Europa in der Weltwirtschaft
Die Außenhandelsquote – das Verhältnis von Waren- und Dienstleistungshandel zum Bruttoinlandsprodukt (BIP) – unterstreicht die Bedeutung des Handels für die EU. Die Exportquote der 27 EU-Mitgliedstaaten – das Verhältnis von Exporten von Waren und Dienstleistungen zum BIP – lag 2019 bei 49,2 Prozent (EU-28: 46,5 Prozent). Doch auch Einfuhren sind wichtig für die EU-27: Die Importquote – das Verhältnis von Importen zum BIP – betrug 2019 45,3 Prozent (EU-28: 43,4 Prozent). Die Ausfuhren der EU sichern 36 Millionen Arbeitsplätze in Europa. Diese Zahl ist seit dem Jahr 2000 um zwei Drittel gestiegen.
Obwohl der Anteil der EU-Bevölkerung an der Weltbevölkerung bei nur knapp sieben Prozent liegt, betrug der Anteil der Gesamtausfuhren (Waren) der EU-28 2019 an den weltweiten Exporten 15,8 Prozent (inklusive Intra-EU Handel). Die Gesamteinfuhren (Waren) der EU-28 betrugen 2019 15,4 Prozent der weltweiten Importe (einschließlich Intra-EU Handel).
Investoren aus der Europäischen Union stellen 37,1 Prozent der weltweiten Bestände an Direktinvestitionen (FDI, 2018, UNCTAD). Damit ist die EU die weltweit größte Quelle für grenzüberschreitende Investitionen. Außerdem ist die EU mit einem Anteil von 31,2 Prozent der Direktinvestitionsbestände auch das wichtigste Ziel für international tätige Investoren. Internationale Investitionen sind ein wichtiger Treiber für Wirtschaftswachstum und Arbeitsplätze. Von den ausländischen Direktinvestitionen, die von Anlegern aus Drittländern gehalten werden (2017: 6,3 Bil. Euro), hängen direkt 36 Millionen Arbeitsplätze in der EU ab.
Als Friedensprojekt leistet die Europäische Union seit ihrer Gründung einen unverzichtbaren Beitrag für Stabilität und Sicherheit in Europa und seiner Nachbarschaft sowie für deren wirtschaftliche Entwicklung.
Große Herausforderungen im Welthandel
Die EU steht vor großen Herausforderungen – zu Hause wie auch in der Weltwirtschaft. Im Juni 2016 stimmte bei einer Volksbefragung im Vereinigten Königreich eine knappe Mehrheit der Wählerinnen und Wähler für einen Austritt aus der Europäischen Union. Im Januar 2020 trat das Vereinigte Königreich (VK) nach 47 Jahren EU-Mitgliedschaft aus der EU aus. Die Wahrung der europäischen Einheit, die Kohärenz des Binnenmarktkonzepts und die Schadensbegrenzung für Bürger und Unternehmen sind nur drei Aspekte, welche die EU meistern muss.
Die COVID-19 Epidemie hat Bürgerinnen und Bürger, Gesellschaften und Volkswirtschaften aller Mitgliedstaaten in eine schwere Krise gestürzt. Die Krise wirkt sich massiv auf den Handel und das Wirtschaftswachstum aus. Zu den Produktionsausfällen, die durch Erkrankungen von Mitarbeitern und ein Herunterfahren der Produktion durch Maßnahmen zum Infektionsschutz bedingt sind, kommen nationale Exportrestriktionen. Just-In-Time-Produktion ist in der derzeitigen Lage unmöglich geworden. Anders als in der letzten Finanz- und Wirtschaftskrise ist nicht mit einer schnellen Erholung des Handels zu rechnen.
Das Rückgrat des Welthandelssystem hat in den letzten 25 Jahren die Welthandelsorganisation mit ihren gemeinsam beschlossenen Handelsregeln, Liberalisierungsvereinbarungen sowie Transparenz- und Streitschlichtungsmechanismen gebildet. Von den offenen Grenzen und den verlässlichen Rahmenbedingungen haben Deutschland und Europa erheblich profitiert. Leider sind sich die Mitglieder der WTO derzeit nicht über die künftige Rolle der Organisation einig, wodurch die Handlungsfähigkeit der Institution behindert wird und bereits ein Anstieg von Protektionismus und Unsicherheit auf den Weltmärkten zu beobachten ist.
Auch ausländische Direktinvestitionen treffen immer mehr Barrieren. Der jüngste Bericht der UNCTAD über die internationale Investitionspolitik zeigt für den Zeitraum November 2018 bis Februar 2019, dass 34 Prozent der weltweiten investitionspolitischen Maßnahmen Investitionen einschränken. Dies ist der höchste Stand seit 2003. Auch die EU und zahlreiche ihrer Mitglieder – darunter auch Deutschland – haben ihre Prüfsysteme für ausländische Investitionen (Investment Screening) verschärft.
Alte und neue Partnerschaften
Hinzu kommt, dass die Wirtschaftsbeziehungen mit wichtigen Partnern wie den USA und China deutlich konfliktreicher geworden sind. Die USA sind der größte und wichtigste Handelspartner der Europäischen Union schon seit Anfang der europäischen Handelsdatenerhebung im Jahr 1988. Es ist und bleibt im Interesse der Europäischen Union eine gemeinsame Wertegemeinschaft und die guten Wirtschaftsbeziehungen mit den USA zu pflegen. Während der Trump-Administration haben sich jedoch die handelspolitischen Spannungen in mehreren Bereichen verschärft. Die Zölle auf Stahl und Aluminium, die Zollandrohungen auf europäische KFZ und deren Teile, der Airbus-Boeing-Streit um Subventionen sowie die neuen US-Untersuchungen zur Sicherheitsgefährdung durch Importe von Elektrobauteilen und mobile Kräne aus der EU erhöhen die handelspolitischen Spannungen in einem historisch ungewöhnlichen Maß.
China ist nach den USA der wichtigste Handelspartner der EU. Die systemischen Unterschiede zwischen der offenen Marktwirtschaft der EU und Chinas staatlich gelenkter Hybridwirtschaft belasten die Wirtschaftsbeziehungen zur Volksrepublik in den letzten Jahren jedoch zunehmend. China ist mittlerweile wirtschaftlich und technologisch zu einem globalen Schwergewicht aufgestiegen. Die immer noch bestehenden Marktzugangsasymmetrien im Handel und bei Investitionen sind deshalb für die EU nicht mehr tragbar. Chinesische Waren und Unternehmen genießen schon seit dem WTO-Beitritt im Jahr 2001 weitgehend freien Zugang zum EU-Binnenmarkt, während europäische Unternehmen in China auch heute noch diskriminiert werden. Außerdem machen sich Marktverzerrungen durch chinesische Subventionen und Staatsunternehmen zunehmend auch auf dem europäischen Binnenmarkt bemerkbar.
Afrika ist die am schnellsten wachsende Weltregion. Viele afrikanische Länder sind vielversprechende Wirtschaftspartner und dynamische Zukunftsmärkte für die deutsche und europäische Industrie. Im Vergleich zu anderen Weltregionen investieren die deutschen Unternehmen in Afrika deutlich weniger. Für mehr Investitionen ist eine Verbesserung der wirtschaftlichen Rahmenbedingungen vor Ort unabkömmlich. Dazu zählen Rechtssicherheit, gute Regierungsführung, Korruptionsbekämpfung, eine verlässliche Infrastruktur und gut ausgebildete Fach- und Führungskräfte sowie regionale Wirtschaftsintegration.
Gestaltungsfähigkeit stärken
Um Werte, Standards und Interessen international effektiv durchsetzen zu können und sich als eigenständiger Machtfaktor in der Welt zu behaupten, muss die EU nach außen einheitlich, konsistent und überzeugend auftreten. Die EU muss gezielt Partner mit gemeinsamen Interessen suchen und mit ihnen zusammen die Rahmenbedingungen für den Welthandel gestalten.
Eine starke gemeinsame EU-Außen-, Sicherheits- und Verteidigungspolitik, eingebettet in das transatlantische Bündnis, unterstützt die internationale Gestaltungsfähigkeit der EU. Die Mitgliedstaaten sollten dazu bei Planung, Forschung, Entwicklung und Beschaffung technologischer Fähigkeiten und Strukturen enger kooperieren. Die Kommission kann hierfür die nötigen Anreize initiieren, beispielsweise mit der Etablierung eines Europäischen Verteidigungsfonds oder der Ständigen Strukturierten Zusammenarbeit.
In einer Welt, in der nationales Inseldenken immer mehr um sich greift, muss die EU mit gutem Beispiel vorangehen und sich für offenen und regelbasierten Handel einsetzen. Dazu gehört, dass sie sich mit noch mehr Kraft für eine reformierte und gestärkte WTO einsetzt sowie den Abschluss und die Umsetzung bilateraler Handels- und Investitionsabkommen, zum Beispiel Freihandelsabkommen mit Mexiko und Mercosur, vorantreibt.
Die EU muss zudem ihre Defensivinstrumente zum Schutz vor unfairem Wettbewerb schärfen, ihre eigene Wettbewerbsfähigkeit erhöhen und die Weichen für eine nachhaltige und faire Wirtschaftspartnerschaft mit China aber auch anderen Partnern wie den USA stellen. Der rasche Abschluss eines umfassenden Investitionsabkommens mit China wäre hierfür genauso ein wichtiger Schritt wie Abkommen über die Abschaffung von Zöllen und gegenseitige Anerkennung von Konformitätsprüfungen mit den USA. In ihrer Afrikapolitik kann die EU durch die für Oktober 2020 geplante neue EU-Afrika-Strategie neue Impulse setzen. So könnten unter anderem angemessene Förderinstrumente, eine stärkere Einbindung der Privatwirtschaft in Kooperationen und in die Entwicklungszusammenarbeit sowie die Ausweitung des Green Deals auf die afrikanischen Länder in die Wege geleitet werden.
Ein starkes und zunehmend digitales Europa braucht eine sichere und nachhaltige Rohstoffversorgung. Rohstoffe stehen am Anfang jeder Wertschöpfungskette und sind Voraussetzung für Industrie 4.0 und Zukunftstechnologien wie die Elektromobilität. Weltweit sind ein stark wachsender Rohstoffbedarf und steigende Angebotskonzentrationen zu verzeichnen, gleichzeitig ist Europa als Importeur zahlreicher Rohstoffe auf freie und faire globale Rohstoffmärkte angewiesen.