Umbau zu einer klimaneutralen Industrieregion © Pixabay/MichaelGaida

Fit-for-55: Wie schafft Europa den Weg zum klimaneutralen Industriestandort?

Innovation. Investition. Kooperation. Im globalen Wettlauf um die besten klima- und energietechnologischen Lösungen braucht die Industrie ein klares Bekenntnis zum Wirtschafts-, Investitions- und Innovationsstandort. Zu Beginn des eigentlichen Europäischen Gesetzgebungsverfahrens für den Fit-for-55-Werkzeugkasten, mit dem die Umsetzung der EU-Klimaziele gelingen soll, legt der BDI seine Handlungsempfehlungen vor.

Bis 2030 will die EU ihre Netto-Treibhausgasemissionen um mindestens 55 Prozent reduzieren und verhandelt dafür derzeit  ein umfassendes Fit-for-55 Gesetzgebungspaket auf EU-Ebene. Für Mitte Dezember 2021 kündigt die Europäische Kommission die Vorlage ihres zweiten „Fit-for-55“ Pakets einschließlich einer umfassenden Gasmarktreform an. Die neue Bundesregierung ist aufgerufen, gemeinsam mit europäischen Partnern eine ambitionierte, wirtschaftspolitische Agenda auf den Weg zu bringen und mit dem Fit-for-55 Paket nicht weniger als der Welt zu beweisen, dass ein klimaneutraler Industriestandort möglich ist. Dieser Umbau zu einer klimaneutralen Industrieregion erfordert eine beispiellose Transformation in allen Bereichen von Wirtschaft, Staat und Gesellschaft.

Vorschlag des BDI: Technologieoffene Transformationspfade zu den Klimazielen zu finden, die auf die erfolgreiche Struktur eng verwobener Wertschöpfungsketten aufbauen und die Wohlstand und Beschäftigung auch für kommende Generationen sichern.

Dabei ist Innovation der Garant für Wohlstand und Fortschritt und Investition der Dreh- und Angelpunkt für den Green Deal als neue Wachstumsstrategie. Kooperation befördert Akzeptanz und sozialen Zusammenhalt und ist zugleich das Fundament für die erfolgreiche Bekämpfung des globalen Klimawandels.

Fit-for-55-Vorschläge „der große Wurf“ oder doch nur „ein Scheinriese“?

Das Fit-for-55-Paket setzt wichtige Impulse für Europas Weg in die Klimaneutralität, beispielsweise über neue CO2-Bepreisungsvorschläge oder Anreize für mehr Erneuerbare Energien, alternative Kraftstoffe und Energieeffizienz. Auch begrüßt der BDI Vorschläge für den Aufbau eines europäischen Marktes für nachhaltige Flugzeugtreibstoffe oder das Mainstreaming erneuerbarer Energien im Gebäudebereich.

Dennoch bleibt klar, dass das Fit-for-55 Paket vom Juli 2021 dringend nachgebessert und die industrielle Transformation von verlässlichen Rahmenbedingungen begleitet werden muss. Dazu gehört es ebenso, den kontinuierlichen Zugang zu ausreichenden Mengen erneuerbarer Energien und alternativer Kraftstoffe zu wettbewerbsfähigen Preisen sicherzustellen, wie in moderne Energie-, Transport- und Digitalinfrastrukturen zu investieren. Die Weichen für neue internationale Energiepartnerschaften für den Import grüner Energieträger und signifikante CO2-Senken müssen jetzt gestellt werden. Der Aufbau der Wasserstoffwirtschaft muss jetzt rasch über flexible Grünstromkriterien und eine EU-weit harmonisierte Wasserstoff-Klassifizierung und Zertifizierung gelingen. Schließlich muss sich die EU künftig noch stärker für weltweit gleiche Klimaschutz-Spielregeln einsetzen. Nur so kann dem steigenden Carbon Leakage Risiko dauerhaft begegnet werden. CO2-Klimazölle hingegen können bestehende Carbon Leakage Schutzinstrumente nicht ersetzen. Der BDI fordert mehr CO2-Preiskonvergenz auf G20-Ebene. Klimaclubs können dabei ein möglicher erster Schritt sein.

Schließlich mahnt die Industrie Kohärenz des Pakts und weiterer, parallellaufender EU-Initiativen an. Dies gilt insbesondere für die in Überarbeitung befindlichen Umwelt-, Klima- und Energiebeihilfeleitlinien (CEEAG), die für Mitte Dezember 2021 angekündigte europäische Gas- und Wasserstoffmarktreform und eine technologieoffene EU-Taxonomie, die Gas als Brückentechnologie anerkennt. Für das zweite Fit-for-55-Paket im Dezember 2021 wird es entscheidend sein, einen harmonisierten Rechtsrahmen mit einheitlichen Regeln für Marktzugang, Transport, Verteilung, Speicherung und den ungehinderten grenzüberschreitenden Handel von Wasserstoff und seinen Derivaten zu schaffen. Außerdem die Grundlagen für eine langfristige Strategie der EU für nachhaltige Kohlenstoffkreisläufe zu entwickeln.

Weiterer EU-Fahrplan: was bringt 2022?

Im Herbst 2021 wurden im Europäischen Parlament wichtige Zuständigkeitsfragen für die Verhandlungsführung zu den einzelnen Fit-for-55 Gesetzgebungsvorschlägen geklärt. Nunmehr nehmen die inhaltlichen Diskussionen zum ersten Paket in zehn verschiedenen Ausschussformationen Fahrt auf. Der Zeitplan, bereits bis Sommer 2022 mit einer Position für abschließende Verhandlungen mit dem Rat sprachfähig zu werden, ist angesichts der Komplexität der Vorschläge und Vielschichtigkeit der Abstimmungsprozesse ehrgeizig gesetzt. Dennoch wäre es gut, die Dezembervorschläge im Interesse kohärenter Regelungen direkt mit dem Fahrplan für das Julipaket zu verzahnen.

Seitens der Mitgliedstaaten bestätigt der Fortschrittsbericht der slowenischen Präsidentschaft vom Dezember 2021 die grundsätzliche Einigkeit der Mitgliedstaaten hinsichtlich des Ambitionsniveaus der EU-Klimaziele. Darüber hinaus zeigen sich jedoch rasch große inhaltliche Unterschiede zur zentralen Frage, wie diese ohne große soziale und wirtschaftliche Brüche konkret umgesetzt werden können. Der Vorschlag zur Einführung von Emissionshandelssystemen für die neuen Sektoren Gebäude und Straßenverkehr ist dabei besonders umstritten. Hinzu kommen Energiepreise auf Rekordniveau, die die Fit-for-55 Diskussionen jüngst überholt haben.  Ab Januar 2022 liegt es an Frankreich, die Positionen der Mitgliedstaaten zusammenzuführen und sofern möglich, bis zur zweiten Jahreshälfte in ein Mandat für die tschechische Präsidentschaft zu gießen, finale Trilogverhandlungen mit dem Europäischen Parlament und der Kommission aufzunehmen. Sowohl Geschwindigkeit als auch Qualität müssen dabei als zentrale Ansprüche gewahrt bleiben.

Und für die kommende Bundesregierung heißt es ebenfalls rasch in Brüssel ins Handeln zu kommen und Impulse für einen Investitionsturbo zu setzen – insbesondere für einen massiven Aus- und Neubau von Strom-, Wasserstoff- und Ladeinfrastrukturen, für die Erzeugung erneuerbaren Stromes und Wärme, für Elektromobilität und Schienennetze. Dabei stehen nicht ausschließlich monetäre Aspekte im Vordergrund, sondern auch die schnelle Umsetzung, zum Beispiel durch deutlich straffere Planungs- und Genehmigungsverfahren.

Der BDI wird auf nationaler und EU-Ebene weiterhin darauf drängen, die ökologische und digitale Transformation mit der sozialen Marktwirtschaft und ihrem Wohlstandsversprechen vereinbar zu halten.