Momentum für echtes Comeback der transatlantischen Wirtschaftsbeziehungen günstig
„Wer hätte gedacht, dass ich auf meiner ersten USA-Reise als BDI-Präsident im Jahr 2022 über Krieg in Europa sprechen muss? Der russische Angriffskrieg gegen die Ukraine stellt die multilaterale Welthandelsordnung sehr hart auf die Probe – mit unkalkulierbaren sozialen, wirtschaftlichen und sicherheitspolitischen Folgen. Nach Jahren des Friedens in Europa erlebt die internationale Gemeinschaft eine dramatische Rolle rückwärts. Vor unseren Augen spielt sich auf schreckliche und brutale Weise Weltgeschichte in High Speed ab: Demokratie gegen Autokratie, offene gegen geschlossene Gesellschaft, regelbasierte multilaterale Weltordnung gegen eine Welt-Un-Ordnung, in der allein die Macht des Stärkeren zählt.
Es braucht jetzt politischen Willen und einen klaren gemeinsamen Gestaltungsanspruch der freien, demokratischen Welt. Dabei kommen den USA, Europa und Deutschland zentrale Rollen zu. Deshalb ist es gut, dass Amerikaner und Europäer angesichts des russischen Kriegs so eng zusammenarbeiten wie seit Jahrzehnten nicht mehr, etwa in der gemeinsamen Sanktionspolitik gegen Russland.
Die deutsche Wirtschaft steht uneingeschränkt hinter dem Sanktionskurs der Bundesregierung, der EU und der G7-Staaten. Die Folgen sind für einzelne Unternehmen und Branchen ausgesprochen hart. Aber die Wirtschaft ist bereit, diese Kosten auf sich zu nehmen, um die Stärke des Rechts zu verteidigen.
Die Welt steht vor einem Berg von Problemen. Für mich ist klar: Es ist ein noch engerer transatlantischer Schulterschluss notwendig – kurzfristig für die Beendigung des Ukraine-Kriegs, generell für den Umgang mit autokratischen Systemen und für die Gestaltung der neuen Weltordnung.
Um diesen Schulterschluss zu stärken und klar sichtbar zu machen, haben vier Verbände – der BDI, der Deutsche Industrie und Handelskammertag, der Bundesverband Großhandel, Außenhandel, Dienstleistungen und der Bundesverband deutscher Banken – die Transatlantic Business Initiative TBI ins Leben gerufen. Nur wenige Monate später zeigt sich, wie richtig und wichtig dieser Schritt war.
Sehr dankbar bin ich, in meinen Gesprächen mit Vertretern der US-Regierung und der amerikanischen Wirtschaft hier vor Ort zu erfahren, wie groß die Bereitschaft zur Stärkung des transatlantischen Wirtschaftsraums auch hier in Washington ist. Das waren gute Gespräche, die mir Mut machen.
Der deutsch-amerikanische Handel wächst weiter und beläuft sich auf fast 200 Milliarden Euro. Bei unseren Exporten made in Germany sind die USA mit Abstand unser größter Absatzmarkt. Für Importe nach Deutschland sind die USA die Nummer drei (nach China und den Niederlanden), was Deutschland zum sechstgrößten Exportmarkt der USA macht.
Zwölf Prozent der ausländischen Direktinvestitionen in den USA stammen aus Deutschland. Rund 5.600 deutsche Unternehmen beschäftigen insgesamt mehr als 850.000 Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter in allen Bundesstaaten von Alabama bis Wyoming. Zusammengenommen sind sie der viertgrößte ausländische Arbeitgeber in den USA.
Viele Initiativen wie die Zusammenarbeit von Unternehmen auf beiden Seiten des Atlantiks in der Impfstoffherstellung und Pandemiebekämpfung zeigen das große Potenzial der atlantischen Partnerschaft. All das wird wahrgenommen – in der Politik genauso wie in den Think-Tanks. Und wie hilfreich konstruktives Miteinander ist, zeigen die erfreulichen Schritte in der Handelspolitik.
Nach den vier turbulenten Jahren der letzten Präsidentschaft haben die EU und die USA einen ihrer schwersten Handelskonflikte entschärft. Bitte weiter so: Nun braucht es endgültige und nachhaltige Lösungen für offene Fragen um Subventionen im Flugzeugbau und um US-Restriktionen für Stahl- und Aluminiumimporte aus Europa. Unsere Unternehmen wollen sehr gern ihren Beitrag zum Win-win leisten. Dafür sind sie auf Planungssicherheit und stabile Wirtschaftsbeziehungen angewiesen.
Die Zeit zum Handeln drängt: Schon im November stehen in den USA die Zwischenwahlen an, die das Regierungshandeln für alle Beteiligten noch komplexer machen könnten.
Die aktuelle Situation führt besonders Deutschland als Exportnation vor Augen, dass offene Märkte und eine funktionierende Globalisierung zentral sind für Wohlstand und Resilienz. Die Zahl unserer Abnehmer und Lieferanten zu vergrößern, auf eine breitere Basis zu stellen ist die richtige Antwort auf Versorgungsengpässe und strategische Abhängigkeiten, etwa in der Energieversorgung.
Daher braucht es mehr Handelsabkommen – insbesondere mit zuverlässigen Partnern wie den USA – nicht weniger. Pragmatismus und Realismus müssen die Maxime der deutsch-amerikanischen Handelspolitik sein.
Nach wie vor ist ein umfassendes Handelsabkommen wünschenswert – aber eine Wiederaufnahme von TTIP ist derzeit schlicht unrealistisch; vielleicht ist auch der Name schon diskreditiert. Aus diesem Grund sollten die USA und Europa den im vorigen Jahr vielversprechend gestarteten europäisch-amerikanischen Handels- und Technologierat TTC noch stärker nutzen, um wichtige Zukunftsthemen zu besprechen. Dazu zählen ein transatlantisches Abkommen über Industriezölle und die gegenseitige Anerkennung von Konformitätsbewertungen. Auch gemeinsame Regeln für die Digitalwirtschaft sollten schnellstmöglich vereinbart werden. Von diesen Initiativen würden Unternehmen, Verbraucherinnen und Verbraucher auf beiden Seiten des Atlantiks schnell profitieren.
Der künftige Erfolg des TTC ist kein Selbstläufer. Beide Seiten müssen entschlossen auf konkrete Ergebnisse hinarbeiten – und zwar schon auf dem bevorstehenden Treffen im Mai. Die TBI ist davon überzeugt, dass eine engere Einbindung der Wirtschaft in den Handels- und Technologierat für alle Seiten sinnvoll ist.
Das Momentum für ein echtes Comeback der transatlantischen Wirtschaftsbeziehungen ist günstig: Ende Juni findet in Bayern der G7-Gipfel der wichtigsten Industriestaaten unter dem deutschen Vorsitz statt. Dabei müssen sich die Regierungen darauf verständigen, wie sie in fundamentalen Fragen weiter vorgehen wollen: der Stärkung des Multilateralismus, der Reform der Welthandelsorganisation WTO und nicht zuletzt mit der Idee eines internationalen Klimaklub.
Europa und Nordamerika müssen sich anstrengen, um auch andere große CO2-Emittenten zu ambitionierten Klimazielen und ihrem Erreichen zu bewegen. Während die EU für acht Prozent und die USA für rund 14 Prozent der weltweiten CO2-Emissionen verantwortlich sind, liegt China bei 31 Prozent. Weltweit können die Unternehmen auf beiden Seiten des Atlantiks mit ihren Innovationen außerordentlich viel zum Klimaschutz beitragen.
In einem engeren transatlantischen Schulterschluss liegt eine doppelte Chance: zum einen, um besser voranzukommen in den globalen Sicherheits- und Klimathemen; zum anderen für eine kraftvollere Rolle unserer westlichen Wertegemeinschaft in einer zunehmend konfliktgeladenen Welt.”