Konferenz zur Zukunft Europas
Die Konferenz zur Zukunft Europas hat gezeigt, dass an Vorschlägen zur Weiterentwicklung der EU kein Mangel besteht. In drei Foren wurden tausende Reformideen beraten. In europäischen und nationalen Bürgerpanels diskutierten zufällig ausgewählte Bürgerinnen und Bürger. In neun Arbeitsgruppen berieten sie ihre Vorschläge mit Vertretern nationaler Parlamente und Regierungen, des Europaparlaments, der EU-Kommission, der Regionen, der europäischen Sozialpartner und vielen mehr. Auf einer mehrsprachigen Online-Plattform stellten interessierte Bürgerinnen und Bürger knapp 19.000 Ideen ein.
Abschlussbericht mit Licht und Schatten
Der Abschlussbericht der Zukunftskonferenz zählt 326 ausgewählte Maßnahmenvorschläge. Er enthält unterschiedliche Impulse. Zahlreiche Vorschläge haben das Potential, die EU wirtschaftlich und politisch zu stärken. So soll ein Wettbewerbsfähigkeitscheck für neue EU-Initiativen eingeführt, KMU stärker berücksichtigt, der Verwaltungsaufwand verringert und der Binnenmarkt besser geschützt werden. Zudem sollen Entscheidungen in der EU-Außen- und Sicherheitspolitik künftig mit qualifizierter Mehrheit getroffen und somit die internationale Handlungsfähigkeit Europas erhöht werden. Gleichzeitig greift der Bericht bekannte Vorschläge in der Steuer-, Umwelt-, Rechts- und Handelspolitik auf, die erhebliche Belastungen für die Unternehmen bedeuten und Europa lähmen würden.
Problematisch ist, dass die große Mehrheit der Konferenzvorschläge gar nicht neu, sondern bereits Teil der Agenda der EU-Kommission ist. Die Kommission hat die Reformideen analysiert und in vier Kategorien geordnet: Impulse, die bereits in Gesetzesvorschläge gegossen, verabschiedet und implementiert werden, Vorschläge, die die Europaparlamentarier und die Mitgliedstaaten bereits im Gesetzgebungsprozess beraten, Anregungen, die die EU-Kommission ohnehin geplant hat und solche, die tatsächlich neue Ideen darstellen – beispielsweise in der Gesundheitspolitik.
Tausende Zukunftsideen – was nun?
Auch nach Ende der Konferenz ist unklar, wie die EU-Institutionen mit den Zukunftsideen umgehen wollen. Eine klare Mehrheit der Europaparlamentarier hat die EU-Mitgliedstaaten aufgefordert, zur Umsetzung der Reformvorschläge einen Konvent zur Änderung der EU-Verträge einzuleiten. Die Parlamentarier fordern die Abschaffung von Einstimmigkeitsentscheidungen im Rat unter anderem in der EU-Außen- oder in der Steuerpolitik. Sie sprechen sich für mehr Europa in der Gesundheits-, Energie-, Verteidigungs-, Wirtschafts- und Sozialpolitik aus. Darüber hinaus fordern die Parlamentarier das Recht für das Europäische Parlament, EU-Gesetzgebungsverfahren zu initiieren.
Um einen Konvent zur Änderung der Verträge zu starten, bedarf es einer einfachen Mehrheit der Mitgliedstaaten, das heißt mindestens 14 der 27 EU-Mitgliedstaaten müssten diesen Schritt unterstützen. Vehementer Widerstand gegen eine Öffnung der Verträge kommt von dreizehn vor allem nord- und osteuropäische Ländern, die sich in einem offenen Brief gegen vorschnelle Vertragsänderungen positioniert haben. Der Umgang der EU mit der COVID-19-Pandemie und dem russischen Angriffskrieg habe gezeigt, wie handlungsfähig die EU im Rahmen des bestehenden vertraglichen Rahmens sei. Der politische Fokus der EU müsse auf der Bewältigung der großen politischen Herausforderungen und geopolitischen Veränderungen liegen – und nicht auf einer Debatte über Vertragsänderungen, so die Mitgliedstaaten. Sieben Länder – darunter Deutschland und Frankreich – stehen Vertragsänderungen hingegen aufgeschlossen gegenüber.
Insgesamt hat kein Mitgliedstaat großen Appetit auf einen langwierigen Vertragsänderungsprozess. Daher ging der Europäische Rat Ende Juni auch nicht auf die Forderung des Europäischen Parlaments nach Einrichtung eines Konvents für Vertragsänderungen ein. Kommissionspräsidentin von der Leyen hat derweil bereits angekündigt, die Konferenzempfehlungen in ihrer Rede zur Lage der Union im September aufzugreifen. Zudem will die EU-Kommission künftig im Vorfeld besonders gewichtiger Kommissionsinitiativen Dialogveranstaltungen mit ausgewählten – vor allem jungen - Bürgerinnen und Bürgern organisieren, um frühzeitig Feedback zu ihren Plänen zu erhalten. Dieses Vorgehen darf nicht den Prozess der Besseren Rechtsetzung entwerten, der eine Konsultation aller Interessenträger und eine gründliche Abschätzung wirtschaftlicher, ökologischer und sozialer Folgen im Vorfeld von EU-Gesetzesinitiativen vorsieht.