

In westlichen Wirtschaftskreisen wird oft die Ansicht vertreten, dass sich der Staat mit Technologiepolitik zurückhalten sollte. Und auf den ersten Blick wirken Chinas Pläne und Strategien oft wie ein Rückgriff in die ideologische Mottenkiste des Marxismus Leninismus. Dennoch sind die technologischen Erfolge, die China in den letzten 20 Jahren erzielt hat, nicht zu verleugnen. Auch deswegen müssen Politiker und Unternehmer in Deutschland und Europa die Entwicklungen sehr ernst nehmen und sollten sich keinen Illusionen hingeben: Marktzugang, Investitionen und Zusammenarbeit mit chinesischen Partnern stehen immer unter der Prämisse der Nützlichkeit für Chinas Gesamtstrategie und Aufstieg. Solange ausländische Anbieter einen Beitrag leisten, sind sie willkommen und werden gefördert. Sobald sie durch chinesische Unternehmen ersetzt werden können, verändert die chinesische Regierung die Rahmenbedingungen oft gezielt zu ihren Ungunsten – allen offiziellen Bekundungen und internationalen Gepflogenheiten zum Trotz.

Technologische Eigenständigkeit und globale Expansion

Auch was den Schutz ihrer Investitionen in China angeht, sollten Unternehmen realistisch sein. Geistige Eigentumsrechte, wichtige Daten und auch physisches Eigentum sind im Zweifel kaum vor dem Zugriff von Partei, Staat und chinesischen Konkurrenten zu schützen. Eine Konvergenz der Systeme ist längst in weite Ferne gerückt. Asymmetrien und ein Mangel an Reziprozität beim Marktzugang sowie anhaltende Verzerrungen des Wettbewerbs werden den europäischen Unternehmen auch in Zukunft das Leben schwer machen. Die EU hat zwar mit dem Aufbau einer Werkzeugkiste an Defensivinstrumenten begonnen, ob die Instrumente in der Praxis die erwünschte Wirkung zeigen und Wettbewerbsgleichheit wiederherstellen können, ist derzeit jedoch fraglich. China scheut nicht davor zurück, in Handelskonflikte zu treten und seinen langjährigen Partnern spürbare wirtschaftliche Schmerzen zu bereiten.

Missachtung globaler Regeln

Dabei setzt die chinesische Führung darauf, dass die EU tendenziell vor größeren Auseinandersetzungen zurückschreckt oder zu letztendlich keiner gemeinsamen Linie kommt, wenn harte Entscheidungen anstehen. Hinzu kommt eine neue Hybris der Kommunistischen Partei. Sie glaubt, inzwischen am längeren Hebel zu sitzen, sodass sich China aufgrund seiner globalen Bedeutung nicht an die gleichen Regeln halten müsse wie seine Handels- und Wirtschaftspartner. Das Recht des Stärkeren drängt an die Stelle eines markt- und regelbasierten Handelssystems. Aus wirtschaftlichem Wettbewerb wird immer mehr auch systemische Rivalität. China propagiert nunmehr offen, dass der Westen im Abstieg und der Osten im Aufstieg begriffen sei. Das chinesische Modell sei daher auch für andere Entwicklungsländer die bessere Option.

Vor diesem geopolitischen Hintergrund tun deutsche und europäische Unternehmen gut daran, sich bei allen Plänen und Aktivitäten in China klarzumachen, in welchem ideologischen Koordinatensystem sie agieren und wie sie damit umgehen. Sie sollten dabei stets folgende Fragen für sich ehrlich beantworten können: Welche Technologien und welches Know-how können in China eingesetzt werden, ohne bei deren Verlust die Existenz des Unternehmens zu gefährden? Welche Abhängigkeiten vom chinesischen Markt bestehen bei Umsatz und Gewinn, Einkauf und Produktentwicklung? Inwieweit ist das Unternehmen in einem Extremfall in der Lage, auf China als Absatz- bzw. Beschaffungsmarkt zu verzichten? Die Beantwortung dieser existenziellen Fragen sowie das Denken in Szenarien und die Vorbereitung auf größere Verwerfungen gewinnen deswegen immer mehr an Dringlichkeit.

Dieser Beitrag enstammt dem Band "Wie gestalten wir unsere Beziehungen zu China?", der im November 2022 u. a. mit Beiträgen von Volker Stanzel, François Godement, Stefan Gätzner, Patricia Schetelig, Malin Oud, Markus Beyrer und Andrew Small im Herder Verlag erschienen ist.