Klimaneutralität 2045: Ehrgeizig, aber technologisch machbar
Die Umsetzung der Klimaschutzmaßnahmen erfordert bis 2030 Mehrinvestitionen in Höhe von rund 860 Milliarden Euro, die Staat, Bürgerinnen, Bürger und Unternehmen aufbringen müssen. Das sind pro Jahr etwa 100 Milliarden Euro und ist deutlich mehr, als der Staat bislang jährlich insgesamt am Standort investiert – ein gewaltiger Kraftakt. Das klimaneutrale Industrieland gibt es nicht zum Nulltarif – weder für Unternehmen noch für private Haushalte. Die Einnahmen aus der CO2- Bepreisung werden längst nicht ausreichen, um die vorgeschlagenen Instrumente und den Ausgleich für Bürgerinnen, Bürger und Unternehmen zu finanzieren. Es bleibt eine zusätzliche fiskalische Belastung, die auf ein Volumen von rund 50 Milliarden Euro allein im Jahr 2030 anwächst. Mit den notwendigen Investitionssummen ist es für die neue Bundesregierung noch nicht getan – um es in der Sprache des Fußballs auszudrücken: „Geld allein schießt keine Tore.“
Historische Infrastrukturoffensive und Revolution bei Planungsverfahren
Die nächste Regierung muss den Weg zum klimaneutralen Deutschland entlang von zwei Leitplanken ausbauen: Erstens der Umsetzung einer historisch einzigartigen Infrastrukturoffensive für einen massiven Ausbau von Strom-, Fernwärme-, CO2- und Wasserstoffnetzen, Lade- und Wasserstofftankstellen sowie Schienennetzen in Höhe von 240 Milliarden Euro bis 2030. Zweitens einer Revolution bei Planungen und Genehmigungen durch Vereinfachung, Verkürzung und Digitalisierung der Verfahren sowie durch zusätzliche Kapazitäten in Behörden und Gerichten. Für jahrelange Verfahren auf der Basis von Papierausdrucken lassen die ehrgeizigen Klimaziele keine Zeit mehr. Uns läuft die Zeit davon. Nach heutigem Fahrplan wird kein Sektor seine Klimaziele erreichen. Ohne sofortiges Umsteuern wird Deutschland bis 2030 etwa 184 Millionen Tonnen CO2 einsparen: Das sind nur 49 Prozent, nicht einmal die Hälfte von dem, was die bisherige Regierung beschlossen hat.
Klimaschutz muss Chefsache werden
Die nächste Bundesregierung muss umgehend handeln, konkrete Entscheidungen sind überfällig. Klimaschutz muss Chefsache werden. Ein so umfassendes Programm braucht nicht zuletzt aufgrund seiner vielfältigen Querbeziehungen zu anderen Themen eine zentrale strategische Steuerung in der Regierung. Anstelle einer fragmentierten Verantwortung, wie wir sie vom Klimakabinett der Großen Koalition kennen, muss in der nächsten Bundesregierung die zentrale Klimakompetenz idealerweise beim Bundeskanzler liegen. Strategische Steuerung bedeutet auch: nicht jedes Jahr aufs Neue ineffiziente Sofortmaßnahmen lostreten, falls eines der jährlichen Sektorziele des Klimaschutzgesetzes nicht ganz erreicht wird. Sondern: größer denken und ein Wirtschaftsprogramm für Klima und Zukunft jetzt aufsetzen. Die gute Nachricht ist: Das Ziel Klimaneutralität bis 2045 ist überaus ehrgeizig, aber technologisch im Prinzip machbar. Doch es gibt dafür keine einfachen Lösungen. Ein höherer CO2-Preis allein wird es nicht richten.
Ein Wirtschaftsprogramm für Klima und Zukunft mit 21 Top-Vorschlägen
Wir formulieren in unserer Studie insgesamt 21 Top-Vorschläge entlang der vier Sektoren Industrie, Energiesystem, Verkehr und Gebäude, damit Deutschland den Veränderungsprozess meistert – ohne soziale und ökonomische Brüche. Zu diesen Instrumenten gehören die eben erwähnte Infrastrukturoffensive, etwa für Wasserstoffpipelines, genauso wie zum Beispiel Klimaschutzverträge, grüne Leitmärkte und Kaufanreize für Elektroautos. Die Industrie steht vor besonderen Herausforderungen: Die Unternehmen müssen bei der Modernisierung ihrer Produktionsanlagen mittelfristig deutlich höhere Betriebskosten für CO2-arme Produktionsverfahren und CO2-freie Energieträger finanzieren. Im Industriesektor sind schon bis 2030 rund 50 Milliarden Euro Investitionen in die Veränderung zentraler Produktionsprozesse wie für Stahl, Chemie und Zement notwendig – und nach 2030 müssen diese Investitionen fortgesetzt werden.
Betriebskosten und Strombedarf als Crux für die Industrie
Doch das ist längst nicht die größte Herausforderung: Für die Industrie sind nicht nur die Kapitalkosten, sondern vor allem die deutlich höheren Betriebskosten von klimafreundlichen Technologien im Alltag die größte Herausforderung. Damit müssen sich die deutschen Industriestandorte dem internationalen Wettbewerb aus Ländern stellen, die ihre Transformation zu Klimaneutralität über einen sehr viel längeren Zeitraum strecken. Gleichzeitig wird bis 2030 allein der Strombedarf in der Industrie durch die Elektrifizierung von industriellen Wärmeprozessen um 63 Terawattstunden steigen – diese Zunahme entspricht aktuell dem Strombedarf der gesamten Schweiz. Und zwischen 2030 und 2045 wird sich dieser Trend fortsetzen. Die dafür notwendige Erzeugungsleistung muss verlässlich zur Verfügung stehen – auch in der Dunkelflaute. Die Politik muss die Unternehmen auf dem Weg in die Klimaneutralität so unterstützen, dass erneuerbare Energien und ihre Nutzung deutlich günstiger werden. Sie muss international wettbewerbsfähige Energiekosten sichern, bestehende Entlastungsregeln beibehalten und die EEG-Umlage abschaffen.
Vorbild bleiben, indem Klimaschutz made in Germany funktioniert
Die aktuelle Planlosigkeit und Unsicherheit der deutschen Klimapolitik drohen zur Gefahr für unseren Standort zu werden: vom Auseinanderdriften der Gesellschaft bis zu einer dauerhaften Schwächung der Industrie. Wenn wir scheitern würden, würden wir das Erfolgsmodell des Industrielands Deutschland zerstören und den Wohlstand des ganzen Landes gefährden. Wir würden dann nicht nur hier in Deutschland die Akzeptanz verlieren, sondern auch andere Länder abschrecken. Wir wollen Vorbild bleiben, indem Klimaschutz made in Germany funktioniert. Dann sind diese Lösungen attraktiv auch für andere Länder, dann wirken die Verbesserungen nicht nur auf die deutschen zwei Prozent am globalen CO2-Fußabdruck, dann können wir einen wirklich entscheidenden Einfluss auf die Abwehr des Klimawandels haben.