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Das neue politische Programm der EU – Was kommt nach dem Green Deal?

Europa hat gewählt und stellt sich für die kommenden Jahre neu auf. Ende des Jahres wird eine neue Kommission ihre Arbeit aufnehmen. Welche Ziele wird sie verfolgen, welche Schwerpunkte wird sie setzen? Und was bedeutet das insbesondere für die Nachhaltigkeits- und Umweltpolitik? Darüber wird in Brüssel derzeit diskutiert. Mit ihren politischen Leitlinien hat die wiedergewählte Kommissionspräsidentin Ursula von der Leyen eine erste Richtung vorgegeben.

In den letzten Jahren musste Europa viele Krisen bewältigen. Die Corona-Pandemie, der Krieg in der Ukraine oder hohe Energiepreise bestimmten die Tagesordnung. Zu Beginn der letzten Legislaturperiode wurde das ehrgeizige europäische Nachhaltigkeitsprogramm des European Green Deal beschlossen und seitdem mit zahllosen Maßnahmen umgesetzt. Seine Auswirkungen beschäftigen die europäische Wirtschaft und Unternehmen grundlegend. Nach den Wahlen zum Europäischen Parlament und der Wiederwahl von Ursula von der Leyen zur Präsidentin der Europäische Kommission werden jetzt die Weichen für die Neuformierung der Kommission und die Ausrichtung der europäischen Politik gestellt. Bereits jetzt zeichnen sich Änderungen ab, die auch die europäische Umweltpolitik betreffen werden.

Die politischen Leitlinien von Ursula von der Leyen – weniger Bürokratie, mehr Wettbewerbsfähigkeit?

Zunächst hatten die EU-Staats- und Regierungschefs im Juni mit einer Strategischen Agenda Kernelemente der künftigen EU-Politik formuliert. Diese hat Ursula von der Leyen mit ihren im Juli vorgestellten politischen Leitlinien konkretisiert. Dabei setzt sie wirtschaftspolitisch einen neuen Ton: Einerseits betont sie, dass sie die in der vergangenen Legislaturperiode gesetzten großen Ziele beibehalten will. Hierbei nennt sie ausdrücklich die Ziele des European Green Deal. Andererseits sieht Frau von der Leyen die Wettbewerbsfähigkeit der europäischen Wirtschaft durch zu viele „strukturelle Faktoren“ gefährdet. Dementsprechend rückt sie einen „nachhaltigen Wohlstand“ und eine „nachhaltige Wettbewerbsfähigkeit“ in den Mittelpunkt ihrer politischen Leitlinien und möchte unternehmerische Initiative erleichtern sowie den europäischen Binnenmarkt weiter vertiefen.  Dies soll in allen Bereichen durch Bürokratieabbau und einfachere Umsetzung erreicht werden. Weniger Verwaltungsaufwand und Berichterstattung, mehr Vertrauen, bessere Durchsetzung sowie schnellere Genehmigungen sind die Stichworte.

Das Programm: Clean Industrial Deal, Circular Economy Act, REACH, Wasserstrategie

Um die durch den Green Deal festgelegten Klimaziele zu erreichen, soll ein neuer „Clean Industrial Deal“ die Umsetzung der Klimagesetze gewährleisten, „möglichst einfach, fair und kosteneffizient“. Die Industrie soll in die Lage versetzt werden, die Klimaziele zu erreichen und gleichzeitig wettbewerbsfähig zu bleiben. Außerdem kündigt Frau von der Leyen einen neuen „Circular Economy Act“ an, der die bisherigen Maßnahmen in diesem Bereich ergänzt, indem er die Marktnachfrage nach Sekundärrohstoffen und einen Binnenmarkt für Abfälle schafft. Auch im Bereich der chemischen Industrie werden Initiativen angekündigt, zum einen die immer wieder verschobene Revision der REACH-Verordnung, zum anderen eine „Klarheit“ in Bezug auf PFAS-Chemikalien. Auch die bereits in der letzten Legislaturperiode angekündigte Strategie für die Resilienz der Wasserversorgung soll kommen.

Die Ziele sind richtig: bessere Wettbewerbsfähigkeit durch weniger Bürokratie und Regeln

Die Ziele der Leitlinien von Ursula von der Leyen, insbesondere die Stärkung der Wettbewerbsfähigkeit der europäischen Wirtschaft und ihrer Unternehmen, sind sehr zu begrüßen. Nicht zuletzt überbordende Regeln und Anforderungen behindern europäische Unternehmen im globalen Wettbewerb. Europa muss sich deshalb darauf konzentrieren, bestehende Gesetze besser umzusetzen, anstatt das Regelwerk immer weiter auszubauen. Das bedeutet auch, neue Gesetzesinitiativen auf das absolut notwendige Minimum zu beschränken. Politische Ziele, insbesondere die des Green Deal, müssen außerdem effektiver aufeinander abgestimmt sein, damit sie erreicht werden können. Das ist in der vergangenen Legislaturperiode nicht immer gelungen. Im Bereich der Umweltpolitik sind die Industrieemissionsrichtlinie und die Luftqualitätsrichtlinie hierfür negative Beispiele. Deren Revision wird zu deutlich mehr Bürokratie für Unternehmen führen, mit immer umfangreicheren und langwierigeren Genehmigungsverfahren für die Umstellung von Industrieanlagen. Damit wird das rechtzeitige Erreichen der Klimaziele und die Transformation insgesamt gefährdet.

Schnelle und effektive Planungs- und Genehmigungsverfahren: EU-Recht modernisieren

Europa kann und muss einen Beitrag dazu leisten, damit Planungs- und Genehmigungsverfahren schneller und effektiver durchgeführt werden und dadurch die Wettbewerbsfähigkeit der Unternehmen verbessert wird. Denn Grundlage dieser Verfahren ist das zunehmend komplexe, unübersichtliche und teilweise veraltete europäische Recht, gerade im Bereich der Umweltpolitik. Dieses muss dringend modernisiert werden. Notwendig ist eine umfassende kritische Überprüfung der einzelnen Regelungen mit einem Plan für eine deutliche Vereinfachung.

Ob es hierfür in den kommenden Jahren einen politischen Willen gibt, wird sich in den kommenden Wochen und Monaten zeigen. Denn nach der Wiederwahl von Ursula von der Leyen zur Präsidentin der Kommission, müssen sich nun die Kandidaten der neuen Kommission mit den in den politischen Leitlinien formulierten Zielen dem Europäischen Parlament in einer Serie von Anhörungen stellen. Hier wird sich zeigen, ob auch die Europaabgeordneten einen Paradigmenwechsel zu mehr Wettbewerbsfähigkeit unterstützen werden.