Corona-Krise – Schock für die Energiemärkte
Leere Straßenzüge, geschlossene Cafés, Geisterbusse im Stadtbetrieb, Hunderttausende Angestellte im Homeoffice, Bundestagssitzungen mit Mindestabständen – innerhalb kürzester Zeit steht unserer Alltag Kopf. Nichts scheint plötzlich mehr so, wie es einmal war.
Die Pandemie versetzte nach ihrem Ausbruch im chinesischen Wuhan die zweitgrößte Wirtschaftsnation fast in eine Schockstarre. Die wirtschaftliche Krise, die uns nun in Europa ereilt, beruht auf einer Verkettung von Ereignissen und unterscheidet sich schon in ihrer Natur und in ihrem Ursprung von anderen Wirtschaftskrisen, die wir aus der Vergangenheit kennen. Die Corona-Krise ist anders als die Finanzkrise von 2008. Sie ist keine im Kapitalmarkt entstandene Krise, sondern entspricht einem kompletten Shutdown unseres Wirtschaftssystems auf Produktions- und Nachfrageseite. Die realen Auswirkungen der Epidemie in China machen sich in Europa erst mit einer Verzögerung richtig breit. Zeitgleich beginnt der exponentielle Ausbruch des Virus in Europa und auf der ganzen Welt. Somit wird auch in Deutschland der wirtschaftliche „Lockdown“ zur Realität.
Die Ölpreiskrise
Der Abwärtstrend der Märkte lässt auch die Energiepreise nicht unberührt, denn Energie- und Finanzmärkte sind eng miteinander verknüpft – insbesondere in den Terminmärkten. China ist als Wirtschaftsmacht auch einer der größten Energieverbraucher. Die flächendeckende Stilllegung der Produktionsstätten in dem Land führte seit Januar zu einem drastischen Einbruch der Öl- und Gasnachfrage mit entsprechendem Druck auf die globalen Ölpreise. Ausgerechnet in dieser angespannten Lage liefern sich Saudi-Arabien und Russland einen Preiskrieg. Beide verfolgen das Ziel, ihre jeweiligen Marktanteile auszubauen, anstatt Ölfördermengen, die weiter in den Markt gepumpt werden, zu drosseln. Mit dem Scheitern der OPEC+ Verhandlungen Anfang März 2020 kam es zu einem weiteren Preissturz an den Ölmärkten. Anfang März fürchtete man noch einen Einbruch des Ölpreises von gut 65 bis auf 30 Dollar/Barrel. Womit man möglicherweise zu diesem Zeitpunkt noch nicht rechnete, war das Überschwappen der Corona-Krise auf Europa und der ganzen Welt. Mit dem darauffolgenden wirtschaftlichen Teil-Shutdown in Europa und schließlich in Teilen der USA, sanken die Ölpreise innerhalb einer Woche auf unter 25 US-Dollar pro Barrel (WTI).
Der niedrige Ölpreis mag die Konsumenten in erster Linie erfreuen, jedoch hat dieser auch durchaus gravierende Implikationen für Ölkonzerne und andere ölproduzierende Staaten, dessen Währungen direkt an Kaufkraft verlieren. Unter ihnen sind ohnehin einige sehr fragile Staaten. Auch US-amerikanische und europäische Produzenten bekommen die Entwicklungen hart zu spüren. Entsprechend reagieren deren Aktienkurse. Dies betrifft auch insbesondere die Fracking-Industrie in den USA, die Russland auch ein Dorn im Auge gewesen sein mag. Wie lange Russland und Saudi-Arabien ihre Positionen halten können und wie strapazierfähig ihre Wirtschaften sind, ist zum jetzigen Zeitpunkt noch ungewiss. Ohne eine Einigung wird jedoch eine Stabilisierung des Ölpreises nicht möglich sein.
Die Auswirkungen auf den Strompreis
Aber auch andere Commodities bekommen die Auswirkungen der Corona-Krise zu spüren. So sind mit Eintritt der Ausgangssperren und dem Zurückfahren des öffentlichen Lebens die Strom- und CO2-Preise in Europa seit Mitte März im freien Fall. Energiehändler haben mit großen Volatilitäten und Ungewissheiten zu kämpfen. Neben dem derzeit hohen Anteil an Erneuerbaren Energien am Markt und der geringeren Nachfrage drücken geringere Brennstoffkosten, sowie niedrige CO2-Preise noch zusätzlich auf den Strompreis. Folge war ein Preisverfall am deutschen Strommarkt, innerhalb nur weniger Tage sank der Preis pro Megawattstunde (MWh) von rund 30 Euro auf 18 Euro.
Der Produktionsrückgang in Europa zeigt sich ebenso erheblich am CO2-Zertifikatemarkt ab. Innerhalb einer Woche sind die Preise um rund 40 Prozent von rund 25 auf 15 Euro gesunken. Auf diesem Niveau hat sich der CO2-Preis allerdings stabilisiert. Ein Volumenpeak Ende Februar deutet auf einen Last-Minute-Verkauf einiger Zertifikate im Überschuss hin, noch bevor ein Produktionsrückgang Mitte März eingesetzt hat. Schon allein die deutsche Automobilindustrie ist unabhängig von Ausgangssperren gezwungen, ihre Produktion herunterzufahren, da entscheidende Lieferketten zwischen Europa und China für die Weiterproduktion unterbrochen sind. Betrachtet man die Lastprofile einzelner Länder, fällt auf, dass die Stromnachfrage in Deutschland noch nicht in großem Maße eingebrochen ist, wie in anderen europäischen Nachbarstaaten. Während in Deutschland die Stromnachfrage etwa um neun Prozent gesunken ist, ist sie in Italien um rund 30 Prozent eingebrochen. Im Gegensatz zu den auf den Straßenverkehr erhobenen Grenzen in Europa, sind die Energienetze am europäischen Binnenmarkt noch grenzüberschreitend aktiv. So werden Preiseffekte am Strom- und Gasmarkt auch über Grenzen hinweg getragen.
Darüber hinaus führt die aktuelle Lage zu einer Verschiebung der Standardlastprofile: Der Industrieverbrauch wird geringer, dafür steigt die Nachfrage in den Haushalten. Private Haushalte bedienen später am Tag ihre Wasserkocher und Toaster, da die Angestellten im Homeoffice arbeiten. Gleichzeitig erhöht sich der Strombedarf für Internetkapazitäten: Von Webkonferenzen, über Netflix-Streaming und online Yoga-Kursen – da die Menschen erheblich mehr Zeit im Internet verbringen. Die Veränderungen in den Lastprofilen sollte dementsprechend die Netzbetreiber auf Trab halten, dies alles korrekt auszubalancieren und die Frequenz im Netz zu halten.
Im Vergleich zu dem Sinkflug, der sich am Strommarkt Mitte März abzeichnete, konnten am Gasmarkt eher stabilere Preise auf niedrigem Niveau beobachtet werden. Da besonders die LNG-Preise eng mit dem asiatischen Markt verknüpft sind hat sich der drastische Nachfrageverlust im asiatischen Raum bereits sehr früh auch in den europäischen Gaspreisen widergespiegelt.
Auswirkungen auf die Versorgungssicherheit hat das niedrige Energiepreisniveau vorerst nicht. Klar ist jedoch, dass das niedrige Preisniveau durchaus Folgen für die Energiewende hat. Fossile Brennstoffe werden wieder erheblich billiger als Erneuerbare Energien und der CO2-Preismechanismus des Europäischen Emissionshandels zeigt auf niedrigem Preisniveau kaum noch eine Lenkungswirkung. Auch der Ausbau der Erneuerbarer Energien stockt in der aktuellen Lage, da Lieferketten für Windkrafträder und Solarmodule derzeit unterbrochen sind.
Zudem braucht die Energiewende erhebliche Investitionen. Was wird aus den geplanten Summen für die Umsetzung des European Green Deal nach der Corona-Krise? Bisher hält die Europäische Kommission an ihren Plänen fest. Auch die International Energy Agency (IEA) macht Mut: Ausgerechnet jetzt sei der Zeitpunkt, auf die Energiewende zu setzen. In dieser Situation mit geringer Nachfrage von Brennstoffen sei der Marktanteil an Erneuerbaren Energien derzeit extrem hoch. Dies bereite eine außergewöhnliche Chance, die Integration erneuerbarer Energien weiter zu erproben, so Fatih Birol, CEO der IEA.
Ob die Normalität unseres Alltags und somit auch unsere wirtschaftliche Wertschöpfung so schnell zurückkehrt, wie sie geschwunden ist, bleibt an dieser Stelle allerdings völlig offen.