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Europäischer Green Deal: Vom Klimaziel zu Klimamaßnahmen – was kommt 2021?

Beim virtuellen UN-Klimagipfel im Dezember 2020 und punktgenau zum 5. Jahrestag des Pariser Abkommens stellte die EU ihr neues 2030 Klimaziel vor. Nachts zuvor noch hatten die EU-Staats- und Regierungschefs um Zielhöhe, Fragen seiner praktischen Umsetzbarkeit und Finanzierung gerungen. Es drängt die Frage, wie der gesamtgesellschaftliche Transformationsprozess und Weg aus der Covid19-Krise gelingen kann. Wird 2021 Antworten liefern?

Es fehlt nicht an Symbolkraft: Zum 1. Jahrestag des Europäische Green Deal billigten die Staats- und Regierungschefs der EU-Mitgliedstaaten das verbindliche Ziel der EU, die Treibhausgasemissionen bis 2030 intern netto um mindestens 55 Prozent im Vergleich zu 1990 zu reduzieren. Bis 2050 will die EU dann klimaneutral werden. Im neuen EU-Klimagesetz sollen diese Zielsetzungen nun rasch rechtlich verankert werden. Für die gemeinsame Zielerreichung unterstreicht der Europäische Rat zurecht Kosteneffizienz, wirtschaftliches Wachstum, die Schaffung von Arbeitsplätzen sowie die langfristige weltweite Wettbewerbsfähigkeit der Wirtschaft.  Die Herkulesaufgabe der politischen, wirtschaftlichen und gesellschaftlichen Ausgestaltung des neuen Ziels rückt in den Fokus – und mit ihr, welcher Instrumentenmix das neue Ziel hinterlegen muss. Dieser muss Planungs- und Investitionssicherheit sowie Zukunfts- und Wettbewerbsfähigkeit der Industrie sicherstellen und darf den Menschen nicht verlieren. Auf ihre Fragen hat die deutsche Industrie, die sich Tag für Tag in einem durch die Corona-Krise noch verschärften globalen Wettbewerb beweisen muss, seit der BDI-Klimapfade Studie 2018 noch keine belastbaren Antworten erhalten.

Die Ziele mit einem klugen Ordnungsrahmen und Instrumentenmix hinterlegen

Das Arbeitsprogramm der Europäischen Kommission vom Oktober 2020 kündigt für Juni 2021 ein umfangreiches Green Deal „Fit for 55“ Gesetzgebungspaket an. Dieses reicht u. a. von der Überarbeitung des EU- Emissionshandels, der Lastenverteilungsverordnung, der Richtlinie für erneuerbare Energien oder der Energieeffizienzgesetzgebung bis hin zur EU-Flottenregulierung, der Energiebesteuerung und einem neuen Grenzausgleichsmechanismus. Im vierten Quartal 2021 sollen dann die Reform für einen wettbewerbsfähigen dekarbonisierten Gasmarkt, eine neue Kreislaufwirtschaftsinitiative für nachhaltige Produktpolitik und die Modernisierung des EU-Beihilferechts folgen.

Mit der neuen Mobilitätstrategie vom Dezember 2020 und ihrem 82 Maßnahmen umfassenden Aktionsplan zeichnet die EU-Kommission des Weiteren ihr ehrgeiziges Legislativprogramm für den Verkehrssektor vor. Außerdem hat die Kommission kürzlich ihren Vorschlag für eine revidierte Batterien Verordnung vorgelegt.

Neu ist die Ankündigung, dass der Europäische Rat beabsichtigt, der Kommission noch vor Vorlage des Juni-Pakets zusätzliche Leitlinien, insbesondere zur Zukunft der Lastenverteilungsverordnung, an die Hand zu geben.

Maßnahmen ganzheitlich denken und ausgestalten

Die riesige Gestaltungsaufgabe für Politik, Gesellschaft und Wirtschaft ist es, den Europäischen Green Deal als neues europäisches Konjunkturprogramm aufzusetzen, das ökologische, ökonomische und soziale Gesichtspunkte vereint. Dies kann nur mit einem ganzheitlichen Ansatz gelingen. Mit der Annahme des langfristigen Haushalts und Next Generation EU-Recovery Pakets und damit der Klärung essenzieller Klimafinanzierungsfragen hat die EU einen wichtigen Schritt in die richtige Richtung gesetzt.  Es gilt nun in zentralen Fragen wie der CO2 Bepreisung, der Reform des Europäischen Emissionshandels, des Ausbaus erneuerbarer Energien und im globalen Aufbau von Wasserstoffwertschöpfungsketten dringend voranzukommen. Wasserstofftechnik soll ein essentieller Baustein für die Energie- und Klimawende werden, weshalb der Markthochlauf der Wasserstoffökonomie Priorität erhalten muss. Die jüngsten Leitlinien des Energierates können helfen, gute Rahmenbedingungen, Infrastruktur, internationale Lieferketten und eine bessere Vernetzung der Anwendungsbereiche sicherzustellen. Das Potenzial der Digital- und Datentechnik kann die Klima- und Energiewende etwa mit intelligenten Energienetzen und „aktiven Gebäuden“ bis zu modernem Verkehrsmanagement, „digitalen Zwillingen“ und Energiedatenräumen unterstützen, die neue Geschäftsmodelle und weitere Innovationspotentiale für die Industrie eröffnen. Diese sollten besser genutzt werden.  Schließlich muss die für März 2021 erwartete überarbeitete EU-Industriestrategie verlässliche Orientierung in Zeiten der Digital- und Klimawende geben und dem Wirtschaftsabschwung in der Folge der Covid-19-Pandemie und dadurch zunehmenden Ungleichheiten und sozialen Spannungen entgegenwirken.

Ein industriell starkes Europa sichert gesellschaftlichen Zusammenhalt und Wohlstand

Europa darf stolz auf seine leistungsstarke Industrie sein: Die Industrie hat seit 1990 nicht nur ihren Beitrag zu den Klimazielen geleistet. Sie beschäftigt europaweit rund 32 Millionen Menschen, mehr als acht Millionen davon in Deutschland, und ist damit der Stützpfeiler der Wirtschaft der EU und Garant für Sicherheit und Wohlstand für jeden Einzelnen.  Mit ihrer Innovations- und Investitionskraft ist sie zudem Motor der Energie- und Klimawende und Treiber des Fortschritts. Ohne die Industrie geht Klimaschutz nicht. Im heftigen internationalen Wettbewerb und im Kampf gegen zunehmend protektionistische Handelsmaßnahmen aus Drittländern, die deutlich niedrigere Umwelt- und Sozialstandards anwenden, braucht sie jedoch Unterstützung. So muss sichergestellt sein, dass sich Klimainvestitionen nicht nur volkswirtschaftlich, sondern auch betriebswirtschaftlich rechnen.

Eine aktive europäische Klimadiplomatie weiter vorantreiben

Bei einem globalen CO2 Anteil Europas von neun Prozent ist es offensichtlich, dass Klimaschutz nur gelingen kann, wenn auch die internationalen Partner mit vergleichbaren Ambitionen Klimaschutz betreiben. Daher sind es grundsätzlich gute Nachrichten, dass sich der neu gewählte US-Präsident Joe Biden klar zum Multilateralismus und Klimaschutz bekennt und an seinem ersten Amtstag die USA zurück in das Paris Abkommen führen möchte. Auch die langfristigen Klimaschutzbekenntnisse Chinas, Russlands, Japans und Südkoreas sind zu begrüßen. Am Ende des Tages wird allerdings entscheidend sein – und zwar für das Weltklima und die Zukunftsfähigkeit der Industrie gleichermaßen – ob auf diese Bekenntnisse auch konkrete Maßnahmen folgen. Dies ist international noch keineswegs gesichert. Europa sollte daher auf Kooperation setzen. Der Grenzausgleich ist ein zweischneidiges Schwert und sollte mit äußerster Vorsicht diskutiert werden. Auch unsere internationalen Partner werden nicht zögern, ihre Interessen mit den ihnen zur Verfügung stehenden Mitteln durchzusetzen. Aus BDI-Sicht ist der Grenzausgleich kein Ersatz für den notwendigen Carbon Leakage Schutz der Industrie.

Wird 2021 Antworten liefern?

Auch wenn sich in Deutschland die Gesetzgebung 2021 wegen der Bundestagswahl verlangsamen wird, so ist es in Brüssel ein umso aktiveres Jahr. Mit dem erwähnten „Fit for 55“ Gesetzgebungspaket werden die EU-Institutionen zahlreiche Pflöcke in Sachen Klimaschutz auf den Weg bringen. Der BDI wird darauf drängen, dass dabei auch die richtigen Antworten gegeben werden, damit es gelingt, die ökologische und digitale Transformation mit der Marktwirtschaft und ihrem Wohlstandversprechen vereinbar zu machen. Für COP26 im November 2021 heißt das, die Klimadiplomatie und globale Klimaschutzmaßnahmen noch viel energischer vorantreiben, der wirtschaftlichen Situation angesichts der Covid-19-Pandemie und den Menschen gerecht werden.