EU-Lieferkettenrichtlinie – Start des Trilogs
Die Europäische Union will nachhaltiges und verantwortungsbewusstes unternehmerisches Handeln fördern. Grundlage ist der im Februar 2022 veröffentlichte Entwurf der EU-Kommission (KOM) für eine „Richtlinie des Europäischen Parlaments und des Rates über die Sorgfaltspflichten von Unternehmen im Hinblick auf Nachhaltigkeit und Änderungen der Richtlinie (U) 2019/1937“ vorgelegt, kurz CSDDD (Corporate Sustainability Due Diligence Directive). Mit der Neuerung sollen die Menschenrechte und die Umwelt in allen Wertschöpfungsketten stärker Berücksichtigung finden – sowohl innerhalb als auch außerhalb der EU.
Die beiden Co-EU-Gesetzgeber Rat und Europäisches Parlament (EP) beraten seitdem intensiv und unter starkem politischem Druck über ihre Position zu Kommissionstext. Erklärtes Ziel ist es, das Legislativverfahren möglichst bis zum Jahresende 2023 und damit vor den EP-Wahlen 2024 zum Abschluss zu bringen.
Die Position des Rates
Im Dezember 2022 hat der Rat der Europäischen Union im Eiltempo eine sogenannte Allgemeine Ausrichtung angenommen, eine politische Einigung zu wesentlichen Eckpunkten des Vorschlags. Die Wirtschaft hatte zuvor mehrfach ihre deutliche Kritik am Vorschlag der EU-Kommission kommuniziert. Da viele Mitgliedsstaaten noch keine abschließende Position zu allen Punkten hatten, gab es auch im Rat bis zuletzt zu vielen Punkten keine Übereinstimmung. Auch die deutsche Bundesregierung hat der Allgemeinen Ausrichtung schlussendlich nur unter Vorbehalt zugestimmt, da der politische Druck zur Abstimmung auf EU-Ebene sehr hoch war.
Die Eckpunkte der Allgemeinen Ausrichtung im Überblick:
- Anwendungsbereich: Einführung des Begriffs der sogenannten Aktivitätskette als Kompromiss zur Frage, ob der Anwendungsbereich die Wertschöpfungs- oder Lieferkette umfassen soll.
- Schwellenwerte wie im KOM-Vorschlag: Die Richtlinie soll für Unternehmen mit mehr als 500 Beschäftigten und mindestens 150 Millionen Euro Jahresumsatz gelten; in sogenannten Risikosektoren für Unternehmen mit mehr als 250 Beschäftigten und mindestens 40 Millionen Euro Jahresumsatz.
- Gesellschaftsrecht: Im Gegensatz zum KOM-Vorschlag werden die Vorschriften über Sorgfaltspflichten der Mitglieder der Unternehmensleitung und deren Kontrolle (Artikel 25 und 26) gestrichen, ebenso die Bestimmungen über die Vergütung der Unternehmensleitung bezüglich der Eindämmung des Klimawandels (Artikel 15 Absatz 3).
- Zivilrechtliche Haftung: Der Pflichtenverstoß muss vorsätzlich oder fahrlässig gewesen sein und die betroffene Norm muss auf den Schutz von natürlichen oder juristischen Personen abzielen. Ein Unternehmen kann nicht haftbar gemacht werden, wenn ein Geschäftspartner in seiner Aktivitätskette den Schaden verursacht hat. Überkompensierung (insbesondere Strafschadenersatz und Mehrfachentschädigung) ist ausgeschlossen. Eine strengere nationale oder europäische anderweitige Haftung bleibt möglich.
Die Position des Europäischen Parlaments
Das Plenum des EP hat im Juni 2023 über die EU-Lieferkettenrichtlinie abgestimmt und damit seine Position für die anstehenden interinstitutionellen Verhandlungen festgelegt. 366 Abgeordnete stimmten für die Richtlinie, 225 Abgeordnete dagegen und 38 Abgeordnete enthielten sich. Bereits im April 2023 hatte der federführende Rechtsausschuss (JURI) des EP über seinen Bericht abgestimmt und alle enthaltenen Änderungsanträge angenommen.
Die Eckpunkte der EP-Position im Überblick:
- Insgesamt: Verschärfungdes Kommissionstextes
- Erweiterter Anwendungsbereich: Tätigkeiten in der gesamten Wertschöpfungskette, die negative Auswirkungen auf Menschenrechte oder Umwelt haben, die sie verursacht haben, zu denen sie beigetragen haben oder mit denen sie in direktem Zusammenhang stehen; weite Definition der Wertschöpfungskette in Artikel 3g im Vergleich zu KOM und Rat
- Reduzierte Schwellenwerte: Sämtliche Unternehmen mit mehr als 250 Beschäftigten (statt 500 im KOM-Vorschlag) und einem Umsatz von 40 Millionen Euro (statt 150 Millionen Euro im KOM-Vorschlag); keine speziellen Vorschriften für Risikosektoren.
- Gesellschaftsrecht, wie im KOM-Vorschlag: Sorgfaltspflichten der Mitglieder der Unternehmensleitung, die kurz-, mittel- und langfristigen Folgen ihrer Entscheidungen für Nachhaltigkeitsaspekte zu berücksichtigen, nebst Haftung für Verstöße gegen diese Pflichten (Artikel 25).
- Neu: Artikel 3a führt eine Binnenmarktklausel ein, die die Mitgliedstaaten zur Koordinierung bei der Umsetzung der Richtlinie verpflichtet; außerdem soll sechs Jahre nach Inkrafttreten der Richtlinie geprüft werden, ob die Richtlinie in eine Verordnung umgewandelt wird
- Artikel 15 Absatz 1 und 2: Ausdehnung der Klimaschutzziele (1,5-Grad-Klimaziel, Klimaneutralitätsziel 2050, Klimaziele 2030); Einführung eines sogenannten Übergangsplans (transition plan) eines Unternehmens zur Einhaltung der Klimaschutzziele mit detaillierten und umfangreichen Anforderungen an dessen Inhalte
- Artikel 15 Absatz 3 verschärft die Verantwortung der Unternehmensleitung für die Einhaltung der Klimaschutzziele; Verpflichtung von Unternehmen mit mehr als 1.000 Beschäftigten einen Teil der variablen Vergütung der Unternehmensleitung an den Übergangsplan zu binden
- Verschärfung der zivilrechtlichen Haftung, Artikel 22: Einbeziehung der Haftung eines Unternehmens für die von einem Tochterunternehmen verursachten Schäden; Einführung einer Verjährungsfrist von mindestens zehn Jahren für Schadensersatzklagen; Verpflichtung, Verfahrenskosten gering zu halten, damit Klagende zu ihrem Recht kommen können; Einführung des Rechts von NGOs vor Gericht Klage für Opfer zu erheben.
- Einführung eines risikobasierten Ansatzes, Artikel 3 Absatz 1q
Die BDI-Einschätzung
Den beteiligten EU-Institutionen scheint bei der CSDDD das Augenmaß für die Wettbewerbsfähigkeit europäischer Unternehmen in der Krise und die strategisch notwendige Diversifizierung der Lieferketten zu fehlen. Mit dieser Richtlinie riskiert die EU eine massive Beeinträchtigung der notwendigen Transformation ihrer Industrien. Sie gefährdet den Aufbau alternativer und resilienter Wertschöpfungsketten und damit die Versorgungssicherheit von Wirtschaft und Gesellschaft. Statt den Zugang zu neuen Bezugsquellen zu erleichtern und in der Anzahl auszubauen, erschwert die Richtlinie die wichtige Diversifizierung der Lieferketten auch in risikoreiche Länder deutlich. Sie verfehlt das gemeinsame Ziel von Politik und Unternehmen, existierende Abhängigkeiten zu reduzieren. So wird Europa im geopolitischen Wettbewerb nicht mithalten.
Die Achtung der Menschenrechte und der Schutz unserer Umwelt sind Anliegen, die Politik und Wirtschaft einen. Angesichts der Größe der Herausforderung ist es falsch, die Verantwortung für den Schutzes von Menschenrechten und Umwelt in dieser Form allein auf die Unternehmen abzuwälzen. Diese wollen Nachhaltigkeit in ihren Lieferketten und tun schon heute das ihnen Mögliche, um ihrer Verantwortung gerecht zu werden. Hinzu kommt, dass Partnerländer Deutschlands die Regelungen als protektionistisch empfinden. Sinnvoller ist es, Lieferanten aus Partnerländern über entwicklungspolitische Maßnahmen zu befähigen.
Keine der bisher abgestimmten Positionen erfüllt die Erwartungen der Wirtschaft. Im Vergleich mit den Positionen von Kommission und EP stellt die Position des Rates in Form der Allgemeinen Ausrichtung in Verbindung mit der deutschen Protokollerklärung die für Unternehmen praktikabelste Lösung dar. Ob sie während der Trilog-Verhandlungen Bestand haben oder geändert werden wird, ist aktuell fraglich.
Ausblick
Die Trilog-Verhandlungen haben im Juni 2023 unter schwedischer Ratspräsidentschaft begonnen und werden ab Juli 2023 unter spanischer Ratspräsidentschaft fortgeführt. Bis spätestens zum Jahresende 2023 wollen die drei EU-Institutionen den endgültigen Text vereinbaren.