© Christian Kruppa

Klimakongress: Raus aus der Rezession, rein ins klimaneutrale Wachstum – Welche Transformationspfade muss der Industriestandort gehen?

Beim Klimakongress forderte BDI-Präsident Siegfried Russwurm einen politischen Kurswechsel aufgrund der Herausforderungen im Klimaschutz und der sinkenden Wettbewerbsfähigkeit Deutschlands. Er kritisierte übermäßige Regulierung und unrealistische Vorgaben, die die Transformation behindern. Die internationale Wettbewerbsfähigkeit muss in den Mittelpunkt des politischen Handelns rücken, um eine Balance zwischen Ökologie und Ökonomie herzustellen.

1. Die Zeit läuft gegen uns – es braucht jetzt einen Kurswechsel

"Meine sehr geehrten Damen und Herren, herzlich willkommen zum BDI-Klimakongress!

Es ist der nunmehr siebte Klimakongress des BDI. Im Jahrestakt widmen wir diesem Thema eine eigene große Veranstaltung. Allein das unterstreicht: Für die deutsche Industrie in ihrer gesamten Breite ist die Transformation hin zur Klimaneutralität ein Kernthema.

Die Naturwissenschaften belegen mit glasklaren Fakten: Der globale Klimawandel ist Realität -  und er erfordert globale Antworten. Deshalb ist es gut, dass wir uns in unserem Land ambitionierte Ziele vornehmen.
Gleichzeitig gilt: Es wäre fatal, wenn wir bei der Umsetzung die falschen Pfade einschlagen und De-Industrialisierung die Folge ist. Es ist sehr beunruhigend, heute feststellen zu müssen, dass dieses Risiko in wesentlichen Teilen der Industrie real geworden ist.  

Nur eine intakte Wirtschaft kann innovative Technologien entwickeln, einführen und weltweit anbieten. Nur mit einer  global wettbewerbsfähigen Industrie können wir erfolgreich im Kampf gegen den Klimawandel sein und weiterhin als Wohlstandsmotor die wirtschaftliche Stabilität unseres Landes sichern. Wir müssen klimaneutral werden und wettbewerbsfähig bleiben. Es steht viel auf dem Spiel!

Es gibt die bekannten politisch definierten Ziele und Zeitpläne. Aber auf dem Transformationspfad in eine klimaneutrale Zukunft gibt es massive Stolpersteine, die sich unser Land teilweise selbst in den Weg gelegt hat.

Die Unternehmen leiden unter strukturellen Standortschwächen und büßen ihre globale Wettbewerbsfähigkeit zunehmend ein.  Klimaneutralität zu erreichen, indem Industrien abwandern, kann keine Lösung sein – das wäre ein Armutszeugnis für unser Land und hätte ohne Zweifel abschreckende und nicht beispielgebende Wirkung auf andere Länder.

Bevor jetzt vielleicht einige sagen: Alles nur das übliche Gejammer der Industrie und Schwarzmalerei:

Nein! Daten und Fakten sprechen eine eindeutige Sprache:  Das Geschäftsmodell Deutschlands, durch Innovationen an der Spitze von Technologie und Fortschritt zu stehen, ist durch ausufernde Kosten, durch Bürokratie, Detailregulierung und einen enormen Modernisierungsstau bei Infrastruktur und digitaler Verwaltung zunehmend bedroht. Dazu kommt das wachsende demographiebedingte Problem des Arbeitskräftemangels. Gleichzeitig erleben wir  massive geopolitische Verschiebungen. Zusammen ist dies ein gefährlicher Mix, der bis zu einem Fünftel der industriellen Wertschöpfung in unserem Land konkret gefährdet

Und es ist Gift für das, was Deutschland am dringendsten braucht, nämlich private und öffentliche Investitionen in erheblichem Ausmaß. Unsere jüngste Transformationspfade-Studie hat einen erforderlichen Investitionsbedarf von 1,4 Billionen Euro bis 2030 identifiziert.

Der zeitgleich erschienene Draghi-Bericht der Europäischen Kommission kommt beim Blick auf Europa zu praktisch identischen Befunden.

Es braucht den Mut aller Parteien, die in Deutschland und Europa Regierungsverantwortung haben oder übernehmen wollen, ein Transformationskonzept zu verfolgen, dass die globale Wettbewerbsfähigkeit ins Zentrum rückt. Wir brauchen dafür einen Kurswechsel der Politik, der Ökologie und Ökonomie in eine Balance bringt. Der Weg der vergangenen Jahre funktioniert an zentralen Stellen nicht. Es wird höchste Zeit, sich das einzugestehen.

Die Zeit läuft gegen uns. Vor der Wahrheit, dass wir derzeit auf der Verliererstraße unterwegs sind, darf sich niemand länger verstecken. Die Zeit zum Handeln ist jetzt.

 

2. Transformation auf Termin zwingt dazu, Investitionsboom auslösen

Meine Damen und Herren, die Transformation der Industrie zur Klimaneutralität ist ein – aus guten Gründen – gesetztes politisches Ziel. Trotzdem ist genau hier zugleich der Haken: Wir haben es mit der historisch einmaligen Tatsache zu tun, dass wir im Gegensatz zu allen früheren Transformationen, die durch Innovationszyklen ausgelöst wurden, es heute mit einer politisch entschiedenen Transformation für die deutsche und europäische Wirtschaft zu tun haben, obendrein mit einer Transformation mit politisch vorgegebenen Fristen. Der große Rest der Welt folgt uns nicht – nicht in vergleichbarer Ambition, nicht auf vergleichbaren Wegen und nicht mit vergleichbaren Fristen. China und USA nutzen das Thema Klimaschutz erkennbar als ein Spielfeld eines globalen Wettbewerbs.

Was wir auch sehen, ist eine immer größer werdende Lücke zwischen politischen Ambitionen und tatsächlicher Zielerreichung. Die aktuellen politischen Konzepte setzen neben CO2-Bepreisung vorrangig auf Regulierung und Feinsteuerung. Komplexe Vorschriften, sehr detaillierte Zielvorgaben und eine starke technologische Einengung behindern den notwendigen schnellen Hochlauf von Innovationen zur Markreife. Wesentliche Grundlagen, damit Unternehmen heute ihre Investitionen in die Wertschöpfung der Zukunft am Standort wirtschaftlich fundiert tätigen können, sind nicht vorhanden.

Es fehlt ein ganzheitliches Konzept über sämtliche Handlungsfelder hinweg, das Industriepolitik auf klimaneutrales Wachstum ausrichtet: Der Industriestandort muss seine Innovations- und Wachstumspotenziale nutzen und die darauf gerichteten Kräfte entfesseln – nur dann kann er die ehrgeizigen Klimaziele erreichen und die gewaltigen Chancen auf Zukunftsmärkten mit bis zu 15 Billionen Euro globalem Umsatz bis 2030 sichern.

Meine Damen und Herren, ich kann es nicht oft genug betonen: Dreh- und Angelpunkt sind die enormen Investitionen, die wir seit Jahren und unterlegt durch drei Studien immer wieder anmahnen, ebenso wie die dafür erforderlichen staatlichen Rahmenbedingungen.
 

a) Infrastrukturoffensive angehen

Es ist großes Tempo im staatlichen Handeln gefragt, damit die Klimaziele für die Unternehmen erreichbar bleiben. Dafür braucht es Rahmenbedingungen, Wachstumsperspektiven und Planungssicherheit. Technologisch ist das alles machbar, aber der Staat wird aktuell seiner notwendigen Vorleistungsfunktion nicht gerecht. Damit wird das angestrebte Zieldatum von Tag zu Tag weniger realistisch.

Es muss in der gesamten Breite gelingen, den Verfall der bestehenden Infrastrukturen zu stoppen. Der sichere und schnelle Transport zum Beispiel - auf Straßen, Schienen, über Brücken und auf dem Wasser - ist ein zentraler Wettbewerbsfaktor. Noch ist nicht erkennbar, dass der Investitionsstau kleiner wird, im Gegenteil.

Gleichzeitig müssen neue Infrastrukturen entstehen – und auch hier geht es zu langsam voran. Nadelöhr sind immer noch schleppende Planungs- und Genehmigungsverfahren. Ohne eine weitere massive Beschleunigung können private Investitionen in E-Ladesäulen und Windparks nicht angeschoben werden.

Das gelingt nur mit einer Infrastrukturoffensive, die aufs Tempo drückt und finanziell verlässlich abgesichert ist. Dies muss eine Top-Priorität eines effizienten Ausgabenverhaltens in der Haushaltspolitik werden. Bisher ist diese Priorisierung nicht hinreichend erkennbar.
 

b.) Energieversorgung sichern

Eine weitere Top-Priorität muss eine sichere und bezahlbare Energieversorgung sein. Der Zubau neuer, nachhaltiger Energieträger für eine jederzeit stabile Stromversorgung ist nach dem Abschalten der AKWSs und dem geplanten Ausstieg aus der Kohle zwingend.  

Die Kraftwerksstrategie liegt rund ein Jahr später als angekündigt zwar vor – aber bisher nur auf dem Papier. Als Voraussetzung für Investitionen braucht es dringend rasche Ausschreibungen und einen technologieneutralen Kapazitätsmechanismus, der spätestens 2028 wirksam werden kann. Der Neubau von Kraftwerken gelingt nur, wenn es dafür einen business case gibt – den sehen wir immer noch nicht. Damit riskiert die Politik die Versorgungssicherheit ebenso wie den geplanten Kohleausstieg.

Worauf es dabei vor allem ankommt, ist der Hochlauf von Wasserstoff. Ja, das Kernnetz wird nun geschaffen. Doch wir brauchen auch eine klare Versorgungsperspektive für die Unternehmen, die zwischen den Maschen des Kernnetzes industrielle Prozesse mit grünen Molekülen betreiben müssen. Und wir brauchen die richtigen Anreize für die Produktion und den Import von Wasserstoff.

Das Angebot neuer Energieträger ist eine Säule einer sicheren Energieversorgung, bei der wir noch schneller vorankommen müssen. Die andere Säule sind wettbewerbsfähige Kosten. Da gibt es ein bestenfalls diffuses Bild.

Den Erhalt der Strompreiskompensation bis 2030 sowie die verlängerte Stromsteuersenkung auf das EU-Mindestniveau begrüßen wir. Aber von ihrer Ankündigung, die Netzentgelte zu senken, will die Bundesregierung offenbar nur noch wenig wissen. Sie verweist auf die Bundesnetzagentur, die ein Verfahren zur Überarbeitung individuell reduzierter Netzentgelte bis Ende 2025 abschließen will.

Eine-Ko-Finanzierung der Investitionen in die Energienetze und damit der Netzentgelte aus dem Bundeshaushalt gehört oben auf die Agenda der politischen Debatte, der sich die aktuelle und auch jede künftige Bundesregierung nicht verschließen darf.

Bis dahin bleibt es dabei, dass die deutsche Industrie bei den Strompreisen nicht ansatzweise mit ihren wichtigsten Wettbewerbern mithalten kann.
 

c.) Carbon Management umsetzen

Wir müssen schnelle und möglichst kostengünstige Lösungen finden, um wettbewerbsfähig zur Klimaneutralität zu kommen.

Grüner Strom und grüne Moleküle sind aber nur zwei Aspekte des Lösungsraums. Wir müssen alle Optionen zur Dekarbonisierung nutzen. Dazu gehört auch ein effektives Carbon Management, das die technologischen Möglichkeiten voll ausschöpft.

Die Bundesregierung muss flächendeckend den Einsatz von Carbon Management-Technologien wie CCS und CCU ermöglichen.
 

d.) Europäischen Chancenraum nutzen

Meine Damen und Herren, wir können es nicht oft genug wiederholen: Ins Zentrum für das Gelingen der Transformation gehört die globale Wettbewerbsfähigkeit des Industriestandorts. Wir verlieren weiter Weltmarktanteile, Investitionen bleiben aus, energieintensive Produktion wird ins Ausland verlagert. Das dient nicht dem Klimaschutz auf der Welt, sondern schwächt nur den Standort Deutschland.

Jetzt das Ruder rumreißen verlangt, alle Möglichkeiten und Potenziale auszuschöpfen, die neue Wachstumsimpulse setzen und einen Investitionsboom auslösen – das muss die Ambition der Industriepolitik werden – nicht irgendwann, sondern sofort.

Und das heißt vor allem: Deutschland muss in Europa wieder zum Treiber einer Politik werden, die auf die Stärkung der globalen Wettbewerbsposition unseres Kontinents ausgerichtet ist.

Europa muss endlich auf weiteren Bürokratiezubau verzichteten. Europa muss die Skalierung innovativer digitaler Lösungen forcieren. Die neue Europäische Kommission muss dem Reden über einen Industrial Deal Glaubwürdigkeit durch konkretes und zügiges Handeln verleihen. Eine Kapitalmarktunion ist eine zentrale Stellschraube, um private Investitionen massiv anzukurbeln. Ein einheitlicher Digitaler Binnenmarkt ermöglicht Skaleneffekte, die mit den globalen Wettbewerbern mithalten können. In Summe muss der europäische Binnenmarkt wieder ein riesiger Chancenraum für Innovationen und unternehmerische Entfaltung werden!

Die notwendigen Hebel stehen Deutschland und der EU zur Verfügung – es braucht aber einen Mentalitätswandel der Politik hin zu einer Kultur der Ermöglichung, Beschleunigung und der Aufgeschlossenheit für Technologie, Innovationen und unternehmerische Freiheit und Kreativität.

Welche Innovationen, welche Lösungen sich am Ende durchsetzen, ist nicht Sache der Politik. Das entscheidet der Kunde auf den globalen Märkten. Und wer kennt die Kunden dort am besten? Die Unternehmen! Also sollten wir den Unternehmen helfen, gemeinsam mit ihren Kunden die Transformation zu gestalten und zu meistern – und das idealerweise so, dass möglichst viele dieser Unternehmen und vor allem möglichst große Teile ihrer Wertschöpfung in Deutschland und Europa ihre Heimat haben und behalten.  

 

3. Schluss:Wir müssen Tore schießen – ohne perfekt zu sein, es muss einfach funktionieren

Meine sehr geehrten Damen und Herren, der Ernst der Lage erfordert ein Umdenken und einen Kurswechsel der Politik.

Die Detailregulierung und Feinsteuerung der letzten Jahre hat dem Industriestandort die Luft abgeschnitten, im internationalen Wettbewerb weiterhin erfolgreich zu bestehen. Der zugrunde liegende Anspruch eines von Verwaltungen verordneten Fahrplans, eines von der Politik vorgegebenen Perfektionismus ist zeit- und kostenintensiv und widerspricht fundamental marktwirtschaftlicher Kreativität und Lösungseffizienz – und hat dennoch den Verschleiß der Infrastruktur nicht aufgehalten. Zuletzt sind wir nur zurückgefallen: In Rankings, in Tabellen, bei allen möglichen Daten und Fakten. Davor darf niemand mehr die Augen verschließen.

Wir müssen endlich Tore schießen, aufholen und zeigen, was wir leisten können als innovative Volkswirtschaft. Wir müssen Plätze gutmachen! Das Potenzial dazu haben wir – wir wollen und wir können es ausspielen, wenn die Politik uns lässt, Fesseln beseitigt und richtige Akzente setzt.

Die Industrie kann und will Transformation erfolgreich gestalten.

Darüber wollen wir auch dieses Jahr wieder reden: Wie die Lösungen für die Zukunft aussehen. Welche Rahmenbedingungen wir brauchen. Aber auch wo besondere Unterstützung notwendig ist, damit die innovativen, energieintensiven Industrien eben nicht den Standort wechseln und von unserem Heimatmarkt verschwinden.

Ich freue mich auf spannende Diskussionen, wie das gelingen kann. Es geht um viel und deshalb lohnt es auch jede Anstrengung!

Herzlichen Dank."