Die Mindeststeuer unter Druck: Für eine wettbewerbsfähige und pragmatische europäische Steuerpolitik

Gegenmaßnahmen gegen in den USA tätige Unternehmen aus Ländern, die Teile des globalen Mindeststeuerabkommens umsetzen, werden immer wahrscheinlicher. Es drohen massive Wettbewerbsnachteile für global erfolgreiche deutsche Unternehmen. Es ist höchste Zeit, die Interessen der deutschen und europäischen Wirtschaft zu wahren und im Sinne der Wettbewerbsfähigkeit zu handeln.

Der faktische Rückzug der USA aus dem globalen Steuerkompromiss der OECD/G20 (Inclusive Framework) verändert die Rahmenbedingungen für die internationale Unternehmensbesteuerung grundlegend. Die Gesetzgebung, mit deren Prüfung der Ways and Means-Ausschuss des Repräsentantenhauses am 13. Mai begonnen hat, beinhaltet explizit Vergeltungsmaßnahmen gegen die von den Republikanern als diskriminierend bezeichneten extraterritorialen Steuern. Die EU steht vor der dringenden Aufgabe, auf diese neue Realität zu reagieren, um die Wettbewerbsfähigkeit europäischer Unternehmen zu sichern.

Neue Reformdiskussionen in der EU

Im Rahmen der Diskussion um mögliche Anpassungen der EU-Umsetzung der OECD-Mindestbesteuerung (Pillar 2) wurden mehrere Reformoptionen diskutiert, um auf die angekündigten Vergeltungsmaßnahmen der USA zu reagieren. Diese Optionen schließen einander nicht aus, sondern könnten auch kombiniert werden.

Eine Option sieht eine Überarbeitung der sogenannten Mindeststeuer-Regeln (Global Anti-Base Erosion Rules) zur Behandlung von Steuervergünstigungen, insbesondere Steuergutschriften (Tax Credits), vor. Allgemein ist ein pragmatischer Ansatz bei der Behandlung von Steuergutschriften sinnvoll, der eine faire Behandlung europäischer und US-amerikanischer Unternehmen sicherstellt. Dies kann allerdings nur ein Teil einer ganzheitlichen Lösung sein. Die derzeitigen Regelungen bergen die Gefahr von Wettbewerbsverzerrungen durch die Benachteiligung US-amerikanischer Steuervergünstigungen, die zu Mehrbelastungen international tätiger europäischer Konzerne führen können.

Diskutiert wurde auch die Begrenzung der Regeln zur Erhebung der Mindeststeuer bei Tochtergesellschaften (Undertaxed Profits Rule UTPR), einem zentralen Element der EU-Umsetzung von Pillar 2, das ohnehin sehr komplex und mit rechtlichen Unsicherheiten behaftet ist. Eine Begrenzung oder Abschaffung der UTPR könnte die diplomatische Zusammenarbeit zwischen der EU und den USA fördern und damit einen Schwerpunkt der US-Kritik adressieren. Dies würde die Wahrscheinlichkeit von Gegenmaßnahmen verringern. Gleichzeitig führt diese Ausnahme jedoch zu Wettbewerbsverzerrungen für EU-Unternehmen, die ausgeglichen werden müssen.

Überdies soll diskutiert worden sein, die GILTI-Regelung (Global Intangible Low-Taxed Income) der USA als funktional äquivalent zur europäischen Income Inclusion Rule (IIR) anzuerkennen, entweder durch eine Flexibilisierung der europäischen IIR-Kriterien (Zulassung eines Global Blending, wie es in den USA im Rahmen der GILTI-Regelung praktiziert wird) oder dadurch, dass die USA ihre GILTI-Regelung so anpassen, dass sie den Anforderungen der GlobE-Regelung entspricht (jurisdictional blending). Letzteres dürfte kaum in der Hand der EU liegen: Diese Variante würde Gesetzesänderungen in den USA voraussetzen, die politisch kaum durchsetzbar erscheinen.

Möglich wäre auch die unveränderte Anwendung der UTPR. Dabei würde in Kauf genommen, dass die USA Gegenmaßnahmen einführen. Die Auswirkungen dieser möglichen Zusatzsteuern von US-Einkünften deutscher Unternehmen wären jedoch fatal: Steuermehrbelastungen in den USA in Milliardenhöhe, daraus resultierende Steuermindereinnahmen in Europa und massive Wettbewerbsnachteile. Eine derartige belastende Entwicklung, die allein auf Gegenmaßnahmen der USA zur Einhaltung einer OECD-Vereinbarung zurückzuführen wäre, muss dringend verhindert werden.

BDI-Vorschlag zur Aussetzung der Mindeststeuer

Die diskutierten Optionen spiegeln wichtige Bedenken wider. Gelöst wurde die zugegebenermaßen komplizierte Thematik nicht, sie wird nunmehr auf OECD-Ebene weiter diskutiert. Insbesondere gilt es, europäische Unternehmen keinen Vergeltungsmaßnahmen auszusetzen und keine strukturellen Nachteile auf den Weltmärkten zu schaffen. Die aktuelle Diskussion zeigt, dass steuerliche Regelungen zunehmend geopolitischen Charakter haben. Umso wichtiger sind Lösungen, die sich nicht in technischen Details verlieren, sondern auch Signalwirkung haben. Wirksamer als die vorgeschlagenen Maßnahmen wäre eine befristete Aussetzung der Mindeststeuer, bis eine echte globale Lösung gefunden ist, die die EU-Unternehmen nicht benachteiligt. Diese Maßnahme wäre nicht als Abkehr vom Prinzip der internationalen Steuerkooperation zu verstehen, sondern als notwendige Reaktion auf eine veränderte geopolitische Lage und gravierende Umsetzungshindernisse.