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Herausforderungen der WTO und Ideen für eine Reform

In diesen unsicheren Zeiten wäre eine reibungslos funktionierende Welthandelsorganisation (WTO) ein zentrales Instrument, um den freien und fairen Welthandel zu gewährleisten. Doch gegenwärtig ist die WTO eher von Stillstand und auseinanderdriftenden Interessen der Mitgliedsländer geprägt. Bis zur Ministerkonferenz Ende Februar 2024 in Abu Dhabi muss die Organisation daher einige der aktuellen Baustellen angehen.

Die Welthandelsorganisation (WTO) trägt – wie schon ihr Vorgänger, das Allgemeine Zoll- und Handelsabkommen zur Öffnung der Märkte und zur Schaffung fairer Regeln für den Handel zwischen den Mitgliedsländern bei. Trotz der Zunahme regionaler und bilateraler Freihandelsabkommen in den letzten Jahrzehnten regeln die Meistbegünstigungszölle der WTO immer noch einen Großteil des Handels außerhalb der EU. Die Mitgliedschaft in der Organisation hat sich auch äußerst positiv auf das Wachstum des deutschen Waren- und Dienstleistungsverkehrs ausgewirkt, und ihr Regelwerk ist in vielen Bereichen des Welthandels nach wie vor unverzichtbar, insbesondere in Bezug auf Anti-Dumping, technische Handelshemmnisse, geistiges Eigentum und Handelserleichterungen.

Wettbewerbsverzerrung und Blockade lähmen das multiliterale Handelssystem

Dieses Fundament der auf multilateralen Regeln basierenden Handelsordnung steht jedoch in letzter Zeit zunehmend infrage. Aus Frustration über die langwierigen Prozesse und den fehlenden multilateralen Konsens wenden sich die Mitglieder zunehmend unilateralen Lösungen für politische Probleme wie Umgehung, Überkapazitäten, Verzerrungen durch ausländische Subventionen und schwerwiegende Handelsstreitigkeiten zu. Für diese Spielarten der Wettbewerbsverzerrung sind unbedingt stärkere und präzisere Regeln erforderlich. Die Blockade der zweiten Instanz des Streitbeilegungssystems hat zu einer Lähmung geführt, durch die das multilaterale Handelssystem Verstöße gegen seine eigenen Regeln nicht mehr durchsetzen kann.

Das Konsensprinzip gewährleistet zwar volle Einstimmigkeit und einen Ausgleich zwischen den Interessen der Mitgliedstaaten unabhängig von ihrer Größe oder Exportstärke. Doch zugleich hat es den Mitgliedern ermöglicht, die Verhandlungen zunehmend zu politisieren und ein Ergebnis zugunsten ihrer eigenen nationalen Interessen zu blockieren. Da klare Kriterien für die besondere und differenzierte Behandlung der einzelnen Mitglieder fehlen, können selbst Staaten mit zunehmendem Anteil an den weltweiten Ausfuhren zahlreiche Ausnahmen in Anspruch nehmen und von einem System profitieren, das insbesondere für die wirtschaftlich noch nicht so entwickelten Länder gedacht ist.

Plurilaterale Ansätze als Ergänzung oder Weiterentwicklung

Die aktuellen Diskussionen rund um die WTO zeigen einen Trend hin zu mehr plurilateralen Ansätzen, die versuchen, den globalen Handel zu regulieren und dabei die oben genannten Fallstricke zu vermeiden. Obwohl das multilaterale System nach wie vor das Ideal ist, sind diese Ansätze wohlbegründet und verständlich. Kolev/Matthes (2021) schlagen eine plurilaterale Handelspartnerschaft gleichgesinnter Länder vor. Diese Partnerschaft würde neben der Europäischen Union und den Vereinigten Staaten auch Japan, das Vereinigte Königreich, Kanada, Australien, Chile und Mexiko umfassen. Die Partnerschaft würde die WTO-Regeln um die Bereiche erweitern, denen die EU und ihre Verbündeten seit vielen Jahren Priorität einräumen und in denen es schwierig wäre beziehungsweise ist, einen Konsens mit China und Indien zu erzielen. Hierzu gehören z. B. bei Industriesubventionen und das Thema staatliche Unternehmen (State Owned Enterprises, SOEs). Nach dieser Logik würde die Partnerschaft als Vorlage für eine WTO-Reform dienen, wenn sich die Zusammenarbeit mit China vertieft und als erfolgreicher erweist oder – was wahrscheinlicher ist – sich zu einer dauerhaften Alternativstruktur zur WTO entwickeln. Dieser Vorschlag konzentriert sich auf Fragen der Wettbewerbsverzerrung einschließlich Subventionen und staatlicher Unternehmen, sowie auf den Datenschutz.

BDI: Multilateralität hat Priorität, alternative Vereinbarungen dennoch weiterverfolgen

Die deutsche Wirtschaft steht vollkommen hinter dem multilateralen, auf Regeln basierenden System als Grundlage des internationalen Handels. Priorität hat nach wie vor der Erhalt und die Weiterentwicklung der multilateralen Regeln für das globale Handelssystem. Der BDI begrüßt jedoch die Idee einer vertieften Zusammenarbeit mit den G7-Partnern, anderen EU-Mitgliedstaaten und weiteren gleichgesinnten Verbündeten wie Chile und Australien. Das ist auch im derzeitigen multilateralen System weiterhin von Bedeutung. Darüber hinaus ist es wichtig, alle möglichen alternativen Vereinbarungen im Auge zu behalten, um Ziele zu erreichen, zu denen ein Konsens im bisherigen System nicht möglich oder nicht absehbar ist – zum Beispiel die oben genannten, die zu weltweit gleichen Wettbewerbsbedingungen beitragen würden.

Der BDI unterstützt den Vorschlag des schwedischen Industrieverbands (SN) für ein verstärktes Engagement der Wirtschaft in der WTO. Unternehmen und sektorale Verbände können die WTO am besten über die Auswirkungen ihrer Handlungen informieren. Damit die Organisation vorankommt und die Herausforderungen des modernen Handels angemessen angehen kann, muss die Wirtschaft ihr Engagement vertiefen und gezielter sowie regelmäßiger gestalten. Die derzeitigen jährlichen Foren (Public Forum und Handelsdialoge) sind für die Vernetzung besonders nützlich, aber zu breit angelegt und zu öffentlichkeitswirksam.

Gerade angesichts der Schwierigkeiten, die Dynamik der multilateralen Verhandlungen vor dem Hintergrund der genannten Herausforderungen und des Krieges in der Ukraine aufrechtzuerhalten, unterstützt die deutsche Wirtschaft nachdrücklich eine stärkere Fokussierung und einen schnelleren Abschluss der Joint Statement Initiatives (JSI) zu elektronischem Handel, Investitionserleichterungen für Forschung und KMU. Der BDI befürwortet flexiblere Ansätze wie diese, um die WTO im Sinne einer modernen Regelsetzung in das 21. Jahrhundert zu führen.