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Nur durch radikale Transformation und konsequente Innovation können wir unsere Wettbewerbsfähigkeit bewahren

Im Interview erklärt Stefan Schaible, Global Managing Partner bei Roland Berger, was Innovation für ihn persönlich und für die Gesellschaft bedeutet und was hinter dem Innovationsindikator für Deutschland steckt.

Was bedeutet Innovation für Sie persönlich und für die Gesellschaft?

Ohne Innovation gibt es keinen Fortschritt. Hätte es in der Geschichte der Menschheit nicht immer wieder mutige Frauen und Männer gegeben, die sich mit dem Vertrauten nicht zufriedengegeben, sondern nach neuen, besseren Lösungen gesucht haben, wäre unsere Welt heute eine andere. Und zwar eine schlechtere, davon bin ich fest überzeugt. Heute steht die Weltgemeinschaft vor großen und teilweise bedrohlichen Herausforderungen, etwa durch den Klimawandel. Daraus erwächst nach meiner Überzeugung eine gesellschaftliche Verantwortung zur Innovation. Denn sie ist die Grundlage für eine erfolgreiche Dekarbonisierung. Ich denke hier vor allem an die Wasserstoffwirtschaft, die wir für eine nachhaltige, klimafreundliche Wirtschaft brauchen.

Roland Berger bringt dieses Jahr zum ersten Mal gemeinsam mit dem BDI den Innovationsindikator für Deutschland heraus. Was steckt dahinter?

Als moderne, wissensbasierte Gesellschaften brauchen wir Innovationen, um weiteres Wachstum zu generieren. Das gilt für Deutschland in besonderem Maße. Wir haben immer weniger junge Menschen, die unseren Wohlstand erwirtschaften. Damit unsere Wirtschaft in den nächsten Jahrzehnten nicht schrumpft, sind wir darauf angewiesen, unsere Produktivität durch innovative Technologien und Geschäftsmodelle, aber auch durch neue Arbeitskulturen weiter zu verbessern. Der Innovationsindikator liefert eine klare Orientierung, wo Deutschland im Ländervergleich steht und wo wir besser werden müssen. Ich bin sehr gespannt auf die Ergebnisse, die wir am 3. Mai auf dem InnoNation Festival präsentieren werden.

Zum ersten Mal werden auch die Bereiche Nachhaltigkeit und Schlüsseltechnologien zusätzlich zur Innovationsfähigkeit beleuchtet. Welche Rolle spielen sie auf dem Weg zur InnoNation?

Wenn wir nachhaltiger wirtschaften und leben wollen, brauchen wir innovative Technologien. Umgekehrt gilt aber auch: Innovationen müssen auf die Klimaziele einzahlen, damit sie langfristig relevant und erfolgreich sind. Nachhaltigkeit ist längst nicht mehr „nice to have“, sondern selbst zum Wettbewerbsfaktor geworden. Je nachhaltiger die Entwicklung eines Landes, desto größer seine künftige Wettbewerbsfähigkeit. Das Gleiche gilt für Schlüsseltechnologien. Das sind solche Technologien, die über viele Branchen hinweg Innovationstreiber sind. Ob neue Werkstoffe, etwa im Ultraleichtbau, bei Künstlicher Intelligenz oder in der Biotechnologie: Sie alle stoßen wirtschaftliche und gesellschaftliche Transformationsprozesse an, indem sie die Basis für Innovationen in den Anwenderbranchen liefern.

Der Innovationsindikator wird uns zeigen, wo Deutschland in technologischen Zukunftsfeldern Nachholbedarf hat. Dort muss gezielt gefördert werden, nicht mit der Gießkanne. Mit seinem zusätzlichen Blick auf Schlüsseltechnologien liefert der Indikator also eine gute empirische Basis für politische Entscheidungen.

Wo muss Deutschland konkret ansetzen? Sehen Sie die Verantwortung im öffentlichen oder privaten Sektor?

Hier gibt es kein Entweder Oder. Wir brauchen eine neue Art der Zusammenarbeit zwischen Staat und Wirtschaft. Das klassische Lobbying muss echtem Dialog weichen, damit wir die Regelwerke schaffen, die eine langfristige Wettbewerbsfähigkeit garantieren. Unternehmen müssen die Transformation beherzt und mutig angehen. Viele Firmen haben sich schon auf den Weg gemacht, doch das Ambitionsniveau ist noch nicht hoch genug. Aber auch der Staat muss sich bewegen, er muss schneller und flexibler werden. Das erfordert radikale Reformen – davon gab es in den vergangenen Jahren zu wenige. Ich bin überzeugt, dass viele wichtige Projekte schneller umgesetzt werden könnten, wenn Behörden zeitgemäße Planungsmechanismen, -prozesse und nicht zuletzt -kapazitäten einsetzen würden.

Entscheidend ist, dass wir eines begreifen: Ohne radikale Transformation und konsequente Innovation können wir unsere Wettbewerbsfähigkeit und unseren Wohlstand nicht halten. Marktnahe Innovationen in einem industriepolitisch geschickt gesetzten Rahmen sind zusammen mit einem handlungsfähigen Staat die Grundvoraussetzungen für eine erfolgreiche Dekarbonisierung unserer Industrienation.

Stefan Schaible, Global Managing Partner bei Roland Berger. © Roland Berger