© Renate Becker-Arnold

Geopolitik bestimmt zunehmend den Exportalltag

Die Ausfuhrbeschränkungen zu Beginn der Covid-19-Pandemie haben Unternehmen vor Herausforderungen gestellt. Renate Becker-Arnold, Vorsitzende des BDI-Arbeitskreises Exportkontrollen, lobt die pragmatische Arbeitsweise der deutschen Ausfuhrkontrolleure. Im Interview spricht sie zudem über die extraterritoriale Exportkontroll- und Sanktionspolitik der USA und die Reform der EU-Dual-Use-Verordnung.

Hauptamtlich leiten Sie die Exportkontrolle für den Chemiekonzern BASF. Wie sieht Ihr Arbeitsalltag aus?

Die Exportkontrolle ist bei uns ein fester Bestandteil des BASF-Verhaltenskodex. Dieser legt zentral die Verhaltensrichtlinien und Standards für die BASF-Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter weltweit fest. Zudem steuert mein Team die globale Organisation der Exportkontrolle. Als weltgrößtes Chemieunternehmen sind für uns natürlich die verschiedenen Handelskontrollgesetze besonders wichtig. Hierzu gehören ganz vorneweg die Entscheidungen der Australischen Gruppe. Die Beschlüsse dieses internationalen Regimes sollen sicherstellen, dass Exporte nicht zur Entwicklung chemischer oder biologischer Waffen beitragen. In Europa werden diese in nationales Exportkontrollrecht übertragen. Unternehmen dürfen dann Produkte, die diese gelisteten Stoffe enthalten, nur ausführen, wenn eine behördliche Genehmigung vorliegt.

Hat die Covid-19-Pandemie die Arbeit für deutsche Industrieunternehmen im Bereich der Ausfuhrkontrollen nochmals verändert?

Gleich zu Beginn der Covid-19-Pandemie wurden Ausfuhrrestriktionen für den Export persönlicher Schutzausrüstung erst in Deutschland und dann europaweit erlassen. Gerade im chemischen und pharmazeutischen Bereich – aber auch überall dort, wo PSA dem Arbeitsschutz dient – drohten Engpässe sowohl durch die weltweite Verknappung, aber auch weil Lieferungen an Tochterunternehmen im außereuropäischen Ausland damit erschwert wurden. Für den Chemie- und Pharmasektor war das keine leichte Hürde. Allerdings muss insbesondere dem Bundesamt für Wirtschaft und Ausfuhrkontrollen (BAFA) ein großes Lob ausgesprochen werden. Trotz der Pandemiesituation und den damit verbundenen Einschränkungen wurden bei PSA-Ausfuhren meist schnell und pragmatisch Genehmigungen erteilt; und das ohne signifikante Einbußen bei den Bearbeitungszeiten der übrigen Genehmigungsverfahren.

Seit Sie den ehrenamtlichen Vorsitz im BDI-Arbeitskreis Exportkontrollen 2019 übernommen haben, ist viel passiert. Was sind derzeit die wichtigsten Themenfelder für die deutsche Industrie? 

2018 hat die USA die Exportkontrolle rechtlich neu gefasst. In ihrem Anspruch war die US-Exportkontrolle immer schon extraterritorial, denn grundsätzlich gilt: US-Güter verlieren nie ihre „Staatsbürgerschaft“. Verbaut also ein deutsches Unternehmen US-Komponenten in einem Produkt, so muss bei der Ausfuhr aus Deutschland gegebenenfalls auch eine Ausfuhrgenehmigung durch die zuständige US-Behörde erfolgen. Eigentlich ist Exportkontrolle sicherheitspolitischen Zielen verpflichtet. Unter der letzten US-Regierung mussten wir zur Kenntnis nehmen, dass die Exportkontrolle zunehmend genutzt wurde, um wirtschaftliche Interessen durchzusetzen. Im Bereich der Zukunfts- und Basistechnologien stellen wir nun fest, dass sich auch Präsident Biden vorbehält, unilateral zu handeln. Bislang konnten jedoch noch alle Kontrollinitiativen über das zuständige multilaterale Wassenaar-Regime durchgesetzt werden. Gleichzeitig hat China mit seinen neuen Gesetzen zur Exportkontrolle und dem Anti-Sanktionsgesetzt die rechtlichen Mittel formalisiert, die im Hochtechnologiewettstreit der beiden Mächte zu weiterer Eskalation führen können. Washingtons bedachte Herangehensweise und die anstehenden Verhandlungen im Zusammenhang mit dem neuen Trade and Technology Council zwischen der EU und den USA sind da ermutigende Zeichen.

Die US-Sanktionspolitik hat seit dem Austritt der USA aus dem Iran-Abkommen in Europa eine Reihe an Initiativen ausgelöst, mit denen die EU versucht, resilienter gegen Extraterritorialität und wirtschaftliche Zwangsmaßnahmen zu werden. Die EU-Kommission wird 2022 Vorschläge für ein Anti-Coercion-Instrument und die Reform der Blockadeverordnung vorlegen. Für die deutsche Industrie sind dies wichtige politische Themen, deren Anwendbarkeit wir auch kritisch hinterfragen müssen.

Gibt es noch weitere?

Das Kerngeschäft für Unternehmen bleibt die Antragsstellung für genehmigungspflichtige Ausfuhren: welche Anträge muss ich stellen, wie tue ich dies möglichst erfolgreich und wie lange muss ich auf behördliche Rückmeldungen warten? In Deutschland sind wir in der glücklichen Situation, dass wir mit dem BAFA eine außerordentlich kompetente Behörde als Ansprechpartnerin haben. In den Unternehmen merken wir jedoch mithin auch, dass Bearbeitungszeiten länger dauern können, insbesondere dann, wenn Ministerien und Nachrichtendienste in die Genehmigungsprozesse eingebunden werden müssen. Aus meiner Sicht spiegelt dieser neue Genehmigungsalltag die komplexere internationale Situation wider, in der wir uns seit einigen Jahren befinden. In der Handelskontrolle wissen wir natürlich – vielleicht auch besser als viele andere –, dass wirtschaftliches Handeln sicherheitspolitische Konsequenzen haben kann. Ich wünsche mir daher, dass die behördlichen Genehmigungsprozesse an diesen neuen geopolitischen Alltag angepasst werden.

Renate Becker-Arnold ist seit Januar 2019 Vorsitzende des BDI-Arbeitskreises Exportkontrollen. Als promovierte Chemikerin von der Universität Marburg leitet sie heute als Vice President den Bereich Global Trade Control für BASF.