BDI Jahresauftakt-Pressekonferenz 2025 mit Tanja Gönner, Peter Leibinger und Guido Warlimont

Den Weg aus der Krise finden

In der Jahresauftakt-Pressekonferenz des BDI geht Präsident Peter Leibinger auf die Forderungen der Industrie für die nächste Bundesregierung ein. Um die Wettbewerbsfähigkeit Deutschlands zu sichern, benötigt es eine klare Agenda für mehr Wachstum. Wohin muss die Reise für die deutsche Wirtschaft gehen, um aus der Rezession zu kommen?

Deutschland befindet sich in einer tiefen wirtschaftlichen Krise. Die Wirtschaftsleistung wird dieses Jahr voraussichtlich leicht schrumpfen. Diese Zahlen verdeutlichen den Ernst der Lage: Vor allem das Wachstum der Industrie hat einen strukturellen Bruch erlitten, Auftragsbücher bleiben leer, Maschinen stehen still, Firmen investieren nicht mehr – oder zumindest nicht in Deutschland.  Ich kann mich an eine derart schlechte Stimmung in Industrieunternehmen nicht erinnern.  

Die Lage: Deutschland droht die längste Rezession der Nachkriegszeit   

Wir stecken in einer tiefen wirtschaftlichen Krise. Sie ist mehr als die Konsequenz der doppelten Schockwirkung aus Pandemie und den wirtschaftlichen Folgen des Angriffskrieges auf die Ukraine. Die wachsenden Probleme, mit denen unsere Industrie zu kämpfen hat, sind Ergebnis einer strukturellen Schwäche des Standorts Deutschland. Deren Folgen spüren wir schon seit über sechs Jahren, seit Sommer 2018. Seitdem fällt unsere Industrie zurück. Nicht nur im weltweiten Vergleich mit unseren stärker werdenden Wettbewerbern in den USA, China und anderen sich entwickelnden Schwellenländern. Sondern auch im EU-Vergleich.   

Und mir ist wichtig, es geht nicht nur um die Wirtschaft, die Unternehmen: Ohne eine starke Wirtschaft sind wir auch kein starkes Land. Wenn wir unseren Lebensstandard halten wollen, die Ausbildung unserer Kinder gut, die Renten auskömmlich, das Land sicher und widerstandsfähig gegen Krisen sein sollen, brauchen wir eine wachsende Wirtschaft.    

Schon unsere alternde Gesellschaft und geopolitische Spannungen machen den Weg zu mehr Wachstum steinig. Zusätzlich bekommen die Unternehmen dann noch eine überbordende Bürokratie und andere Lasten in den Rucksack.    

Die Forderungen an die Politik: Eine Agenda für Wachstum  

Wir brauchen jetzt ein entschlossenes Programm für die Wiederbelebung unseres Standorts. Es ist ein wichtiges Signal, dass die Stärkung der Wirtschaft im Wahlkampf in den Fokus gerückt ist und Parteien Programme für mehr Wachstum vorlegen. Das muss der Fokus der künftigen Regierung sein. Ohne eine starke Wirtschaft, bleiben auch andere politische Aufgaben unlösbar.  

Wahlversprechen sind das eine. Entscheidend ist, dass die künftige Bundesregierung auch entschlossen handelt. Der BDI fordert von der zukünftigen Bundesregierung zeitnah Entlastungssignale und eine entschlossene Agenda für Wachstum und die Stärkung der Wettbewerbsfähigkeit. Die Zukunft unseres Industriestandorts steht auf dem Spiel.  

Um Deutschland wieder in die Spur zu bekommen, muss die Regierung endlich groß angelegte strukturelle Reformen und Investitionen angehen. Wir müssen unseren Staat modernisieren und Deutschland als international starken Partner aufstellen.   

Finanzielle Spielräume sind begrenzt, deshalb müssen im Haushalt klare Prioritäten gesetzt werden. Was Wachstum stärkt, muss Priorität bekommen. Öffentliche Investitionen in eine moderne Infrastruktur, in Transformation und die Widerstandskraft unserer Volkswirtschaft sind dringend erforderlich.  

Der BDI hat bereits fundierte, konkrete Vorschläge vorgelegt, wie Deutschland aus der Krise kommen kann. Diese Strategien basieren auf klaren Prioritäten:  

  1. Steuerreform und Entlastung: Unternehmen brauchen Spielraum für Investitionen. Eine Senkung der Unternehmenssteuern auf 25 Prozent, die Abschaffung des Solidaritätszuschlags und bessere Abschreibungsbedingungen sind notwendige Schritte, um Wachstum zu entfesseln.  
  2. Energiepreise und Versorgungssicherheit: Wir brauchen einen klaren Fahrplan für unsere künftige Energieversorgung. Hohe Energiekosten sind eine der größten Belastungen für die Industrie. Wir brauchen Schritte zur Senkung der Strompreise und müssen verstärkt kostengünstige Erzeugungsstandorte in Europa nutzen.  
  3. Innovation und Forschung: Deutschlands Innovationskraft muss gestärkt werden. Dazu gehört die bessere Verknüpfung von Forschung und Wirtschaft, insbesondere im Bereich Zukunftstechnologien. Start-ups und Mittelstand brauchen besseren Zugang zu Kapital und eine klare Innovationsstrategie. Wir verfügen unverändert über eines der besten Innovationssysteme der Welt. Uns fehlt es aber an Priorisierung, Koordination und Umsetzungsgeschwindigkeit. Diese Probleme sind aber lösbar!  
  4. Bürokratierückbau: Wir müssen die Fesseln lösen, die Unternehmen durch ausufernde Berichtspflichten und Genehmigungsverfahren behindern. Dabei geht es nicht nur um Effizienz, sondern auch darum, den Unternehmerinnen und Unternehmern wieder mehr Vertrauen entgegenzubringen. Momentan herrscht zu viel Misstrauen, das in einem Regulierungswust endet und Innovation sowie Wachstum hemmt. Die Digitalisierung der Verwaltung muss endlich Fahrt aufnehmen, damit Prozesse schlanker und einfacher werden. Hier kann sich die Politik auch ein Beispiel an den Unternehmen nehmen, die diesen Weg längst eingeschlagen haben.  
  5. Europa stärken: Unsere Zukunft liegt in einer engeren Zusammenarbeit auf europäischer Ebene. Wir brauchen einen tieferen Binnenmarkt und entschlossene Investitionen in strategische Zukunftsbereiche wie Digitalisierung, Energieunabhängigkeit und Forschung, um die Wettbewerbsfähigkeit der EU zu stärken.  

Ein Blick auf die Unternehmerseite: Chancen und Verantwortung  

Die Wirtschaft fordert keine Geschenke der Politik. Was wir brauchen, sind verlässliche Rahmenbedingungen und Freiräume, die es Unternehmen ermöglichen, ihre Innovationskraft und ihre Marktchancen voll auszuspielen.   

Meine Damen und Herren, die Industrie ist mehr als ein wirtschaftlicher Treiber – ihr Erfolg stärkt auch den sozialen Zusammenhalt. Doch dieser Erfolg bröckelt. Jahrelang haben Regierungen wichtige Reformen hinausgeschoben, Investitionen zurückgehalten und sich mit dem Status Quo begnügt. Jetzt sind wir nicht zukunftssicher aufgestellt und auf Krisen vorbereitet.   

Der Blick nach Brüssel: Europäische Perspektiven  

Der Draghi-Bericht für die Europäische Kommission kommt zu ähnlichen Schlussfolgerungen wie unsere Transformationspfade-Studie. Auch auf europäischer Ebene besteht ein erheblicher Investitionsbedarf, um die Wettbewerbsfähigkeit zu sichern und die Klimaziele zu erreichen. Deutschland muss in Brüssel eine selbstbewusstere Führungsrolle einnehmen. Es gilt, unsere Verhandlungsmacht zu nutzen, um wirtschaftliche Interessen effektiv zu vertreten und Allianzen für eine stärkere europäische Integration und Wettbewerbsfähigkeit zu schmieden. Die EU muss wissen, wohin sie gehen will, und dazu gehört, dass Deutschland mit einer ambitionierten wirtschaftspolitischen Agenda vorangeht.  

Die Erkenntnis, dass Klimapolitik und industrielle Wettbewerbsfähigkeit Hand in Hand gehen müssen, muss in pragmatische europäische Richtlinien münden. Der Green Industrial Deal muss insbesondere sicherstellen, dass Draghis Empfehlungen konsequent umgesetzt werden, um Schlüsseltechnologien zu fördern und Europa strategisch unabhängiger zu machen.  

Die transatlantischen Beziehungen: Herausforderungen und Chancen  

Die Rückkehr von Donald Trump ins Weiße Haus ist ein Signal an Deutschland und Europa, die eigene Position zu stärken und strategisch auszurichten. Die transatlantischen Beziehungen stehen vor einem Umbruch. Der Ton wird rauer, und neue Zölle könnten die Wirtschaft in Deutschland und Europa empfindlich treffen. In einer Welt zunehmender Unordnung ist Besonnenheit gefragt: Statt vorschneller Gegeneskalation muss Brüssel die Türen offenhalten und neue Kanäle des Dialogs öffnen. Statt hektischer Gegenreaktionen sind Verhandlungen gefragt, um konstruktive Lösungen zu suchen. Gerade in dieser Phase gilt es, eine kluge Balance zwischen Entschlossenheit und Flexibilität zu finden, um die wirtschaftliche Zusammenarbeit zu stabilisieren und neue Wege zu erschließen. Wir sollten unsere Werkzeuge kennen, die wir einer aggressiven Politik entgegensetzen können, aber wir sollten sie möglichst nicht einsetzen. Das Wichtigste wird sein, in eine transaktionale Beziehung zu treten und über strategisch wichtige Kompetenzen zu verfügen, die unser Partner nur bei uns finden kann. Auch dies muss in den Fokus unserer Überlegungen rücken.  

Unsere Stärken: Innovation und Unternehmertum  

Was hilft uns in dieser kritischen Phase? Deutschlands Industrie steht für eine unvergleichliche Kombination aus hochqualifizierten Fachkräften, innovativen Technologien und einem weltweit geschätzten Mittelstand. Diese Stärken müssen wir stärken.  

Innovation entsteht nicht im luftleeren Raum. Sie braucht Mut, Risikobereitschaft und ein Umfeld, das Kreativität zulässt und unternehmerisches Handeln belohnt. Ohne eine klare politische Agenda riskieren wir, dass unser Innovationspotenzial weiter schmilzt und wir im internationalen Wettbewerb entscheidend ins Hintertreffen geraten. Ohne Technologieoffenheit ebenfalls.  

Der Weg nach vorne: Gemeinsam handeln  

Als Präsident des BDI, der gemeinsamen Stimme der deutschen Industrie, möchte ich wirksame Impulse setzen. Ich möchte mit Verantwortlichen in der Politik nicht nur Symptome analysieren und kurzfristig behandeln, sondern gemeinsam nachhaltig wirksame Lösungen entwickeln und konsequent umsetzen, um Deutschlands Wirtschaft langfristig und über die Legislaturperiode hinaus wieder zum Wachsen zu bringen. Deutschland steht an einem Scheideweg – jetzt haben wir es noch in der Hand, können die richtige Richtung einschlagen und Wachstum wählen. Die Probleme sind groß, aber nicht unlösbar. Wir haben eine starke Basis, auf der wir aufbauen können. Unsere Unternehmen brauchen eine Bundesregierung, die mit Entschlossenheit, Stärke und Zutrauen die Entscheidungen trifft, die Deutschland als Industriestandort wieder auf Erfolg ausrichten.