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Net Zero Industry Act – Kein großer Durchbruch für den deutschen Industriestandort

Die Europäische Kommission stellte im März 2023 ihren Vorschlag für ein Netto-Null-Industriegesetz (Net Zero Industry Act, NZIA) vor. Das Ziel war dabei, die europäischen Fertigungskapazitäten in Schlüsseltechnologien auszubauen, die für das Erreichen der EU-Klimaziele entscheidend sind. Die nun erzielte politische Einigung zum finalen Gesetzestext bleibt allerdings deutlich hinter den Erwartungen der deutschen Industrie zurück.

Im Februar 2024 einigten sich der Rat und das Europäische Parlament (EP) im informellen Trilog-Verfahren auf den vorläufigen NZIA-Gesetzestext. Das Trilogergebnis muss nun in den kommenden Wochen offiziell vom EP und den zuständigen Ministern im Rat angenommen werden, bevor die neue Verordnung im Amtsblatt der EU veröffentlicht werden kann.

In den Medien wird der NZIA häufig als europäische Antwort auf den Inflation Reduction Act (IRA) der USA dargestellt. Ein direkter Vergleich gestaltet sich jedoch schwierig. Während der IRA ein umfassendes Subventionsprogramm ist, fokussiert sich der NZIA hauptsächlich auf die Beschleunigung von Genehmigungsverfahren für Netto-Null-Technologien und die Reduzierung des Verwaltungsaufwands für entsprechende Projekte. Zudem sollen neue Resilienz- und Nachhaltigkeitskriterien in der öffentlichen Auftragsvergabe sowie bei Auktionen für erneuerbare Energien die Abhängigkeit von Importen solcher Technologien aus einzelnen Drittstaaten wie China verringern. Der NZIA sieht keine neuen Fördermittel vor.

Welche Ziele werden mit dem NZIA verfolgt?

Das Kernziel des NZIA ist die Sicherstellung eines zuverlässigen und nachhaltigen Zugangs zu Netto-Null Technologien. Dies beinhaltet den Ausbau der eigenen Fertigungskapazitäten für solche Technologien und deren Lieferketten. Perspektivisch soll die EU 40 Prozent ihres jährlichen Bedarfs an Netto-Null-Technologien decken können. Die EU-weiten Kapazitäten sollen zudem bis 2040 einen Anteil von 15 Prozent an der Weltproduktion ausmachen.

Da vom NZIA u. a. auch Carbon Capture and Storage (CCS)-Technologien profitieren, soll die EU bis 2030 zudem eine jährliche CO2-Einspeicherleistung von mindestens 50 Millionen Tonnen erreichen. Hierbei ist vorgesehen, dass in der EU zugelassene Öl- und Gasproduzenten einen individuellen Beitrag zur Erreichung dieses Ziels leisten müssen.

Wer oder was soll von den neuen Regelungen profitieren?

Die Verhandlungspartner haben sich im Trilog auf eine umfassende Liste von insgesamt 19 Netto-Null-Technologien geeinigt, die vom NZIA profitieren sollen. Diese Liste umfasst nicht nur die jeweiligen Endprodukte, sondern auch die für die Herstellung dieser Produkte verwendeten spezifischen Bauteile oder speziellen Maschinen. Die Liste beinhaltet u. a. Solar- und Windenergie, Energiespeicher, Wasserstofftechnologien und Wärmepumpen.

Die Technologienliste kann im Rahmen der vorgesehenen Überprüfung des NZIA - erstmals vier Jahre nach dessen Inkrafttreten und danach alle drei Jahre - noch erweitert werden.

Neben den aufgelisteten Netto-Null-Technologien können auch bestimmte energieintensive Industrieprojekte zur Dekarbonisierung, etwa in den Bereichen Stahl, Chemie oder Zement, unter bestimmten Bedingungen von einigen der NZIA-Regelungen profitieren.

Welche Unterstützungsmaßnahmen bietet der NZIA?

Der NZIA sieht hauptsächlich Maßnahmen zur Reduzierung des Verwaltungsaufwands und zur Beschleunigung von Genehmigungsverfahren für sogenannte strategische Projekte vor. Dazu zählen unter anderem:

  • Die Vergabe des „Status der höchstmöglichen nationalen Bedeutung“ für die entsprechenden Projekte, was in Deutschland einem „überragenden öffentlichen Interesse“ entsprechen würde;
  • Die Bearbeitung aller Streitbeilegungsverfahren, Gerichtsverfahren, Berufungen und Rechtsbehelfe im Zusammenhang mit strategischen Projekten im Rahmen von Dringlichkeitsverfahren, sofern diese im nationalen Recht vorgesehen sind;
  • Die Festlegung von Maximalfristen für entsprechende Genehmigungsverfahren von neun beziehungsweise 12 Monaten, je nach Fertigungskapazität des Projekts.

Jegliche Projekte zur Fertigung von Netto-Null-Technologien sollen zudem von einer zentralen Kontaktstelle profitieren, die für die Genehmigungsverfahren und Koordinierung zuständig ist. Darüber hinaus können Mitgliedstaaten künftig sogenannte „Netto-Null Beschleunigungstäler“ ausweisen, um Cluster von Netto-Null-Industrieaktivitäten zu schaffen und entsprechende Verwaltungsverfahren noch effizienter zu gestalten.

Was ändert sich im Bereich der öffentlichen Auftragsvergabe und bei Auktionen für erneuerbare Energien?

Für öffentliche Auftragsvergaben, die Netto-Null-Technologien einschließen und geltendem EU-Recht unterliegen, sollen künftig verbindliche Mindestanforderungen an die ökologische Nachhaltigkeit gelten. Dies soll vor allem europäischen Herstellern zugutekommen, die bereits hohe ökologische Standards erfüllen. Die konkrete Ausgestaltung dieser Anforderungen soll durch einen Durchführungsrechtsakt der Kommission spezifiziert werden. Darüber hinaus werden künftig im Rahmen eines sogenannten „Resilienzbeitrags“ bestimmte Diversifizierungsanforderungen eine Rolle spielen, wenn der EU-Bedarf für eine bestimmte Netto-Null-Technologie zum Zeitpunkt der Ausschreibungsbekanntmachung zu mehr als 50 Prozent von einer einzelnen Bezugsquelle aus einem Drittstaat gedeckt wird. Dabei sind jedoch einige Ausnahmen vorgesehen, beispielsweise bei zu hohen Kostenunterschieden.

Bei der Gestaltung von Auktionen für erneuerbare Energien sollen künftig Vorqualifikationskriterien gelten, die u. a. Aspekte der Cyber- und Datensicherheit berücksichtigen. Darüber hinaus sollen weitere Vorqualifikations- oder Zuschlagskriterien eingeführt werden, um den Nachhaltigkeits- und Resilienzbeitrag zu bewerten. Bei der Anwendung von Zuschlagskriterien soll die kombinierte Gewichtung der beiden Beiträge zwischen 15 und 30 Prozent liegen. Die konkrete Ausgestaltung/Definition der Vorqualifikations- und Zuschlagskriterien soll in einem Durchführungsrechtsakt der Kommission festgelegt werden. Die neuen Vorgaben zur Gestaltung von Auktionen sollen allerdings nur für mindestens 30 Prozent des jährlich versteigerten Volumens pro Mitgliedstaat oder alternativ für mindestens sechs Gigawatt pro Jahr pro Mitgliedstaat verbindlich gelten. Zudem gibt es Ausnahmen bei zu hohen Kostenunterschieden.

Wie ist das NZIA-Trilogergebnis zu bewerten?

Obwohl der NZIA primär darauf abzielt, den Verwaltungsaufwand zu reduzieren und Genehmigungsverfahren zu beschleunigen, dürften viele der dafür vorgesehenen Bestimmungen keine spürbaren Auswirkungen in Deutschland mit sich bringen: Die im NZIA vorgesehenen Maximalfristen für die Genehmigung strategischer Projekte von neun beziehungsweise 12 Monaten überschreiten die bereits geltenden Fristen nach dem Bundesimmissionsschutzgesetz (BlmSchG). Zudem existieren für Unternehmen schon zentrale Anlaufstellen in Form der Bundesimmissionsschutzbehörden. Das Problem in Deutschland ist ein anderes: Die Fristen werden oft nicht eingehalten, weil die Verfahren mit Anforderungen, u. a. aus dem EU-Umweltrecht, überfrachtet werden. Die Verfahren dauern deshalb im Durchschnitt sechs Monate länger als im BImSchG vorgesehen.

Während der NZIA grundsätzlich einen positiven Ansatz verfolgt, indem er den bisher auf Klima- und Umweltpolitik ausgerichteten Green Deal der EU um eine dringend benötigte industriepolitische Perspektive erweitert, stellt er für Industrieunternehmen, die entsprechende Kapazitäten in Deutschland aufbauen wollen, keinen großen Durchbruch dar.