Unsere Industrie: Fundament des gesellschaftlichen Zusammenhalts
Als Industriestandort, in dem das Verarbeitende Gewerbe immer noch 21 Prozent zum BIP beiträgt – aber eben nicht mehr über 50 Prozent wie in den 1960er Jahren – und 18 Prozent aller Arbeitnehmer beschäftigt, muss unser Land ein ureigenes Interesse an einer lebens- und leistungsfähigen Industrie haben. Die traditionelle industrielle Wertschöpfung steht zunehmend unter Druck, der neue, gut bezahlte Dienstleistungssektor in den Städten gewinnt immer mehr an Bedeutung.
Wie sich die Gesellschaft reformiert
Der Soziologe Andreas Reckwitz hat es auf den Punkt gebracht. Demnach steht eine urbane Elite aus der Wissensökonomie als neue Ober- und Mittelschicht einer regional verwurzelten industriellen Mittelschicht gegenüber. Letztere sehe ihre Arbeitsleistung nicht gewürdigt und sorge sich um einen Abstieg in die neue untere Dienstleistungsschicht mit geringerer Vergütung. Transformation zu bewältigen, darf nicht zulasten des einen und zugunsten des anderen gesellschaftlichen Milieus gehen. Die USA verdeutlichen dies durch die Polarisierung zwischen den alten, sog. „rust belt states“ und den aufstrebenden, hochgradig international vernetzten Metropolen mit hohem Akademikeranteil der „new economy“ an den Küsten.
Es existiert keine homogene Mittelschicht mehr, wie wir sie aus den vergangenen Jahrzehnten kennen. Die Gesellschaft ist heterogener und auch die Mittelschicht ist durch vielfältige politische Einstellungen und Lebensrealitäten geprägt. Je schneller wir die Realitäten anerkennen und die richtigen Schlüsse daraus ziehen, desto besser ist unsere Gesellschaft für die Transformation gewappnet. Hierfür müssen wir den Stellenwert der Industrie anerkennen – sie ist z. B. durch die Produktion von modernem Knowhow die Basis für die Lösung beim Klimawandel und nicht das Problem.
Chancen einer Wettbewerbsführerschaft im industriellen Umfeld
Dabei schaffen gut bezahlte Industriearbeitsplätze und hochqualifizierte Ausbildung Lebensperspektiven. Es muss deshalb ein Konsens erreicht werden, damit das Aufstiegsversprechen unserer Wirtschaftsordnung in der gesellschaftlichen Breite gelten kann und nicht nur einer Akademikerschicht im gut bezahlten Dienstleistungsbereich vorbehalten ist. Kosten und Lasten müssen fair verteilt sein. Vielmehr steckt in einer innovativen Industrie, die Produktion und Dienstleistung verschmelzen lässt, auch eine große Chance. Intelligente industrielle Wertschöpfung weiter zu fördern, hilft Technologievorreiter zu bleiben und Arbeitsplätze zu sichern.
Kleine wie große Unternehmen, global player und hidden champions sind Teil der Industrie. Fast die Hälfte der weltweit 2.700 hidden champions sind in Deutschland ansässig. Dieses enorme Potenzial müssen wir im gesamtgesellschaftlichen Interesse ausbauen. Nur durch eine starke Industrie im fairen Wettbewerb bleiben wir Technologieführer und finden weltweit Nachahmer, um unsere Werte sowie hohen Klima- und auch Sozialstandards zu verteidigen. Dies gilt für Deutschland aber auch für Europa. So stellen wir unter Beweis, dass die Transformation sozialverträglich und bezahlbar ist. Diesen Weg müssen wir Europäer jetzt mit viel politischem Gestaltungswillen geschlossen beschreiten.
Krisen mit starker, transnationaler Zusammenarbeit bewältigen
Die weltweite Corona-Pandemie hat einen historisch beispiellosen Absturz der globalen Wirtschaft verursacht. Diese Krise stellt unsere Gesellschaft vor eine enorme Belastungsprobe: Neben den gesundheitlichen Herausforderungen verstärkt die Pandemie den Anpassungsdruck an die Megatrends des Klimawandels, der Digitalisierung und eines sich geoökonomisch wandelnden Umfelds. Diese Herausforderungen können wir in Deutschland nicht allein bewältigen. Nur als politisch und wirtschaftlich starke und zugleich geeinte Europäischen Union haben wir die Chance erfolgreich zu bestehen. Es gibt keine Alternative dazu.