Das neue Klimaschutzgesetz – wann kommt die Stunde der Wahrheit?
Das Bundeskabinett hat Mitte Mai Änderungen am Bundes-Klimaschutzgesetz (KSG) beschlossen und das nicht einmal zwei Wochen nach der Veröffentlichung des viel beachteten Beschlusses des Bundesverfassungsgerichts zum Klimaschutz. Das Gericht hatte Teile des KSG für verfassungswidrig erklärt, soweit dort Regelungen zur Fortschreibung der Minderungsziele für Zeiträume ab dem Jahr 2031 fehlen. Die Novelle setzt insbesondere neue und jahresscharfe Ziele für die Zeit bis 2030 und danach. Das Ziel der Klimaneutralität wird auf 2045 vorgezogen. Diese Eckpfeiler sind politisch gesetzt und werden auch im parlamentarischen Verfahren wohl nicht mehr geändert. Es wird den Wählern jedoch verschwiegen, was diese enorme Transformation kosten wird. Folgenabschätzungen hinsichtlich ökonomischer und sozialer Auswirkungen der Novelle wurden nicht vorgenommen. Dabei sind die Auswirkungen des neuen KSG erheblich – erheblicher, als der kurze Gesetzestext es suggeriert. Für die Umsetzung ist ein sehr langer Atem erforderlich. Im Sinne einer nachhaltigen und dauerhaften Transformation müssen deshalb Auswirkungen auf jede und jeden Einzelnen sowie Wechselwirkungen mit anderen Politikbereichen gründlich untersucht werden. Die Ergebnisse dieser Untersuchungen müssen ehrlich kommuniziert und allen gesellschaftlichen Sektoren erläutert werden.
Verhaltensänderungen jedes und jeder Einzelnen notwendig
Bislang endet die Kommunikation von Regierungsseite zum neuen KSG bei den Zahlen für die Klimaschutzziele. Die Risiken auf dem Weg zur Erreichung dieser Ziele werden ausgeblendet. Dabei ist nicht auszuschließen, dass die erforderlichen Veränderungen in weniger als zehn Jahren zu Strukturbrüchen führen. Ohne rasche fundamentale Verhaltensänderungen jedes und jeder Einzelnen wird dieser Umbruch nicht gelingen, der alle Lebensbereiche (Wohnen, Mobilität und Ernährung) betrifft. Wie das konkret erreicht werden kann, wird von der Regierung nicht thematisiert. Zunehmende Akzeptanzprobleme scheint sie nicht zu sehen. Stattdessen bemüht sie die weltweit vergleichbaren Ambitionen und globale Kooperation beim Klimaschutz, die sich doch langsam abzeichneten. Dass dem so ist, darf – schon mit einem Blick nur auf die G20 – angezweifelt werden. Allerdings ist auch klar, dass sehr ambitionierte Klimaziele nicht im Alleingang erreicht werden können. Das hat nicht zuletzt die BDI-Studie „Klimapfade für Deutschland“ (2018) sehr deutlich gemacht.
Es verwundert, dass bei der Ausrichtung der Wirtschaft in Richtung Klimaneutralität weiterhin nicht unterschieden wird zwischen linearen Entwicklungen (z. B. Gebäudesanierung) und dynamischen Lernkurven (z. B. PV oder Elektromobilität). Bei der Novelle wurde die Chance vertan, Flexibilisierungsoptionen einzubauen, um auf die in aller Regel nicht-lineare Realität besser reagieren zu können. Der Staat kann – und sollte nicht – alles linear steuern und kleinteilig regulieren. Klimaschutz wird sonst deutlich ineffizienter und teurer. Investitionen brauchen Zeit und bestimmte Voraussetzungen (z. B. Infrastrukturen), damit sie wirken können. Für langlebige Assets ist das Jahr 2050 nur noch einen Investitionszyklus entfernt. Es braucht also rasch widerspruchsfreie Regelungen auf vielen Ebenen, um Lock-in und Stranded Assets zu vermeiden. Zügiges Vorangehen bei der Klimaschutzgesetzgebung ist sinnvoll. Warum die Bundesregierung hingegen überstürzt ein neues Klimaschutzgesetz noch vor der Bundestagswahl, und bevor die EU-Kommission ihren Green-Deal im Juli konkretisiert, ins Gesetzblatt bringen will, ist nicht nachvollziehbar. Je nach den Entwicklungen auf EU-Ebene muss das Gesetz sehr bald wieder angepasst werden – das schafft Verunsicherung.
Klar ist: Unsere Industrien brauchen Energie – versorgungssicher, konkurrenzfähig und erneuerbar. Dazu müssen erneuerbarer Strom und Power-to-X-Angebote auf- und ausgebaut und die dafür notwendigen Infrastrukturen geschaffen werden. Weil wir aus heutiger Sicht diese Angebote auch zukünftig nicht allein in Deutschland oder der EU bereitstellen können, muss die internationale Vernetzung vorangebracht werden (Beispiel H2-Partnerschaften). Die Unternehmen haben sich bereits auf den Weg gemacht. Damit sie wettbewerbsfähig am Ziel ankommen, müssen die nächste Bundesregierung und die EU-Institutionen die Unternehmen dabei unterstützen, innovative „grüne“ Prozesse unter globalen Wettbewerbsbedingungen zu etablieren und zu betreiben. Mit der Transformation der Produktion muss sich auch die Nachfrage anpassen. Heißt: Parallel müssen Märkte für grüne Produkte initiiert werden. Wie all diese Facetten der Transformation in die Tat umgesetzt werden können, damit befasst sich die laufende Studie „Klimapfade 2.0“ des BDI.