Raumfahrt ist kein Selbstzweck
„Herzlich Willkommen zum zweiten Weltraumkongress des Bundesverbandes der Deutschen Industrie! Ich freue mich sehr, so viele von Ihnen hier im KOSMOS begrüßen zu dürfen – und natürlich haben wir den Veranstaltungsort bewusst gewählt.
Besonders freue ich mich, dass am Kids-Talk mit Amelie Schoenenwald und Matthias Maurer heute Vormittag mehr als 200 Kinder aus Kindergärten und Grundschulen mit leuchtenden Augen teilgenommen haben. Raumfahrt fasziniert – heute genauso wie vor 60 Jahren. Und sie fasziniert Mädchen und Jungen gleichermaßen - ich freue mich deshalb sehr, dass mit Amelie Schoenenwald und Nicola Winter erstmals zwei Frauen aus Deutschland als ESA-Reserveastronautinnen ausgewählt wurden. Die Zeit für die erste Deutsche im All ist mehr als reif.
Dass dieser Kongress möglich ist, dafür danke ich unseren zahlreichen Partnern und Sponsoren, unserem Knowledge Partner Roland Berger, unserem Mitgliedsverband BDLI sowie unseren Kooperationspartnern Münchner Sicherheitskonferenz (MSC), Global Perspectives Initiative (GPI) und dem deutsch-israelischen European Leadership Network (ELNET).
Leider konnten heute Vormittag viele israelische Regierungs- und Unternehmensvertreter aufgrund des Kriegs in ihrer Heimat nicht am 3. German-Israeli Space Forum von BDI und ELNET teilnehmen. Der BDI verurteilt die terroristischen Angriffe der Hamas auf Israel auf Schärfste. Israel hat unsere volle Solidarität!
Der Bundeskanzler hat sich angesichts des Kriegs sehr kurzfristig entschieden, nach Israel zu fliegen. Eine richtige Entscheidung, wie ich finde. Sie hat leider zur Folge, dass er heute nicht am Weltraumkongress teilnehmen kann. Umso mehr freuen wir uns, dass der Chef des Bundeskanzleramts, Bundesminister Wolfgang Schmidt, in Vertretung von Bundeskanzler Scholz gleich virtuell zu uns sprechen wird.
Danken möchte ich in diesem Kontext auch unseren internationalen Partnern und Gästen, die heute hier vertreten sind, aus Europa, Afrika, Israel und den USA. Raumfahrt ist und bleibt ein Thema internationaler Zusammenarbeit – wir sind Partner und gleichzeitig ökonomische Wettbewerber. Jedoch betrifft uns die geopolitische Dimension der globalen Systemrivalität auch in der Raumfahrt immer stärker – hierauf müssen wir als Partner gemeinsame Antworten geben.
Neben der engen Kooperation mit unseren europäischen Partnern hat die transatlantische Zusammenarbeit in der Raumfahrt einen besonderen Stellenwert für uns. In Zeiten eines globalen Systemwettbewerbs und der weltweiten Zunahme von Konflikten und Kriegen ist der Schulterschluss mit den Vereinigten Staaten von Amerika wichtiger denn je.
Wir sind in diesem Kontext stolz darauf, dass mit dem European Service Modul (ESM) erstmals eine systemkritische Komponente für ein amerikanisches Mond-Raumschiff aus Europa bzw. genauer gesagt aus Bremen kommt.
Ich werde oft gefragt, warum sich der BDI so stark für die Raumfahrt und NewSpace macht. NewSpace – darunter verstehen wir die Kommerzialisierung der Raumfahrt und ihre Verzahnung mit der klassischen Industrie – ist eine große Chance für Deutschland. Laut der gemeinsamen Studie von Roland Berger und BDI wird der globale Bedarf an weltraumgestützten Anwendungen im Jahr 2040 1,25 Billion Euro betragen. Ich freue mich bereits sehr auf die Vorstellung der Studie im Anschluss. In fast allen Industriezweigen wird NewSpace wesentlich zum Aufbau der Infrastruktur für Konnektivität, Daten und KI beitragen. Gerade für die deutsche Industrie werden von Satelliten generierte und übermittelte Daten unabdingbar, für autonomes Fahren genauso wie für Smart Farming oder für Anwendungen innerhalb von Industrie 4.0. NewSpace ist ein Schlüssel für das Industrieland der Zukunft. Dies wird auch im NewSpace Report von Roland Berger und BDI deutlich.
Dank etablierter Unternehmen, mutiger Gründer und privater Investoren ist in Deutschland in den vergangenen Jahren ein in Europa führendes Ökosystem entstanden. Die Industrienationen USA und auch China investieren allerdings ein Vielfaches.
Der Abstand zwischen Deutschland und Europa auf der einen und den USA, China und zunehmend auch Indien auf der anderen Seite wird daher stetig größer. Wir müssen in Deutschland aufpassen, Fehler der Vergangenheit bei anderen Zukunftstechnologien, z.B. der Chip-Produktion, nicht zu wiederholen. Die Konsequenzen und Kosten belasten uns bis heute. Es droht im Weltraum eine erneute Abhängigkeit von ausländischen Staaten und Tech-Unternehmen. Die Zeit zum Handeln ist deshalb jetzt.
Wir brauchen 1. eine neue Sichtweise auf die Raumfahrt:
- Bei NewSpace geht es nicht um spleenige Milliardäre und die Kolonisierung des Mars, sondern um essenzielle Dienste für die Erde. Raumfahrt ist kein Selbstzweck. Wer im All nicht vorne mit dabei ist, wird auf der Erde kein Technologieführer sein.
- NewSpace ist von zentraler Bedeutung für die digitale Transformation der gesamten deutschen Industrie, die Resilienz ihrer Zulieferketten, die Sicherung ihrer Nachhaltigkeitsergebnisse und letztlich ihrer Unabhängigkeit.
- Globale Konnektivität, globale Ortung und Navigation, immer genauere und vielfältige Beobachtung der Umwelt sind die Schlüssel hierfür. Teile des “Operating System“ der IoT-Wirtschaft wandern zunehmend ins All. Damit verändert die Raumfahrt ihre Bedeutung grundlegend. Das Rennen um die zukünftige Wettbewerbsfähigkeit der Industrie auf der Erde wird maßgeblich auch mit im Weltall entschieden.
Wir müssen daher 2. den souveränen Zugang zum Weltall stärken:
- Der russische Angriffskrieg gegen die Ukraine begann im Weltraum, mit einem Cyberangriff auf einen von der Ukraine genutzten Satellitenbetreiber. Der Krieg und der militärische Einsatz von Systemen wie Starlink führen uns täglich vor Augen, wie essenziell und existenziell die Nutzung von Satelliten für die militärische Handlungsfähigkeit ist. Ein in seiner Verteidigung souveränes und handlungsfähiges Europa als starken Pfeifer der NATO wird es deshalb nur mit einem eigenen Zugang ins All geben.
- Europa hat nach dem notwendigen Ende der Zusammenarbeit mit Russland jedoch temporär seinen Zugang verloren. Bei einem Angriff auf unsere kritische Infrastruktur im All könnten wir momentan nicht reagieren. Wir brauchen beim Zugang ins All, wie in vielen anderen Bereichen auch, mehr Resilienz.
- Exakt heute vor vier Jahren, am 18. Oktober 2019, beim 1. Weltraumkongress hat der BDI eine Initiative für eine privatwirtschaftliche Startplattform in der Nordsee gestartet. Viel ist seitdem passiert: Erst eine vom BDI initiierte Machbarkeitsstudie, dann die Gründung eines Industriekonsortiums für die Umsetzung, und vor zwei Jahren die Unterzeichnung von MoUs für Starts von der Plattform durch vier europäische Launcher-Unternehmen im BDI.
- Ich freue mich ganz besonders, heute verkünden zu dürfen: Im April 2024 soll die erste Demo-Mission von der mobilen Startplattform der German-Offshore Spaceport Alliance in der Nordsee abheben. Es macht mich sehr stolz, dass der BDI mit seiner Initiative einen maßgeblichen Anteil an diesem zukunftsweisenden und ambitionierten Projekt hat.
- Dank mutiger privater Investitionen, kommerzieller Launch Companies und einer Startplattform in der Nordsee kann Deutschland seinen europäischen Partnern als Lead-Nation zukünftig eine defensive Responsive Space-Fähigkeit zur Verfügung stellen.
- Die Bundesregierung sollte diese Chance jetzt – nach Vorbild des Raketenschirms Arrow 3 – für Europa ergreifen.
Wir müssen 3. eine staatliche Nutzerstrategie verabschieden:
- NewSpace ist ein Querschnittsthema und eine große Chance sowohl für den privaten als auch den öffentlichen Sektor. Bund, Länder und Kommunen nutzen die Möglichkeiten von Raumfahrtdiensten bisher zu wenig, sei es im Katastrophenschutz, bei der Behördenkommunikation, bei der Nutzung des Sicherheitssignals von Galileo, bei der Überwachung von Schiffs- und Luftverkehr, bei dem Aufbau von Smart Cities, der Waldbranderkennung aus dem All oder im Umweltschutz. Um das gesamte Potenzial von Raumfahrtanwendungen auszuschöpfen, sollte unter Federführung der Bundesregierung eine gesamtstaatliche Nutzungsstrategie formuliert werden. NewSpace-Anwendungen sind Teil der Lösung, um Ministerien, Behörden und staatliche Stellen digitaler, effizienter und schneller zu machen.
Wir müssen 4. ambitionierter werden:
- Europa war der Kontinent der Entdecker. Wir sollten es wieder werden. Das amerikanische Apollo-Programm hat maßgeblich zur Entstehung des Silicon Valley und der technologischen Vorreiterrolle der USA beigetragen. Unser Anspruch als Europäer sollte deshalb sein, dass europäische Astronauten mit europäischen Raumschiffen ins All fliegen. Nicht aus Prestige, sondern um Innovationen in der Breite zu befördern, um strategisch relevant zu bleiben und nicht zuletzt, um junge Menschen für neue Technologien zu begeistern. Mit einem europäischen Wettbewerb nach US-Vorbild und der ESA als Ankerkunden könnte privates Kapital für ein europäisches Raumschiff mobilisiert werden. Als europäische Führungsnation in der astronautischen Raumfahrt kommt es dabei besonders auf Deutschland an. Wenn wir wollen, schaffen wir das nicht nur, wir können es auch!
Wir müssen 5. unsere Investitionen signifikant erhöhen:
- Wir müssen die staatlichen Mittel effektiver einsetzen und gleichzeitig unsere Investitionen erhöhen. Notwendig ist deshalb ein Systemwechsel in der Raumfahrt nach amerikanischem Vorbild, bei dem der Staat primär als Kunde auftritt. Aufträge sind die effizienteste und ordnungspolitisch beste Form der Unterstützung des NewSpace-Ökosystems. Sie mobilisieren zudem weiteres privates Kapital. Dies hat das Beispiel des Microlauncher-Wettbewerbs eindrücklich gezeigt. Davon brauchen wir mehr! Obendrein profitiert der Staat als Kunde von innovativen Produkten und Services. Ein Win-Win also.
- Die finanzielle Ausstattung des Nationalen Programms für Weltraum und Innovation trägt der rasant gestiegenen strategischen und gesamtwirtschaftlichen Bedeutung von Raumfahrt jedoch nicht Rechnung. Die für 2024 geplante Kürzung von 371 auf 313 Millionen wäre ein falsches Signal. Die Zeitenwende ist auch eine Zeitenwende für die Raumfahrt. Deutschland sollte deshalb national mindestens so viel investieren wie sein Partner Frankreich.
Meine Damen und Herren, NewSpace steht für Mut, Aufbruch und Begeisterung. Unser Land braucht mehr davon. Lassen Sie uns gemeinsam mit NewSpace in ein neues Industriezeitalter starten. Herzlichen Dank! Und nun freue ich mich auf die Worte vom Chef des Bundeskanzleramts Wolfgang Schmidt.“
Es gilt das gesprochene Wort!