Europäischer Pakt für die Wirtschaft
Nach den Europawahlen beginnt ein neuer Politikzyklus in der Europäischen Union. Europa steht vor gravierenden Entscheidungen in der Außen- und Sicherheitspolitik sowie in der Wirtschaftspolitik. Die EU sollte den „Green Deal“ um einen Deal für die Industrie und die Wirtschaft ergänzen. Eine enge Zusammenarbeit zwischen Deutschland und Frankreich ist entscheidend, um Antworten auf diese Herausforderungen zu finden. Der Staatsbesuch von Präsident Macron in Deutschland ist eine gute Gelegenheit, die bilaterale Zusammenarbeit zu fördern und eine breite Debatte in Europa zu beginnen.
Wir, die Spitzenverbände der Wirtschaft unserer zwei Länder, unterstützen eine ambitionierte neue Agenda für Europa: Die EU muss schnell in den Schlüsselbereichen Wettbewerbsfähigkeit, Verteidigung und Integration handeln, um Freiheit und Wohlstand zu erhalten.
Bemühungen in den europäischen Institutionen
Die wirtschaftlichen Folgen des Ukraine-Kriegs für Wachstum, Inflation und soziale Belastungen waren bislang gravierend. Europa hat immerhin eine zweite tiefe Rezession vermeiden können, wenn auch die wirtschaftliche Erholung verzögert und schwach verläuft. Zugleich müssen die Herausforderungen der alternden Gesellschaften, des Arbeitskräftemangels, des Klimawandels und des internationalen Wettbewerbs unverzüglich angegangen werden. Wir unterstützen die Bemühungen in den europäischen Institutionen, diese Herausforderungen in Angriff zu nehmen.
Deutschland und Frankreich müssen die Konsensbildung in Europa vorantreiben, damit Integration auf ein neues Niveau gehoben, die nationalen politischen Maßnahmen erheblich verbessert und die Kluft zwischen hochrangigen politischen Schlussfolgerungen und ihrer Umsetzung reduziert werden kann. Enrico Letta hat dazu bereits Vorschläge unterbreitet und Mario Draghi wird in Kürze daran anschließen.
Wachstum und Wettbewerbsfähigkeit
Europa muss den Verlust an Wachstum und Wettbewerbsfähigkeit gegenüber den Vereinigten Staaten und China umfassend angehen. Dies erfordert strukturelle Reformen, um das Arbeitskräfteangebot zu steigern, die Planungs- und Genehmigungsverfahren zu beschleunigen, bürokratische Lasten abzubauen, bessere Rahmenbedingungen für private Investitionen zu schaffen und viel wirksamere Maßnahmen der EU zu Innovation und Integration zu ergreifen. Substanzielle Fortschritte zur Vertiefung der europäischen Kapitalmärkte zählen ebenfalls dazu, und die jüngsten Initiativen Deutschlands und Frankreichs, Hürden abzubauen, sind zu begrüßen. Die Stärkung privater Investitionen in die doppelte Transformation, Innovation und Produktivität durch neue Technologien wie die Künstliche Intelligenz, Quantencomputing und Biotechnologie ist richtungsweisend.
In Ergänzung zum Green Deal ist ein ehrgeiziger, industrieller und wirtschaftlicher Deal notwendig, um die Dekarbonisierung der Energieerzeugung, der Industrie, des Verkehrs und des Gebäudesektors zu befördern und zugleich die internationale Wettbewerbsfähigkeit zu erhöhen. Fortschritte in der Kreislaufwirtschaft, bei den Energiepreisen, der Rohstoffabhängigkeit, der Ladeinfrastruktur für die Elektromobilität für Personen- und Lastkraftwagen sind ebenfalls unabdingbar.
Europäische Wirtschaft und Freihandelsabkommen
Die Stärkung unserer gemeinsamen wirtschaftlichen Resilienz gegen Bedrohungen unseres Lebensstandards durch negative internationale Schocks, vor allem in der Sicherheit, ist von überragender Bedeutung. Mit der Strategie zur wirtschaftlichen Sicherheit hat Europa klargestellt, dass die wirtschaftliche Interdependenz weit mehr als Wandel durch Handel erfordert. Die Strategie für wirtschaftliche Sicherheit muss die beiden Säulen der Partnerschaft und der Förderung zugleich im In- und Ausland ins Visier nehmen, um unsere Rivalen auf Abstand zu halten. Die europäische Wirtschaft muss schneller wachsen und resilienter werden. Um Schocks wie den russischen Angriffskrieg abzufedern, muss Europa mehr tun, um neue Märkte zu öffnen, damit die Unternehmen diversifizieren und ihre Risikopositionen anpassen können. Freihandelsabkommen sind nach wie vor der Königsweg dazu.
Europa muss auch besser darin werden, Talente anzuwerben und Zukunftskompetenzen zu sichern, um den grünen und digitalen Wandel zu meistern. Wir benötigen qualifizierte Arbeitskräfte durch Aus- und Weiterbildung. Auf das Europäische Jahr der Kompetenzen sollte ein Europäisches Jahrzehnt der Kompetenzen folgen, in dem die Sicherstellung von Kompetenzen weiter Priorität bleibt. Auch das Erasmus-Plus-Programm erreicht nach wie vor nur eine Minderheit an Jugendlichen, vor allem unter Auszubildenen. Dabei wird die Mobilität junger Europäerinnen und Europäer ein wesentlicher Wettbewerbsvorteil für unsere Unternehmen sein. Wir müssen die Mobilität von EU-Arbeitnehmer innerhalb des Binnenmarkts verbessern und die Hürden für Personen, die zum Arbeiten nach Europa kommen, verringern: Indem wir die Anerkennung von Qualifikationen innerhalb der EU vereinfachen und die Zuwanderung in Beschäftigung und Ausbildung erleichtern. Im weltweiten Wettbewerb um Talente kann Europa nur als Ganzes bestehen und ein attraktiver und vielfältiger Ort zum Lernen und Arbeiten werden.